BG TV-Kritik: „Love, Death & Robots“ (Staffel 1)

15. Mai 2021, Christian Westhus

18 animierte Episoden wild gemixt aus allen Genres. Blutig-brutal, science-fiction-mäßig entrückt, humorvoll verspielt oder mitreißend spannend. Ein rasanter Anthalogie-Ritt durch Animationswelten.

Love, Death & Robots (Season 1)
(USA 2019)
Schöpfer: Tim Miller
Produktion: Tim Miller, David Fincher, Jennifer Miller
Ausstrahlung: Netflix
Episoden: 18 Episoden
Veröffentlichung: 15. März 2019

© Netflix

Eigentlich wollte Tim Miller, Regisseur von „Deadpool“ und Gründer des Animations- und Effektstudios „Blur“, den 1981er Anthologiefilm „Heavy Metal“ neu auflegen. Miller gierte nach einer wilden Genre-Fusion, nach Animation für Erwachsene, nach Blut, Sex und Gewalt ohne (echte) Kompromisse. Blur kreierten u.a. die Introsequenz für David Finchers „Girl with the Dragon Tattoo“ (Verblendung, 2011), wodurch Miller und Fincher aneinander gerieten. Die Finanzierung des „Heavy Metal“ Films gestaltete sich schwierig, bis die beiden Macher erkannten, dass sie sich im Zeitalter von Streaming mit einem jungen YouTube-Publikum befanden. Geboren war die Idee einer Anthologie-Serie, die nun als „Love, Death & Robots“ bei Netflix erschienen ist. 18 animierte Episoden von maximal 20 Minuten Länge, deren einzige echte Vorgabe darin besteht, mindestens ein Konzept aus Liebe, Tod und Roboter irgendwie aufzugreifen. Übersetzt heißt das: „macht, was ihr wollt, Hauptsache ihr habt Spaß.“

Was wie eine wunderbare Idee klingt – und auch ist – um inhaltlich und stilistisch komplett vom Leder zu lassen, wird im Verlauf der Episoden schnell ermüdend und enttäuschend. Was nur zu leicht ein neues „Animatrix“ hätte sein können, nur ohne die Ketten der Franchise-Verpflichtung, wirkt erstaunlich häufig gleichförmig und banal, inhaltlich zu selten wirklich zu Ende gedacht. Selbst als raubeiniger Eskapismus, der Sex und Gewalt in verschiedenen Genres präsentiert, geht LD&R oft die Luft aus. Dabei sind viele Kurzfilme fraglos sehr brutal und oft auch sehr freizügig, jedoch immer mit der Eleganz und provokativen Energie eines pubertierenden Sechstklässlers. Für manche Fans mag genau das der Idealzustand dieser Kurzfilmreihe sein, doch eigentlich wäre hier so viel mehr möglich gewesen.

Im Folgenden einmal alle 18 Episoden im Detail: (Hier zur Kritik von Staffel 2)

(Diese Kritik erscheint auf Grundlage der persönlichen Notizen zur Serie fürs damalige Streitgespräch, entstanden direkt nach der Erstausstrahlung im März 2019.)

#Sonnies Vorteil (Sonnie’s Edge)
[R: Dave Wilson | Studio: Blur Studios| Laufzeit: 17 Minuten]
In erstklassiger PS4-Grafik mit Uncanny Valley Menschenfiguren tauchen wir ein in eine Welt, in der Monster per mentaler Verbindungsschnittstellentechnik (oder so) von Menschen ferngesteuert werden und brutale Kämpfe austragen. Im Fokus steht die seit einigen Kämpfen unbesiegte Sonnie, die von einem Großinvestor nun einen unerfreulichen Auftrag erhält. Es ist genau das, was man sich denkt, wenn man mehr als einen Sport- oder Box-Film gesehen hat. Das ist in den Actionszenen dynamisch, wuchtig und sehr brutal, aber auch selbstzweckhaft und in die Länge gezogen. Dazu gesellt sich plakative Nacktheit, die man auch Fanservice nennen könnte. Das kann man feiern oder ablehnen. Für diesen Rezensenten ist es eher Letzteres, auch weil die Geschichte zu dünn ist, um von der billigen Bespaßung abzulenken. Insgesamt ein solider Auftakt, der aber schon die „Schwächen“ der gesamten Serie aufdeckt.
★★★☆☆

