BG Kritik: „Doctor Sleeps Erwachen“

26. November 2019, Christian Westhus


Die Fortsetzung zu „Shining“: Danny Torrance ist erwachsen geworden und findet nach dem erlebten Grauen im Overlook Hotel nur langsam Halt und eine neue Perspektive im Leben. Dann begegnet er einem jungen Mädchen mit einem besonders starken Shining. Doch die junge Abra wird von einer mysteriösen Gruppe gejagt, die das Shining für sich haben wollen. Danny muss sich seiner Vergangenheit und seinen Kräften stellen, wenn er das Mädchen beschützen will.

(C) Warner Bros.

Doctor Sleeps Erwachen
(Originaltitel: Doctor Sleep | USA 2019)
Regie: Mike Flanagan
Darsteller: Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran u.a.
Kinostart Deutschland: 21. November 2019

Stephen King ist im Trend. Schon wieder oder immer noch. So wirklich mit Sicherheit ist weiterhin nicht zu sagen, ob die Kino- und TV-Welt nun generell auf King Adaption abfährt, oder ob nur ausgewählte Stoffe einen Nerv beim Publikum finden. Regisseur Mike Flanagan ist mit Kings Werk jedenfalls vertraut. Er inszenierte mit „Das Spiel“ („Gerald’s Game“) bereits einen Kurzroman (für King Verhältnisse) relativ erfolgreich und umgab seine grandiose Netflix Miniserie „Spuk in Hill House“ mit einer Aura und einem Erzählverständnis, welches mitunter mehr mit King als mit Vorlagenautorin Shirley Jackson gemein hatte. Nun also „Doctor Sleep“, Kings literarische Fortsetzung von „Shining“. Und Flanagan nimmt sich der komplizierten Aufgabe an, indem er Stanley Kubricks „Shining“ von 1980 zum filmischen „Original“ ernennt und seine Bildsprache darin verwurzelt. Es dürfte bekannt sein, dass King kaum eine Adaption seines Werks derart regelmäßig kritisch bespricht wie Kubricks „Shining“.

Ein schwieriger und mehrdimensionaler Adaptionsprozess also. Es ist jedoch auch eine Frage der Vorbildung des Zuschauers. Ob in Buch oder Film, mindestens eine Version von „Shining“ sollte man kennen. Doch vielleicht kennt man beide. Vielleicht kennt man gar die Romanvorlage dieses Films und fragt sich, wie Kings Fortsetzung bloß zu Kubricks Film passen könnte. In diesen transmedialen Adaptionsdetails liegt lange Zeit der größte Reiz von „Doctor Sleep“. Denn auch wenn die „Der Film ist so anders“ Vorwürfe gegen Kubricks „Shining“ zuweilen übertrieben waren, gab es doch einige kleinere und größere Unterschiede. Manche sind lediglich der Natur einer Adaption oder der zeitlichen Begrenzung eines Films geschuldet, andere wiegen schwerer. Dass Kubrick aus dem (besonders) bösen Zimmer 217 seltsamerweise Zimmer 237 machte – irrelevant. Dass große Heckentiere einem gewaltigen Heckenlabyrinth weichen mussten – vermutlich von Vorteil. Dass Hotelkoch Halloran bei Kubrick starb, bei King aber überlebte, könnte im ersten Moment irritieren, spielt dann aber keine Rolle mehr.
Schwerer wiegt da schon, dass Kubrick ein nur sekundäres Interesse am Shining, an Danny, an Tony und am „Hunger“ des Hotels hatte. Sein Film fokussierte sich auf den schleichenden (galoppierenden?) Wahnsinn von Jack Torrance, bedingt u.a. durch lange Zeit vage übersinnliche Vorgänge. Nun nimmt das Shining eine noch größere, noch wichtigere Rolle ein.

(C) Warner Bros.

Ähnlich wie es Jesse Pinkman in „El Camino“ erging, befindet sich auch Danny Torrance nach der Flucht aus dem Overlook und vor dem mörderischen Vater nur bedingt in Sicherheit, ist eigentlich noch nicht erlöst. Er hat ein Trauma mit ganz eigenen Regeln, also bekommt er von einem alten Weggefährten eine Technik, die ihm helfen soll, zurück ins Leben zu finden. Dies gelingt nur schwerlich. Als wäre der Adaptions- und Referenzstatus des Films nicht schon kompliziert genug, erinnert uns Ewan McGregor als erwachsener Dan – Danny heißen nur Kinder – für einen Moment an „Trainspotting“, um seinen Status Quo zu kommunizieren. Dan Torrance ist ganz Vaters Sohn, ein Alkoholiker und Egoist, ein Wrack, doch er versucht noch einmal die Kurve zu kriegen, sich zu bessern. Dann rutscht die junge Abra (Kyliegh Curran) in Dans Gedanken, wird zu einer Art Shining Brieffreundin. Doch Abras Shining ist derart stark, dass es das Interesse einer Gruppe weckt, die sich Wahrer Knoten nennt.

