BG Kritik: „Mad Max: Fury Road“

17. Mai 2015, Christian Westhus

Rückkehr zur post-apokalyptischen Saga: In einer ausgedörrten, chaotischen Welt wird Einzelgänger Max (Tom Hardy) von den Schergen des Tyrannen Immortan Joe geschnappt. In Gefangenschaft gerät er an Truckfahrerin Furiosa (Charlize Theron) die etwas Wichtiges aus dem Reich von Immortan Joe herausschmuggeln will und bald von der Armee des Finsterlings verfolgt wird. Max und Furiosa bilden ein zögerliches Bündnis.

Mad Max: Fury Road
(Australien, USA 2015)
Regie: George Miller
Darsteller: Charlize Theron, Tom Hardy, Nicholas Hoult, uvm.
Kinostart Deutschland: 14. Mai 2015

Die Weisheit des Alters. Der 70-jährige George Miller zeigt der Spektakelkino-Konkurrenz, was eine Harke ist. „Mad Max: Fury Road“ ist mehr als eine Kampfansage. Es ist ein Film, der die Erinnerung an die Möglichkeiten des Actionkinos wach hält. Indem er sie mit einem affenzahn in die Felswand hämmert, als neue-alte Gesetztafeln des Kinos.

Dreißig Jahre nach dem bisher letzten Teil der „Mad Max“ Reihe, vor zehn Jahres bereits angekündigt und abgesagt, mit neuem Hauptdarsteller ausgestattet und auch jetzt zwischen 2012 und 2013 mit einer äußerst schwierigen Produktion geplagt, kommt es einem Wunder gleich, dass „Fury Road“ überhaupt einem vollständigen Film ähnelt. Doch ob aus der Not geboren oder von George Miller als kühnen Kapitän des Chaos geführt, „Fury Road“ explodiert so gewaltig und formvollendet auf die Leinwand, dass jegliche Skepsis über die holprigen Dreharbeiten kilometerweit weggeblasen werden. Miller führt uns in schwindelerregendem Tempo vor, mit was für halbherzigen und künstlich zurechtgezimmerten Produktion wir zuletzt im Blockbusterkino abgespeist wurden. Miller muss keine ganzen Häuserblocks von Riesenrobotern einreißen lassen, um uns zu offenbaren, dass er zelebrierte Zerstörung und motorisierte Renn-Action um ein Vielfaches besser versteht als Michael Bay oder die „Fast & Furious“ Kollegen. „Fury Road“ zeigt das, indem auf einen gewöhnlichen Spannungsbogen beinahe verzichtet wird. Praktisch von Minute 1 an wird aufs Gaspedal getreten und nicht mehr nachgelassen. Nach einer halben Stunde kehrt erstmals so etwas wie Ruhe ein und fast möchte man verwirrt glauben gerade den Showdown, das große Finale des Films gesehen zu haben. Doch weit gefehlt.

Im Film, wie auch schon im Trailer, nutzt Miller den „Dies Irae“ (Tag des Zorns) Part aus dem Requiem von Giuseppe Verdi. Ein pompöses, mit einer immensen Urgewalt aus den Kehlen eines gewaltigen Chors donnerndes Stück Musikgeschichte, welches eigentlich zu groß, zu brachial für Kino ist, welches jedes Bild mit seiner Energie erdrücken würde. In „Fury Road“, ein eigener Tag des Zorns, wirkt Verdis Musik fast klein. Musik spielt ohnehin eine besondere Rolle, gehen kakophonische Zerstörungsorgie, die Explosionen und die röhrenden Motoren doch eine Symbiose mit dem schweißtreibend mitreißenden und häufig auch überraschend emotionalen Musikscore von Junkie XL ein. Wenn der finstere Tyrann Immortan Joe mit seiner Autoarmee die Verfolgung von Max und Imperator Furiosa aufnimmt, wenn Joes weiß bemalte Kriegerschergen, die War Boys, irre kreischend um Zeugen auf dem Weg zur Glorie in Walhalla rufen, hat der Finsterling einen eigenen gewaltigen Wagen nur für Musik dabei. Ein irrwitziges Auto-ähnliches Ungetüm dessen einziger Zweck darin besteht, ein halbes Dutzend Trommler, eine Mauer aus Lautsprechern und einen angeketteten Elektrogitarristen als musikalische Kriegstreiber mit an die Front zu bringen. Dass furiose (!) Gitarrengeschrammel treibt Joes Mannen im kriegslüsternen Eifer voran und den Film unaufhörlich vorwärts.

© Warner Bros.