#Drei Roboter (Three Robots)
[R: V. Maldonado, A. Torres | Studio: Blow Studio| Laufzeit: 12 Minuten]
Die Menschheit ist praktisch ausgestorben, die Städte liegen brach und drei Roboter sind auf Sightseeing Tour. Ein Militärbot (oder so), ein kleiner Helferbot und eine höhere KI. Der Helferbot ist neugierig und agil, der Militärbot etwas langsam, und die hohe KI haut pausenlos sarkastische Sprüche raus. Diese drei Roboter entdecken Hinterlassenschaften der Menschheit, darunter Sportobjekte, das Konzept der Nahrungsaufnahme, sowie Katzen. Die drolligen Beobachtungen dieser drei Figuren sind clever und witzig, nehmen sich aber nicht zu ernst oder wichtig. In den Kommentaren steckt eine gute Mischung aus überzeichneten Wahrheiten, kuriosen Anspielungen und echten Gags. Der Zusammenhang mit den Katzen offenbart diese Geschichte dann als das, was sie ist, nämlich eine unterhaltsame kleine Sci-Fi-Spielerei. Dadurch, dass die Animation nicht ganz so verbissen auf überdetaillierten Realismus setzt, wirkt auch die Präsentation deutlich angenehmer.
★★★☆☆

#Die Augenzeugin (The Witness)
[R: Alberto Mielgo | Studio: Pinkman TV| Laufzeit: 12 Minuten]
Im futuristischen Hongkong beobachtet eine junge Frau aus ihrem Fenster einen Mord im Wohnhaus gegenüber. Der Täter erkennt die Frau und jagt ihr nach. Das ist der Auftakt für eine rasante Verfolgungsjagd samt Versteckspiel, die auf einen vermeintlich originellen, aber auch irgendwie erwartbaren Twist zusteuert. Das ist nicht ohne Reiz, letztendlich aber banal. Ähnliches kann man auch über den Animationsstil sagen, der wie eine etwas weniger expressive Art von Rotoscoping á la „A Scanner Darkly“ wirkt. Besonderes Augenmerk wird hier aber auf die Körperlichkeit der weiblichen Hauptfigur gelegt, die sich selbst ihrer ohnehin knappen Kleidung entledigen muss und natürlich einen Abstecher durch ein Fetisch Erotik Etablissement macht. Aus der Gamingwelt kennt man womöglich den Begriff „Jiggle Physics“ und besagte Physics wurden hier bis zum Anschlag aufgedreht, was einmal mehr wie billiger und selbstgefälliger Fanservice wirkt. Als Geschichte minimal spannend, aber eigentlich nicht groß der Rede wert.
★★☆☆☆

#Schutzanzüge (Suits)
[R: Franck Balson | Studio: Blur Studio | Laufzeit: 17 Minuten]
Das Spiel, jetzt neu im App Store! So fühlt es sich jedenfalls an. Vieles an LD&R und der Reaktion darauf ist subjektiv und das vermutlich noch mehr, als das ohnehin bei Filmen und Serien der Fall ist. Und diese Episode wirkte auf diesen Rezensenten eben wirklich wie eine leicht höherwertige Introsequenz für ein neues Handy Spiel, für einen Ressourcen Balleractioner mit InGame Käufen. Das ist zunächst noch kein zu großes Problem, wenn denn die Geschichte etwas hergibt, doch der Kampf von Farmern, die sich mit futuristischen Kampf-Mechs gegen außerirdische Krabbelmonster (Hallo, „Starship Troopers“) zur Wehr setzen, ist maximal Standard. Die Action ist groß und krachig, aber selten wirklich begeisternd oder gar originell. In dieses Kampfszenario wird dann ein wenig menschliches Drama gepackt – keine schlechte Idee – jedoch auch das ist konzipiert, geschrieben und präsentiert nach Schema F und entsprechend nicht wirkungsvoll. Allerdings wird so getan, als wäre es wirkungsvoll, als hätten wir mit diesen Figuren schon gefühlte Ewigkeiten verbracht und könnten mitfühlen, wie sie den Verlust eines geliebten Menschen betrauern.
★☆☆☆☆