Es dauert eine ganze Weile, bis Flanagan sein Script geordnet bekommt, seine Handlungsstränge bündelt, zusammenlaufen lässt und auf ein gemeinsames Ziel zusteuern kann. Manch Details sind Beiwerk, nicht unbedingt schlecht oder störend, aber zweifellos Elemente, die es wohl nicht in ein originales Filmscript geschafft hätten. Manchmal, so scheint es, verzichtet Flanagan auf resolute Effizienz in Drehbuch und Schnitt, nur um noch einmal eine gezwinkerte Referenz zu streuen. Dass Danny, pardon, Dan über Bruce Greenwood einen neuen Job erhält, hätte man nur zu leicht implizieren oder mit einem anderen Dialog verbinden können. Doch wir müssen das Büro von Greenwoods Dr. John (Carter?) sehen, um zu erkennen, dass es dem Büro des einstigen Overlook Hotelmanagers Ullman verblüffend ähnlich sieht. Überhaupt, der Job, verhilft er dem Film bzw. dem Buch doch zum Titel. Regisseur Flanagan (auch Drehbuch und Schnitt) kondensiert die notwendigsten Elemente durchaus geschickt und wirkungsvoll zusammen, doch so sehr es auch fasziniert und Dan um Persönlichkeit und emotionale Nuancen erweitert, ist es in einem Film wie diesem auch narrativer Ballast.

(C) Warner Bros.

Gefühlt zehn Texteinblendung mit Ortsnamen und gelegentlichen Zeitangaben mutet uns die erste halbe Stunde zu. Elegant ist das nicht, aber auch nicht nötig. Man sollte den Bewegungen von Dan, Abra und dem Wahren Knoten auch so folgen können. Der Knoten wird angeführt von Rose „The Hat“ (Rebecca Ferguson), selbst Shining-begabt, die die „Steam“ genannten Kräfte anderer Begabter für sich und ihre Begleiter nutzen will. Abra, das Shining und der Knoten vermengen Stileinflüsse der Macht aus Star Wars mit Anleihen an X-Men Mutantengeschichten und Vampirismus. Ausgiebige Szenen von wildem „Geschnüffel“ können mitunter belustigend wirken, ehe uns der Film eine nur bedingt graphische, aber dennoch höchst effektive Mordszene präsentiert, die uns gekonnt in die andere Richtung stößt. Es ist eine kuriose und zuweilen extravagante Geschichte, was von Mut zeugt, sowohl bei King als auch bei Mike Flanagan. King hat in seiner langen und überaus produktiven Karriere schon verrücktere, schrägere und absurdere Ideen zu Papier und in die Köpfe der Leser gebracht. Doch die King’sche Kinowelt – und die schließt „Shining“ gleichermaßen ein wie „ES“ – hat derlei esoterische Fantasy noch kaum erlebt. Der kurios inkohärente „Dark Tower“ ist jedenfalls nicht ohne Grund gefloppt.
Die Jagd nach Steam bzw. die Flucht vor und der Kampf gegen den Wahren Knoten dominiert den leicht überlangen Mittelteil des Films, in dem Dans Charakterentwicklung lange Zeit mit angezogener Handbremse weitergeschoben wird. Er reagiert oft mehr, wenn überhaupt. Es sind Abra und Rose, die die Handlung antreiben, dabei aber nicht wirklich über den Status als potentiell reizvolle, aber ausbaubar spannende Figuren hinauskommen. Das ist alles auf hohem Niveau und doch ein wenig flach.

Es mag wie ein Spoiler erscheinen, doch es ist so logisch wie unvermeidlich, dass diese Geschichte noch einmal zum Overlook Hotel zurückfindet. Wie praktisch, dass das Gebäude in der „Shining“ Welt nach Kubrick noch steht und so zu einer aufwändigen (und überwiegend echten) Set-Rekonstruktion verleitet. Es ist fraglos die beste Overlook Nachstellung seit „Ready Player One“. Der Weg hierher war ein wenig unrund, leicht in die Länge gezogen, nicht immer packend genug. Doch im „hungrigen Hotel“ fühlt sich Mike Flanagan deutlich wohler, fühlt sich wie in seinem Hill House, wie er insbesondere bei einem ersten Rundgang beweist. Nicht zuletzt hier vertraut Flanagan auf das visuelle Gedächtnis des Zuschauers, der nach Möglichkeit sofort erkennen sollte, um welche Ecke im Hotelflur Dan gerade läuft und wen er eigentlich sehen müsste, nachdem die Kamera folgt. Der Film verzichtet darauf – vermutlich eine gute Entscheidung – Jack Nicholson, Shelley Duvall, Scatman Crothers und Danny Lloyd nach moderner Art digital zu reaktivieren. Stattdessen wurden die Rollen neu besetzt, mit Maske und Kostümen in die Nähe des Kubrickfilms gerückt. Man verlässt sich ganz darauf, dass der Zuschauer dies übersetzen und akzeptieren kann, doch so spannend und faszinierend die finale halbe Stunde auch ist, stolpert der Film hier ein ums andere Mal ins Uncanny Valley. Doch „Doctor Sleep“ musste auf existierende Bilder Bezug nehmen. Zu sehr sind beide Handlungen verknüpft, als dass dieser Film für sich stehen könnte. Der gestalterische und inszenatorische Einfallsreichtum Kubricks ist für Mike Flanagan gleichermaßen Fluch und Segen. Und so verhält es sich dann auch wohl mit dem Zuschauer.

Fazit:
Langatmig, aber stimmungsvoll. „Doctor Sleeps Erwachen“ ist für sich genommen ein unterhaltsames und ordentlich gemachtes Horrorfantasy Drama. Doch der komplizierte Status als Buchverfilmung und doppelte Fortsetzung macht Mike Flanagans Film besonders interessant. Die Adaptionsverpflichtung hindert gleichermaßen wie sie beflügelt.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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