BG Kritik: „Avengers 4: Endgame“

27. April 2019, Christian Mester

Noch immer stockt der Welt der Atem, denn Thanos hatte gewonnen, hatte mit einem Fingerschnipsen jedes zweite Lebewesen des Universums ausgelöscht. Der Titan vom Planeten Titan hatte den Infinity War für sich entscheiden können und die Avengers knapp, aber klar besiegt. Niedergeschlagen raffen sich die Überlebenden zusammen und versuchen einen Sinn darin zu finden, das Unmögliche nicht geschafft zu haben. Als sich plötzlich eine vage Chance auftut, greifen die Helden müde erneut zu den Waffen, bereit, zum letzten Mal alles zu geben.

© The Walt Disney Company

Avengers: Endgame (2019)
Regie: Joe und Anthony Russo
Mit: Chris Evans, Robert Downey jr, Scarlett Johansson, Josh Brolin etc.

Die Kritik beinhaltet Spoiler

Jetzt steht also Nummer 4 an, aber was will man da noch erzählen? Es muss wohl kein strahlender Captain Obvious auftauchen, der überraschend klarmacht, dass die Avengers dieses Mal gewinnen werden, nein sogar das Geschehene revidieren können. Müssen sie auch, denn im Sommer läuft der zweite Spider-Man an, und bis dahin muss Peter Parker wieder am Start sein.

Dass sie den pinken Mann besiegen würden war folglich sonnenklar, also mussten sie sich anstrengen, das irgendwie interessant zu gestalten. Und haben sie! „Endgame“ ist ein grandioser Film geworden, der einen Fan der Reihe restlos begeistern kann. Als Fanservice ist er eine absolute Wucht. Mehr als alle vorherigen Teile befasst er sich mit den erlebten Vorgeschichten der Helden, erinnert an alte Ereignisse und entwickelt viele Figuren auf clevere Weise weiter. Dank Zeitreise wird zu den alten Filmen zurückgereist und so mancher Cameo frischt alte Erinnerungen auf. Anstatt sich aber nur mit plumper Nostalgie auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen, gestalten die Russos selbst in alten Szenen konsequent neue Kapitel. Es ist gewiss keine Best-Of Revueshow, eher ein weiser Opa, der über seine alten Tage reflektiert. Obwohl er merkwürdigerweise entgegen der düsteren Umstände der lustigste Marvel Film von allen geworden ist, greifen die emotionalen Momente und sorgen für den ein oder anderen MODOK-Kloß im Hals, insbesondere, wenn sich lange lieb gewonnene Charaktere verabschieden.

Natürlich ist es absehbar, dass „Avengers: Endgame“ kein striktes Ende darstellt. Allein schon die Masse an Charakteren aus den verschiedenen Welten legt nahe, wie vielfältig und faszinierend das Marvel Cinematic Universe ist, demzufolge wird es in den nächsten Jahren noch weiter gehen und es wird auch andere Avengers Filme geben. Nur stellt dieser hier merklich das Ende einer Ära dar, denn die alteingesessenen Veteranen Iron Man, Captain America und Black Widow stempeln dieses Mal zum letzten Mal, jeweils auf unterschiedliche Weise.

Kommen wir nun den spoilerigeren Details. Es ist mutig, Thanos schon früh zu besiegen, anstatt den ganzen Film darauf aufzubauen, ihn erst wieder finden zu müssen. Es macht das Ende vom letzten Teil sogar noch finsterer, weil trotz des vermeintlichen Sieges immer noch nichts gewonnen ist, und lässt die Helden neu grübeln. Zeitreise ist zwar ein denkbar blödes Hilfsmittel, doch hier wird es fraglos clever eingesetzt. Spannend ist, dass der Thanos aus der Vergangenheit Wind von den Zeitreisenden bekommt, sein Schicksal erfährt und seinen Kurs entsprechend ändert. So bleibt er der aktive Hautpgegner, obwohl er eigentlich längst besiegt ist. Was die übrigen Figuren betrifft, kann man teilweise zufrieden, teilweise ernüchtert sein. Dr Strange und Black Panther haben lediglich Cameos, die Guardians, Iron Man, War Machine, Falcon, Spidey und Scarlet Witch kommen wenig vor, das Hauptaugenmerk liegt dieses Mal auf Ant-Man, Captain America, Hawkeye, Thor, Nebula und Hulk – aber es ist großartig umgesetzt. Und wie unterhaltsam sind die neuen Eindrücke bitte? Thor als fette Couchpotato (passend zur Mythologie des saufenden Nordmanns mit Plauze) und Hulk als Pulli tragende Labertasche (eine ideale Weiterentwicklung, da er sonst nur der tumbe Haudrauf wär) sorgen unentwegt für gute Laune.