#Seelenfänger (Sucker of Souls)
[R: Owen Sullivan | Studio: Studio La Cachette | Laufzeit: 13 Minuten]
Endlich haben wir hier mal so etwas wie traditionelle Animation oder zumindest etwas, das den Anschein davon erwecken soll. Das lässt stilistisch nicht erstaunen, ist aber schon jetzt eine angenehme Abwechslung. Inhaltlich geraten wir hier aber auch wieder schnell an gewisse Grenzen. Ein Forscher und ein Militärtrupp erkunden eine Höhle und sind auf der Suche nach einem großen Monster, welches sie auch finden. Wer hätte das gedacht?! Was folgt sind Flucht, Angriff und Action mit reichlich Blut und Gewalt, mit seltsam infantilen Witzen/Sprüchen und einem banalen Abschlussgag. Das ist als actionorientiertes Kurzabenteuer einigermaßen brauchbar, aber unterm Strich auch wieder reichlich banal. Aber die Katzen-Gags häufen sich.
★★☆☆☆

#Als der Joghurt die Kontrolle übernahm (When the Yogurt took over)
[R: V. Maldonado, A. Torres | Studio: Blow Studio | Laufzeit: 6 Minuten]
Das Wort „immerhin“ wird mehr und mehr zum Rettungsanker dieser Serie. Immerhin hat diese Episode ein knuffig-ungewöhnliches Figurendesign, welches wahlweise an Aardman oder „Mary & Max“ erinnert. Und immerhin hat diese Folge ein paar nette Ideen und einen sympathischen Ton. Ein genmodifizierter Joghurt erreicht ein höheres Bewusstsein, wird sich seiner Existenz bewusst und übernimmt die Kontrolle über den US-Bundesstaat Ohio, von wo aus er die Welt umkrempeln will. Es ist Pop-Sci-Fi der unterhaltsamen Sorte vom Duo Maldonado/Torres, die neben „Drei Roboter“ und diesem auch noch einen dritten Kurzfilm beigesteuert haben. Das ist in Sachen Abwechslung nicht ideal, aber angesichts der sympathischen Ideen ganz nett. Eine willkommene Abwechslung zwischen den brutalen Fotorealismus-Actionern.
★★★☆☆

# Jenseits des Aquila-Rifts (Beyond the Aquila Rift)
[R: L. Bérelle, D. Boldin, R: Kozyra, M. Luère | Studio: Unit Image | Laufzeit: 17 Minuten]
Ein neuer AAA-Titel für die aktuelle oder kommende Konsolengeneration, inklusive Uncanny Valley Gesichtsbewegungen. Ja, das ist stilistisch einmal mehr langweilige und brotlose Tech-Schau, aber es ist auch (immerhin?) schon der größte Kritikpunkt. Denn inhaltlich haben wir es hier mit einem fast idealen Science-Fiction Fallbeispiel zu tun, zumindest im Rahmen dieser Serie. Dabei wird vielleicht arg hoch gezielt, doch man erliegt hier nicht dem Fehler, zusätzliche „Lore“ vorzugaukeln, die man nicht nachliefern kann. Stattdessen wird eine nicht wahnsinnig originelle, aber doch spannende Idee recht konsequent durchgespielt. Ein Raumschiff befindet sich auf der Rückkehr von einer Mission, die kleine Crew befindet sich im Hyperschlaf, als einer von ihnen, Thom, erwacht. Man befindet sich nicht dort, wo man sich befinden soll, und schlimmer noch, es ist wesentlich mehr Zeit vergangen als geplant. Thom trifft auf Greta, eine ehemalige Geliebte, und macht bald darauf weitere unliebsame Entdeckungen. Dass diese Geschichte ihr dringend notwendiges World Building mit einer generell unnötigen, in die Länge gezogen und plakativen Sex-Szene (sowie zusätzlicher CG-Nacktheit) untergräbt (bzw. wichtige Zeit verschwendet), ist bedauerlich, inzwischen aber als „Guter Ton“ der Fotorealismus-Titel von LD&R zu erkennen. Besser macht es das aber auch nicht. Immerhin (da ist es wieder) bleiben hier die Grundqualitäten der Geschichte nicht auf der Strecke.
★★★☆☆

