BG Kritik: „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“

29. Juli 2019, Christian Westhus

Künstlerisch stilisierte Groteske mit Helen Mirren: Albert (Michael Gambon), der quasi-kriminelle Besitzer eines Edelrestaurants, terrorisiert mit Egomanie und cholerischen Anfällen den kunstfertigen Koch (Richard Bohringer), die weiteren Gäste, seine Handlanger (u.a. Tim Roth) und seine Frau Georgina (Helen Mirren). In seinem Exzess aus Wut und Fressen bemerkt Albert nicht, dass Georgina noch im Restaurant eine Affäre mit dem intellektuellen Michael (Alan Howard) anfängt.

Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
(Originaltitel: The Cook, the Thief, his Wife & her Lover | UK, Frankreich 1989)
Regie: Peter Greenaway
Darsteller: Michael Gambon, Helen Mirren, Alan Howard, Richard Bohringer, Tim Roth
Kinostart Deutschland: 23. November 1989

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Juni 2014.)

Fressen und gefressen werden. Der spätere Dumbledore Darsteller Michael Gambon reißt in der Rolle eines der widerlichsten Widerlinge der Filmwelt die Kontrolle im Edelrestaurant an sich, türmt sich meterhoch auf, erniedrigt alle Umstehenden und ist eine Hälfte des Zentrums von Peter Greenaways allegorisch aufgeladenem Gemälde von einem Film. Je nach Lesart gehen Religion, die moderne Überschussgesellschaft und Margaret Thatcher Hand in Hand und kommen in egal welcher Lesart äußerst schlecht weg.

Das Kino des Briten Peter Greenaway ist im Kosmos des Inselkinos seine eigene kleine Insel. Der gelernte Maler sagte angeblich, wer Geschichten erzählen will, sollte Romane schreiben, aber bloß kein Filmemacher werden. Nicht verwunderlich also, dass bei einem Peter Greenaway das Bild wichtiger ist als die Handlung, die sich auf die visuelle Komponente übertragen zu einem mehrdeutigen Abbild einer stilisierten Idee entwickelt. Wie kein zweiter macht Greenaway die Kinoleinwand zu einer Malerleinwand und lässt darauf die Welt als bewusst abstrakte Theaterbühne aufmarschieren. Gezielte Brüche mit der Illusion des Films, Hintergrundmusik, die sich plötzlich als Teil der Handlung entpuppt, und eine in häufig gleichen Bewegungen beobachtende Kamera sind bei Peter Greenaway an der Tagesordnung.

© Justbridge Movies

Zunächst: Farben. Die Kamera zieht elegant gleitend am gedachten „Bühnenrand“ des Restaurants entlang, von außen (blau) in die Küche (grün), in den Speisesaal (rot) und in die Badezimmer (weiß). Kunst ist manchmal auch Künstlichkeit. Jeder Abschnitt des opulent und betörend schön ausgestatteten Restaurants hat seinen eigenen Farbcode. Wüterich Albert, seine Handlanger und Georgina passen sich diesem Farbcode an. Beim Schritt durch die Tür in einen anderen Raum machen auch die elegant entworfenen Roben von Jean-Paul Gaultier einen Farbwechsel durch. Der grellrote Speisesaal wird von einem gewaltigen Gemälde überblickt, auf dem eine Gruppe Männer skeptisch zurückblickt. Männer, die Albert und seinen Mannen äußerst ähnlich sehen. Im Speisesaal wird Essen üppig als barockes Stillleben ausgestellt und in der Küche türmen sich Töpfe, Küchenwerkzeuge und Zutaten unterschiedlichster Arten und Farben zu einer schwülstigen Melange auf.

Man kann sich – Achtung Wortspiel – kaum satt sehen an dem, was Greenaway, seine Ausstatter und sein Kameramann hier auftischen. Zwei nackte Menschen steigen in einen vergessenen Lieferwagen, in dem Rinderbeine, baumelnde Schweineköpfe und gerupftes Geflügel schon halb verrottet sind und bestialisch stinken. So sieht er aus, der Höhepunkt von Greenaways visueller Poesie. Es ist ein zuweilen ungemütlicher Film, bis heute kontrovers besprochen, der damit beginnt, wie „Dieb“ Albert einen Mann erniedrigt, indem er ihn mit Hundekot beschmiert und über ihn uriniert. Im Folgenden macht Albert zumeist auf sich aufmerksam, wenn er unfassbare Dinge sagt. Wenn er dann aber doch mal wieder Hand anlegt, dann auch richtig. Albert ist menschlicher Abschaum, ein unerträglicher Unhold, der in seinem gekauften Restaurant ungebremst wütet und häufig so laut schreit, damit niemand merkt, was für ein kleiner Wicht er ist. Ein wütender Tyrann, der verdient, was allen Tyrannen irgendwann bevorsteht.

Albert hat es auf den Intellektuellen abgesehen, auf Michael, der sich doch allen Ernstes einbildet, im Restaurant ungestört lesen zu können. Lesen! Wo kommen wir denn da hin? Dass dieser Michael bei den über mehrere Tage hinweg täglich stattfindenden Restaurantbesuchen eine Affäre mit Alberts Frau Georgina angefangen hat, zunächst im Bad, dann, vom Koch geschützt, im Vorratsraum, kann und will Albert zunächst nicht sehen. Greenaways von sakraler Choralmusik und einer teilweise zu behäbigen Dramaturgie geleiteter Film ist zunächst nur die Geschichte eines Tyrannen, eines geschassten Künstlers, eines getretenen Intellektuellen und einer misshandelten Frau, doch Greenaways mitunter effekthascherisch wirkende Stilisierung drängt sich auf und forciert mehrere Deutungen. Die Welt ist eine Bühne, um es mit Shakespeare zu sagen. Und die Bühne ist ein Gemälde. Ein Film für ein experimentierfreudiges und neugieriges Publikum, das gerne Filme sieht, die es so eigentlich kein zweites Mal gibt.

Fazit:

Artifizielles, symbolisches und auch ein wenig selbstverliebtes Sittengemälde mit allerhand Subtext und einem unvergesslichen Film-Widerling im Zentrum. Großartig.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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