„Fury Road“ ist eine Augenweide. Nicht nur ist George Miller noch ein Regisseur alter Schule, der genauer weiß, wie er seine Kamera (absolut oscarwürdig von John Seale geführt) zu platzieren und wann er einen Schnitt zu setzen hat, auch ist Miller ein genialer Irrer, der ausgefallene Ideen hat und die richtigen Designer an seiner Seite, um diese Welt mit einzigartig entworfenen Figuren, Ortschaften und insbesondere Fahrzeugen zu bevölkern. Die Nachtszenen sind in ein krasses Türkisblau getaucht, doch zumeist spielt „Fury Road“ bei Tag und fackelt unter der sengenden Hitze der namibischen Wüste ein irres Feuerwerk ab. Was hier in technischer Perfektion, mit einem ausgefeilt übersichtlichen Schnitt, mit einem notwendigen Minimum an Computereffekten und einem Maximum an zerschrottetem Metall über die Leinwand fegt spottet jeder Beschreibung. Es ist der schiere Wahnsinn, sowohl in Quantität, wie auch in Qualität. Schon die Vorgänger präsentierten ihre Schurkenbanden als schrille Gestalten zwischen Punks, Biker Gangs und S&M-Fetischisten. In „Fury Road“ führt man diese Aspekte auf die Spitze und ist gleichzeitig enorm clever darin, was Aussehen und Gadgets über eine Figur aussagen. So lernen wir Immortan Joe (herrlich brachial und urweltlich finster gespielt von Hugh Keays-Byrne) als maroden, von Wucherungen übersäten, kaum stehfähigen Greis kennen, der sich mit frisch gezapfter Muttermilch, einem eigenwilligen Brustpanzer und der markanten Gesichtsmaske zum Herrscher der groß bevölkerten Zitadelle aufgeschwungen hat.

Auch von Imperator Furiosa lernen wir fast genauso viel über ihr Aussehen, wie durch ihre Aktionen oder das, was sie sagt. Während Max, der zunächst als Gefangener und Blutspender für den ambitionierten War Boy Nux (Nicholas Hoult) mit Mundschutz herumläuft, irgendwann zu seiner bewährten Ledertracht zurückkehrt, sagen Furiosas mechanischer Arm, ihre Kurzhaarfrisur und ihr schwarzes Öl „Makeup“ auf der Stirn reichlich über diese willensstarke Frau aus. Und Furiose ist es, die „Fury Road“ so interessant macht, die Parallelen zwischen ihren Namen sicherlich nicht zufällig. Auf dem Papier ist „Fury Road“ eine simple, minimalistische und innerhalb von zwei Sätzen zusammengefasste Geschichte. Das ist kaum abzustreiten. Doch es wäre fatal und schlicht falsch zu behaupten, „Fury Road“ habe nichts unter der Motorhaube, sei ein einziges Actionfeuerwerk. Und minimale Geschichten tun dem Actionkino häufig gut. Verifizierte Meisterwerke wie „Stirb Langsam“ oder „Predator“ sind nicht gerade „Der Pate“, wenn es um die Handlung geht. Doch Miller hat weitaus mehr zu sagen als die beiden John McTiernan Actionklassiker mit Bruce Willis bzw. Arnold Schwarzenegger.

Bei all der urgewaltigen, brachialen und atemberaubend mitreißenden Action hat „Fury Road“ – so überraschend das klingen mag – einen sehr menschlichen und feministischen Kern. Max und Furiosa erkennen etwas Vertrautes in einander, erkennen ein ähnliches und doch anderes Trauma, welches beide zu überwinden versuchen. Und dann ist da der Inhalt, die „Ware“, wie Immortan Joe sagen würde, die Furiosa aus der Zitadelle heraus in eine geschützte, sichere Umgebung bringen will. Es sind Frauen, wie wir sehr schnell feststellen, die „Brüter“ von Diktator Joe, die aus dessen Klauen gerissen werden. Miller nutzt dies nicht als kleine, thematische Komponente, die irgendwie da ist, aber nur den Hintergrund aufhübscht. In knappen Dialogen, markanten Gesten oder visuellen Motiven zieht sich dieser Befreiungs- und Selbsthilfekampf der Frauen durch den gesamten Film, in dem Max bald nicht mehr wirklich die Hauptfigur spielt, sondern einen Helfer an der Seite der wahren Hauptfigur Imperator Furiosa. Die Frauen sind zudem mehr, als nur zu rettende Damseln, kraxeln auch mal selbst an den Fahrzeugen herum, greifen zur Waffe oder schlagen zu. In einem wunderbar vielsagenden, meisterhaft beiläufigen und doch effektiven Moment befreien sich die Frauen von einer besonderen Form eines Keuschheitsgürtels, der mit einem Tritt durch den Wüstensand gepfeffert wird. So wirkt es fast schon wie ein Genre Metakommentar Rosie Huntington-Whiteley unter den Frauen zu haben, die zuletzt im zerstörerischen Chaos von „Transformers 3“ praktisch nichts zu tun hatte außer auch in widrigsten Umständen gut auszusehen. Mit dieser thematischen, psychologischen und charakterlichen Basis gelingt George Miller das Erstaunliche; sein Film ist eine absolute Actiongranate, die aber geradezu danach verlangt, Hirn und Herz nicht vor dem Kinosaal zurück zu lassen. „Fury Road“ bewegt so sehr wie er begeistert. Das ist der ultimative Beweis eines Meisterwerks.

Fazit:
Ein Actionkino Meisterwerk der Extraklasse. In technischer Perfektion und berstend mit visueller Energie und Kreativität serviert George Miller einen höllisch unterhaltsamen Ritt, der die Massen des Blockbusterkinos im 21. Jahrhundert ganz gehörig alt aussehen lässt.

9,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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