#Gute Jagdgründe (Good Hunting)
[R: Oliver Thomas | Studio: Red Dog Culture House | Laufzeit: 17 Minuten]
Man nimmt, was man kriegen kann: die stilisierte Handzeichnungsoptik (die wohl nicht wirklich handgezeichnet ist) ist keine ästhetische Offenbarung, wohl aber ein netter Versuch der Abwechslung und ein stilistisches Experiment. Dieses wirft uns in ein Fantasy-Steampunk China und Hongkong während der englischen Besatzung. Es geht um zwei Generationen von Jägern und mythologischen Kreaturen. Eine junge Frau ist eine Fuchsfee (Kumiho im Koreanischen, Húli jīng im Chinesischen) und macht Jagd auf böse Männer und schlimme Politiker, die fast ausschließlich böse Männer sind. Und natürlich wird diese Fuchsfee hier um Cyborg-Teile erweitert, denn wir haben ja einen Genre-Auftrag. Diese Geschichte hat zweifellos Ambitionen, was man nicht gegen sie auslegen sollte. Doch „Gute Jagdgründe“ kann diese Ambitionen nicht in Sehgenuss und/oder gute Ideen und thematische Gedanken umsetzen. Die Verbindung von Mythologie und Steam- und Cyberpunk ist überwiegend ästhetischer Natur, der politische Subtext bleibt unterentwickelt und der feministische Ansatz wirkt unglaubwürdig, nicht zuletzt da wir auch hier wieder minutenlang selbstgefällige Nacktheit präsentiert bekommen, uns an der entblößten Heldin ergötzen dürfen und sollen, während der Plot seine schwammige Ausbeutungs- und Rachegeschichte durchspielt. Eine Geschichte, die einigermaßen rund zu Ende erzählt wird, aber unterm Strich simpel bleibt. Da sollte man mal genauer schauen, was echter „Exploitation Sleaze“ wie z.B. die „Sasori Jailhouse“ Reihe mit ähnlichen Ideen und Ansätzen macht.
★★☆☆☆

#Die Müllhalde (The Dump)
[R: Javier Reclo Garcia | Studio: Able & Baker | Laufzeit: 10 Minuten]
Der Begriff Fotorealismus klingt eindeutig, ist aber dehnbar. Das beweist u.a. diese Episode, die auch fotorealistische Details und Texturen aufweist, ihre Figuren aber entscheidend verändert, sie stilisiert. Das ist ein bemerkenswerter Pluspunkt für eine Geschichte, die mit ihrer grundsätzlich „netten“ Art wieder zu den besseren Teilnehmern hier gehört. Nett ist aber noch ein gutes Stück von gut entfernt. Das Set-Up ist so simpel wie vertraut: ein Mann von der Behörde kommt zu einem Schrottplatz, um den dort lebenden Alten mit einem neuen Vertrag über den Tisch zu ziehen. Da tischt ihm besagter Alter eine Geschichte von einem Müll-Monster auf, welches angeblich hier lebt. Eine Binnenerzählung innerhalb einer Kurzgeschichte ist eine Herausforderung, manchmal aber auch gerade richtig. Hier passt es, da es nur spaßiger Unfug ist, der auf einen simplen Schlussgag abzielt. Das passt insgesamt gut zusammen, sorgt aber kaum für Begeisterung und ist praktisch sofort wieder vergessen.
★★☆☆☆

