BG Kritik: „Dame, König, As, Spion“ („Tinker Tailor Soldier Spy“)

20. Mai 2018, Christian Westhus

Die Handlung: Die 1970er Jahre, mitten im Kalten Krieg. George Smiley (Gary Oldman) arbeitet beim britischen Geheimdienst. Nach einer verpatzten Aktion im Ausland, nimmt die Führung um Chef „Control“ (John Hurt) ihren Hut. Smiley wird in den Ruhestand gezwungen. Doch kurz darauf macht ein Verdacht die Runde, dass sich ein kommunistischer Doppelagent bei den britischen Geheimdienstlern eingenistet hat. Ein Spion, der wichtige Information weiter gibt oder verdeckt hält. Smiley und eine kleine Gruppe Vertrauter machen sich daran, den Verräter zu finden und decken eine komplexe Verschwörung auf.

Dame, König, As, Spion
(Originaltitel: Tinker Tailor Soldier Spy | UK 2011)
Regie: Tomas Alfredson
Darsteller: Gary Oldman, Tom Hardy, Benedict Cumberbatch, Colin Firth, Mark Strong, Toby Jones
Kinostart Deutschland: 02. Februar 2012

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im Februar 2012.)

John le Carrés gleichnamiger Spionageroman von 1974 gilt als Meilenstein des Verschwörungsgenres. 1979 bereits mit Sir Alec Guinness in der Hauptrolle als TV-Miniserie verfilmt, hat die Neuverfilmung weniger als die Hälfte der Zeit, die komplexe Handlung aus Täuschung, Lüge, Verrat und allumfassendem Misstrauen zu entspinnen und zu einem goutierbaren Ganzen runter köcheln zu lassen. Gleichzeitig ist der Film auch das englischsprachige Debüt des schwedischen Regisseurs Tomas Alfredson, der mit „So finster die Nacht“ bereits eine Romanadaption stemmte und damit nicht weniger als ein Meisterwerk mit globalem Anklang ablieferte. Und weil Vorlage, Erstverfilmung und Regisseur mit einer ganzen Wagenladung an Prestige und vorhergehenden Erwartungen ankamen, versammelte sich die halbe (männliche) Schauspielprominenz Großbritanniens, um die Geheimdienstler vom „Circus“ zu verkörpern. Prominenz war hier aber glücklicherweise gleichzusetzen mit Qualität, denn das Ensemble ist schlicht großartig.

Die Männer vom MI6 leben mit Doppelnamen, Codewörtern, in ständiger Umgebung von Betrug und Verrat. Sie befinden sich in der europäischen Hauptzentrale der Überwachung, beschatten Leute, lassen Telefongespräche abhören und bilden vor allem den Knotenpunkt zwischen den Ost- und Westmächten, wortwörtlich mitten im Kalten Krieg. Für ein Privatleben haben die Männer wenig Zeit und müssen es wenn überhaupt mit der Arbeit verbinden. Niemand kann es sich leisten, will man in der Organisation einen halbwegs sicheren und lukrativen Stand haben, dem Partner oder außenstehenden Freunden auch nur irgendwas anzuvertrauen. Entsprechend reserviert treten die Männer in den schicken 70er Jahre Anzügen auf, geben nur wenig von sich preis, ganz konzentriert auf den Job und die aktuelle Problematik. Und George Smiley, mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung, hat das reservierte Auftreten perfektioniert. Die Eheprobleme, die er nicht zum ersten Mal durchmacht, haben sicherlich ihren Ursprung in Georges wortkargen, unaufgeregten und emotional wasserdicht abgeschotteten Art. Und Gary Oldman, der für diese Rolle seine (unglaublich!) erste Oscarnominierung erhielt, gelingt es, unter dieser einsturzsicheren Mauer aus Mantel, Hornbrille und strengem Scheitel Smileys Persönlichkeit spürbar zu machen, ihm tatsächlich Emotionen zu entlocken, das Innere immer mal wieder ganz subtil aufbrechen zu lassen. Eigentlich könnte man sagen, Oldman habe nicht mehr zu tun, als zu sitzen, zu stehen und Text aufzusagen, doch tatsächlich spielt sich noch viel mehr ab.

© Studiocanal

Gary Oldman steht im Zentrum der enorm verschachtelten Ermittlungen, in denen natürlich auch er selbst einen Verdächtigen abgibt. Mit verschiedenen parallel verlaufenden Handlungssträngen, einem beachtlichen Ensemble und verzweigten Rückblenden, gibt sich der Film wie der Fall selbst. Träge, schwer, teils undurchdringlich und am Ende doch so glasklar und eindeutig. „Dame, König, As, Spion“ ist altmodisches Filmemachen und in seiner zeitdehnenden Ruhe und Gemächlichkeit ein Unikum in der heutigen Filmlandschaft. Mehr noch, wenn man sich das Spionagegenre in anderen Filmen anguckt. Doch Tomas Alfredson beweist mit diesem Film, dass er nicht nur Vampire inszenieren kann. Mit einem fantastischen Ausstattung und einer grandiosen Kameraarbeit fängt er das Setting der britischen 70er und des Geheimdienst-Milieus perfekt ein. Authentizität quillt, so meint man, aus nahezu jeder Pore, aus jedem Knopf am Maßanzug. Grandios füllt Alfredson die Bilder aus, positioniert Menschen, Requisiten und Licht mit einem tollen Gespür für detailreiches Erzählen und subtilen Spannungsaufbau. Es gibt nahezu keine einzige Szene, in der das Tempo wirklich angezogen wird und doch umgibt den Film eine ständige Atmosphäre des Unbehagens, des Misstrauens und Verdachts. Genau die Atmosphäre, die auch auf Smiley und seine zwei, drei Vertrauten wirkt.

Trotz introvertierter, abgeschotteter Figuren und obwohl der Film wenig Zeit darin investiert, gibt er dennoch einen wirkungsvollen Blick ins Privatleben der Männer vom Geheimdienst. Darum geht es letztendlich (u.a.) auch; was ein Leben im Geheimen, umringt von Misstrauen und Verrat, Kontrolle und Überwachung, aus den Mitspielern macht. Neben Oldman spielen sich insbesondere Tom Hardy (Inception, Bronson) und „Sherlock“ Benedict Cumberbatch in den Vordergrund. Ihre Figuren erhalten Momente, mal nur einen kurzen Augenblick, mal eine größere Nebenhandlung, die sie greifbarer macht, die durch die errichtete Mauer blicken lässt. Denn beide gehören zur neuen, jüngeren Generation, haben sich noch nicht derart in sich selbst zurückgezogen wie Smiley, der auch von den sexuellen Nöten einer ehemaligen Kollegin nichts wissen will. Zu sehr ist er darauf bedacht, den Maulwurf zu finden, den Doppelagenten aus dem „Circus“ zu jagen. Smileys Jagd macht – man hat es kommen sehen – im letzten Drittel ein paar übereilte Schlenker mit einigen Zufällen, die schneller als nötig auf die Zielgeraden führen. Das grandios gespielte und montierte Ende, der Epilog quasi, entschädigt dafür mit einem emotional vielschichtigen und höchst spannenden Schlussakkord, der sämtliche Längen oder zu offensichtliche Konstruktion zunächst mal vergessen macht. Denn auch der möglicherweise enttarnte Doppelagent und sein Motiv sind nicht so interessant, wie die Reaktionen von Menschen im Umfeld.

Fazit:
Langsam und langatmig, aber lohnend. Spannendes Spionagekino der ruhigen Art, in einer enorm edlen, visuell exquisiten Inszenierung und mit einem großartigen Ensemble.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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