© The Walt Disney Company

Es gibt durchaus merkliche Schwächen. Auf Fanseite lässt sich so manche kreative Entscheidung in Frage stellen. Davon abgesehen, dass die gesamte Zeitreisesache jeglicher Logik entbehrt – obwohl die Figuren darüber sprechen und sie sogar „Zurück in die Zukunft“ und „Terminator“ nennen – schwebt über allen 3 Filmstunden stets der Schatten der Gewissheit, dass sie ohnehin gewinnen werden. Das raubt dem ganzen Unternehmen die Spannung, was noch durch Dr Strange unterstrichen wird, der den Sieg bereits im letzten Film angekündigt hatte. Da der Film ihn und seinen Weg gar nicht zeigt, wird auch nie in Frage gestellt, dass er irgendwann mit der Kavallerie erscheinen wird, zumal Tony, Natasha und Steve mit Captain Marvel einen fliegenden Godmode in der Hinterhand haben. Sie dann einfach wegzuschicken mit ungewissen anderen Aufgaben, erscheint ein klein bisschen faul. Carol kann Thanos nicht instant besiegen… weil Gründe.

Als Fan hat jeder seine Lieblinge, und jenachdem wen man mehr mag und wen weniger, begeistert oder enttäuscht das Ding. Wer die Guardians beispielsweise besonders mag oder von Black Panther angefixt ist, wird eher in Wakanda stehen gelassen, auch wenn zumindest kleine Momentchen da sind. Das haben die vorherigen 3 Filme organischer, fairer hinbekommen. Man merkt schon, dass alle die zurückgehalten werden, die noch in der Zukunft präsenter sein werden, aber immerhin vergeudet der Film keine Zeit damit, neue Ereignisse für nach diesem Film anzuteasen. Adam Warlock bleibt weiterhin weg, da ist nix mit X-Men oder Fantastic Four und es gibt nichtmal eine Post-Credits-Szene mit Werbung für den kommenden Spider-Man. Zum Glück sind die vielen, vielen Charakterszenen so klasse und die gewählten Abschiede so mitreißend, dass man über die Kleinigkeiten hinwegsehen kann.

Betrachtet man das Ding als reinen Film, kann man noch größere Probleme sehen. Nach dem starken Wiedereinstieg gehts erst einmal echt schleppend weiter. Der Film hat spürbar mehr fett als andere und füllt seine 3 Stunden nicht fit genug aus, ist eher wie der fette Thor. Wenn man die 22 vorherigen Filme nicht gut kennt, verpasst man zudem unzählige Inside-Gags, die man nur als Kenner verstehen kann. Die Zeitreisesache bleibt etwas verwirrend, da nicht genau erklärt wird, wieso man bei Versagen nicht einfach nochmal dahin reisen kann, und wieso sich diverse Tode nicht umkehren lassen, obwohl andere Tote bereits zurückgeholt werden konnten. Überhaupt ist Tod ein gewaltiges Problem im MCU, zum Teil durch wiederbelebte Charaktere, zum größeren Teil aber mittlerweile durch erneute Auftritte. In „Thor 2“ starb Thors Mama, nur um ihn hier wieder in den Arm nehmen zu können. In „Infinity War“ starb Loki auf schmerzliche Weise, nur um hier wieder aufzutauchen und ERNEUT mit dem Tesseract abzuhauen, und da Black Widow hier quasi Gamoras Tod mit ihrem eintauscht, verwässert es mögliche Trauer generell, da man mittlerweile immer vage vermuten muss, dass jemand zurückkommen kann, wiederbelebt wird oder in Zukunft eh nochmal besucht wird.

© The Walt Disney Company

Dann sagen sie, sie können nur wenig in dem Quantenstrudel herumreisen, da man dafür das nicht mehr vorhandene Pym-Partikelzeug vom alten Ant-Man braucht. Wieso sie nicht einfach in die Vergangenheit reisen und mehr von dem Zeug holen, bleibt unverständlich. Die Logik darf man selten hinterfragen, hier aber noch weniger als je zuvor. Und hat man erst neulich „Ready Player One“ gesehen, kommt einem der finale Super-End-Übermegakampf aller Kämpfer verdächtig ähnlich vor, zumal die Farbpalette die gleiche ist. Das hält das Spektakel allerdings längst nicht auf, und spätestens wenn Captain America am Ende seiner Kräfte Mjolnir schwingt und sich Thanos weiter widersetzt, kann man Freudentränen haben. Ein Film, der „Justice League“ so dermaßen deklassiert, dass es fast nimmer lustig ist.

Fazit: Der vierte Avengers ist in erster Linie reiner Fanservice für über 12 Jahre Fantreue, aber grandioser Bombast als solche. Klar hat er als Film seine Probleme, aber den Anspruch, als eigener Solofilm funktionieren zu können, stellt er gar nicht erst. Das ist ein 400 Millionen Dollar teurer Fantribut, der begeistern, unterhalten und mitreißen will. All das schafft er, dafür wird er lohnend Erfolg haben und man darf gespannt sein, wie es danach weitergehen wird. Vielleicht war es auch gar nicht möglich, dieses Kapitel ähnlich rund und spannend wirken zu lassen wie den Vorgänger, aber das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen.

9/10

 

 

 

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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