#Gestaltwandler (Shape-Shifters)
[R: Gabriele Pennacchioli| Studio: Blur Studio | Laufzeit: 16 Minuten]
Wieder Blur Studios, also wieder UHD-Fotorealismus. Das ist auf Dauer einfach nicht besonders interessant, mag es noch so hochwertig sein. Und diesen ultradetaillierten Gesichtern fehlt einfach immer etwas, der nötige Hauch Leben. Ähnlich wie „Gute Jagdgründe“ könnte man auch dieser Geschichte gewisse Ambitionen attestieren, doch hier werden sie so schnell fallengelassen, ignoriert und einem blutig-brutalen Actionplot untergeordnet, dass es wirklich frustriert. Wir befinden uns in Afghanistan unter US Marines, was grundsätzlich nicht der ideale Schauplatz ist, um „Hauptsache es knallt und suppt“ Eskapismus der Marke „Heavy Metal“ zu präsentieren. Unter den Marines gibt es auch die so genannten Dog Soldiers, echte Werwölfe, die mit körperlicher Stärke, verschärften Sinnen und Heilungsfähigkeiten eine Sonderstellung ausmachen. Diese Sonderstellung macht zwei Freunde zu Ausgegrenzten in ihrem Team. Es ist ein potentiell reizvolles Grundgerüst, mit bzw. auf dem man arbeiten kann, insbesondere dann, wenn das Gerücht eines Taliban Dog Soldiers aufkommt. Doch die flauen Ansätze von Rassismusebenen, Andersartigkeit, politischer Ideologie und Propaganda verschwinden irgendwann komplett, wenn es zwischen den Werwölfen nur krachend aufs Maul gibt. Das ist auch hier sehr nackt, sehr blutig und brutal, ja gewissermaßen auch irgendwie beeindruckend und mitreißend, aber letztendlich nicht wirklich spannend oder erzählerisch anregend. Schade.
★☆☆☆☆

#Helfende Hand (Helping Hand)
[R: Jon Yeo | Studio: Axis Studio | Laufzeit: 10 Minuten]
Diese Geschichte ist ein kleiner „Gravity“ Klon und verdeutlicht anschaulich, welchen Unterschied echte Menschen und ihre Gesichter in einer überwiegend künstlichen Umgebung machen. Eine Astronautin, ein Außeneinsatz an einem Satelliten, ein kleiner Unfall und große Folgen. Der daraus resultierende Überlebenskampf zielt einzig und allein auf eine finale Pointe mit Wortspiel-Hintergrund ab, ist aber in seiner kurzen und knackigen Art spannend und effektiv. Den physikalischen Realismus der Sache kann man hinterfragen, muss man aber nicht. Eine der besseren Episoden.
★★★☆☆

#Nacht der Fische (Fish Night)
[R: Damian Nenow | Studio: Platige Image Studio | Laufzeit: 10 Minuten]
Die entzückende Rotoscoping-Optik entstand natürlich durch Motion Capture und CGI, ist aber dennoch hübsch anzusehen. Überhaupt setzt diese Episode voll und ganz auf visuelle Spielerei und Effekte. Da dient die Geschichte nur dazu, diese Bilder irgendwie zu erden und ihnen einen vagen erzählerischen Rahmen zu geben. Zwei Vertreter, einer jung, einer alt, haben mit ihrem Auto eine Panne irgendwo im endlosen Nirgendwo eines Wüstenhighways. Der alte Mann spricht vom gewaltigen Veränderungsprozess, den die Erde in ihren Millionen Jahren durchlaufen hat, dass diese Wüste einst ein wilder Ozean war. Und in der Nacht wird die Erinnerung an das prähistorische Ozeanleben dieser Gegend wieder lebendig. Die philosophischen Ansätze dieser Episode haben den Nährwert einer billigen Grußkarte, wie man sie in jeder Buchhandlungskette im Eingangsbereich findet. Viel mehr ist es dann wirklich nicht, doch das scheint hier auch nicht der springende Punkt. Dennoch, für hübsche Bildschirmschoner wie diesen ist LD&R eigentlich verschenkt.
★☆☆☆☆

#Raumstation Nr. 13 (Lucky 13)
[R: Jerome Chen | Studio: Sony Pictures Imageworks | Laufzeit: 13 Minuten]
Eine „Halo“ Kopie, die mit ihrem Fotorealismus nicht ganz so tief im Uncanny Valley feststeckt, sich und uns aber dennoch keinen Gefallen tut. Eine junge Pilote erhält ein Transport- und Kampfschiff mit besonders schlechtem Ruf, steckt doch mehrfach die Zahl 13 in der Seriennummer. Doch sie kann den Ruf umkehren, fliegt einige erfolgreiche Missionen, bis wir nach ein paar Actionhappen in der eigentlichen Handlung ankommen, der entscheidenden Mission, die das Schicksal der Pilotin und die Natur des Schiffs heraufbeschwört. Das ist einigermaßen bildgewaltig und mitreißend, recht unterhaltsam, aber auch wieder einfach nichts Besonderes.
★★☆☆☆

#Zima Blue
[R: Robert Valley | Studio: Passion Animation Studios | Laufzeit: 10 Minuten]
Es schien kaum mehr möglich, doch hier ist endlich mal eine Episode mit konkretem Stil, mit Ideen, mit ordentlichem World Building und sogar mit einem emotionalen Kern. Wahnsinn. Der Stil ist etwas simpel und detailarm, aber er hat Charakter, ist ausdrucksstark, lässt Figuren und Welt authentisch und dadurch lebendig wirken, statt dies mit Fotorealismus vorzutäuschen. Es ist die Lebensgeschichte von Zima, dem größten Künstler des Universums, der für seinen markanten Blauton und die immense Größe seiner Werke berühmt ist, aber eigentlich aus ganz bescheidenen und pointiert ungewöhnlichen Verhältnissen stammt. Die wohldosierte Pop-Philosophie ist klug und kommt zu einem gelungenen Punkt, der nicht nur konzeptionell originell ist, sondern auch emotional bewegt. Wann hat es das in dieser Serie zuvor gegeben?
★★★★★

#Blindspot
[R: Vitaly Shushko | Studio: Elena Volk | Laufzeit: 8 Minuten]
Was für einen Unterschied es macht, wenn eine recht geradlinige 0815-Geschichte mit etwas Witz und einem lebendigen Stil daherkommt. Vier Cyborg Banditen (unterstützt von der fahrbaren Hauptquartier-Intelligenz) wollen Fast & Furious-mäßig einen Konvoi überfallen, um einen hochwertigen Chip zu stehlen. Warum sie das machen, was der Chip kann, was damit passieren soll, wer zum Konvoi gehört – all das spielt keine Rolle. Die vier Banditen wirken erfreulich lebendig, nicht zuletzt dank des Stils, der wie eine moderne Anime-inspirierte Variante von Serien wie „MASK“, „Saber Rider“ oder „Silver Hawks“ daherkommt. Inhaltlich dünn, aber mit dem nötigen Esprit, um daraus unterhaltsame 10 Minuten zu machen.
★★★☆☆

#Eiszeit (Ice Age)
[R: Tim Miller | Studio: Blur Studio, Digic Pictures, Atomic Fiction | Laufzeit: 10 Minuten]
Serienschöpfer Tim Miller mit dem Tabubruch: dies ist ein Realfilm. Oder zumindest teilweise. Mary Elizabeth Winstead und Topher Grace beziehen eine neue Wohnung und entdecken dort einen zurückgelassenen Kühlschrank. In dessen zugefrorenen Eisfach steckt Leben: eine Mikro-Welt erstreckt und entwickelt sich vor unseren Augen. Waren die kleinen Bewohner der Eiswelt eben noch im Quasi-Mittelalter, wird kurz darauf die industrielle Revolution eingeläutet. Der Haken? Man muss kein „Simpsons“ Über-Fan sein, um die legendäre Episode mit der Zivilisation auf Lisas Zahn zu kennen. Sogar „South Park“ griff diese Idee mit Seemenschen vor einiger Zeit auf. Und dieser Haken wirkt doppelt, hatte die „Simpsons“ Episode in ihren knapp 20 Minuten doch wesentlich mehr humorvolle, kreative und clevere Ideen, was man mit dieser Prämisse anstellen kann. Das macht „Eiszeit“ nicht zu einer schlechten Geschichte, aber einmal mehr zu einer unterwältigenden. Es ist aber wohl nicht zuletzt auch das ultimative Showreel für Tim Miller und insbesondere für sein Blur Studio, was ihre Effektkunst betrifft. Da liegt die Lösung auch schon auf der Hand: es ist Effektkunst, aber Animations-, Film- und Erzählkunst kommt höchstens an zweiter Stelle.
★★☆☆☆

#Alternative Zeitachsen (Alternate Histories)
[R: V. Maldonado, A. Torres | Studio: Sun Creative Studio | Laufzeit: 7 Minuten]
Von den Verantwortlichen für „Drei Roboter“ und „Joghurt“, wodurch man erahnen kann, wie der Hase hier läuft. Eine App stellte per Multiversion-Recherche alternative historische Entwicklungen vor, wie sich die Welt durch eine kleine Veränderung anders entwickelt hätte. Der Schmetterlingseffekt und so. Dieses Prinzip wird natürlich am Beispiel Adolf Hitler durchgespielt und in drollig-kruder Animation präsentiert. Was im ersten Alternativ-Szenario noch ansatzweise ernst wirkt und echte politisch-historischen Ideen verfolgen könnte, wird mit jedem neuen Szenario absurder und verrückter. Und das ist wohl auch der richtige Weg. Irgendwann ist es zwar nur noch ein Mittel zum Zweck, um diesen animierten Cartoon-Hitler in groteske Spott-Szenarien zu stecken und die Welt augenzwinkernd zu verändern, aber das ist trotz ernster Hintergründe harmloser – und daher auch gehaltloser – Spaß.
★★☆☆☆

#Geheimkrieg (The Secret War)
[R: István Zorkóczy | Studio: Digic Pictures | Laufzeit: 16 Minuten]
Von all den fotorealistischen Kurzfilmen, die wie Cut-Scenes, Intros oder Werbeclips für kommende Videospiele wirken, ist dieser Film der beeindruckendste. Die Umsetzung ist technisch schon außergewöhnlich und in vielen Details schlicht atemberaubend, doch bei den Menschen ist und bleibt es ein Störfaktor. Auch hier. Es geht um einen kleinen Trupp der Roten Armee unter der Leitung zweier erfahrener Offiziere, die zunächst die Hinterlassenschaften eines blutigen Massakers entdecken und dann die übernatürlichen Hintergründe dieses Massakers aufdecken, wodurch sie natürlich selbst in Gefahr geraten. Die historische Verortung dieser abermals blutig-brutalen Actionepisode ist nicht besonders ergiebig, bietet keinen nennenswerten Mehrwert. Doch im Großen und Ganzen ist das insbesondere visuell packend, spannend und mitreißend, macht als inhaltsarme Survival-Action-Kampfszene einigermaßen Spaß, aber auch mit den inzwischen obligatorischen Schwächen aus selbstgefälliger Gewalt und plakativer Nacktheit, ohne diesen Fanservice zu echten Transgressionen zu machen.
★★★☆☆

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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