BG Kritik: „Orphan – Das Waisenkind“

1. Januar 2020, Christian Westhus

Familie Coleman adoptiert nach einem eigenen Verlust die junge Esther. Doch bald schon häufen sich mysteriöse und negative Vorfälle mit und durch das junge Mädchen. Ein neuer Horrorfilm aus dem Untergenre der bösen Horrorkinder. Ein neuer „Das Omen“?

Orphan – Das Waisenkind
(Originaltitel: Orphan | USA, Kanada, Deutschland, Frankreich 2009)
Regie: Jaume Collet-Serra
Darsteller: Vera Farmiga, Peter Sarsgaard, Isabelle Fuhrman
Kinostart: 22. Oktober 2009

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum damaligen Kinostart, wurde für den Re-Upload 2020 minimal überarbeitet.)

Teufelskind Esther. Familie Coleman holt sich personifizierten Ärger ins Haus, der sich nicht so schnell abschütteln lässt. Noch dazu kommt dieser Ärger in Kindergestalt und mit Engelsgesicht. Kommt uns das nicht aus schätzungsweise 325 verschiedenen Filmen bekannt vor? Wenn „Orphan“ in diesem oft unsuaber definierten Horror-Subgenre herausragen möchte, braucht es Neuerungen oder zumindest Qualitäten irgendeiner Art, die den Film im filmischen Kulturgut der „bösen Horrorkinder“ irgendwie auffallen zu lassen.

Es geht eigentlich ganz ordentlich los. Die tatsächliche Herkunft der schrillen ersten Szene kann man zwar schon früh erahnen, doch als delirierender Angsttrip mit zynischer Note ist das (für einen Hollywoodfilm) schon recht gelungen. Überhaupt macht das erste Drittel noch Hoffnung auf einen wirklich guten Film. Leider, aber leider auch „natürlich“, kann der Film diesen Level nicht halten und die Probleme liegen – getreu dem Mehrheitsprinzip aus 100 Jahren Filmgeschichte – beim Ende. Bis es so weit ist lernen wir die Figuren kennen. Nicht zuletzt da Vera Farmiga und Peter Sarsgaard tatsächlich gute Schauspieler sind, sind Kate und John einigermaßen greifbar und sympathisch. Zwar befinden wir uns in einem abgesicherten – und wie üblich abgelegenen – Oberklassehaushalt mit den gängigen Charakterhintergründen und traumatischen Geheimnissen, doch mit diesen charakterlichen Ansätzen kann man arbeiten.

© Studiocanal

Beim Plot müssen wir dem Film ein wenig entgegen kommen. „Orphan“ ist nicht der erste Film, der trauernde Eltern dazu zwingt, einen erlittenen Verlust mit einer Art „Neuanschaffung“ auszugleichen. So etwas mag es sogar in der Realität geben und doch kann man hier und da die Fäden sehen, an denen die Handlung baumelt und aufgebaut wird. Dass Kate und John Coleman noch zwei eigene leibliche Kinder haben, die nach Esthers Ankunft plötzlich in die Röhre gucken, ist noch so eine durchschaubare Konstruktion, wie es auch gleichermaßen durchschaubar und überzeichnet scheint, wenn Esther mit ihrer affektiert-seltsamen Art in der Schule aneckt. Doch das Drehbuch und Regisseur Jaume Collet-Serra wissen, dass diese Elemente nötig sind, dass man sich nicht stumpf und unvorbereitet ins Gruselchaos stürzen kann. So haben es „Der Exorzist“, „Das Omen“ und unzählige asiatische Filme über oftmals paranormale Dämonenkinder vorgemacht.

Ein Horrorfilm im Mystergewand soll „Orphan“ sein. Ist die Boshaftigkeit des Kindes realer oder übersinnlicher Natur, spielt das eine Rolle? Das Script ist gelegentlich recht clever, wenn es unser Wissen um diese Genre-Trends gegen uns ausspielt, tappt jedoch mindestens genauso häufig in gewisse Genre-Fettnäpfchen, strapaziert Logik und Glaubwürdigkeit der Figuren. So wird Esther geradezu eingeladen, ernste Gespräche ihrer neuen Eltern mitzuhören und ihr Wissen dann gegen Kate und John auszuspielen. Waren die beiden Eltern zunächst einigermaßen standfest konstruiert, müssen sie sich nun den Konventionen des Genres unterordnen, müssen offensichtliche Fehler machen und quasi unbegründet das Vertrauen in einander verlieren. Irgendwie sollen aus den einst geerdeten Hauptfiguren ja auch wandelnde Irre werden, wenn es zum rasanten Finale geht. Und hier ist dem Film offenbar (fast) jedes Mittel recht.

Dass das Gebilde „Orphan“ nicht völlig in sich zusammenfällt hat zwei Gründe. Die guten Darsteller und die ehrliche, menschliche erste halbe Stunde sind ein Grund, der andere Grund heißt Jaume Collet-Serra. Dieser inszeniert nicht übermäßig subtil und manchmal mit dem Hang zur Effekthascherei, aber schon mit Gespür für Bilder und Atmosphäre. Er lässt sich ausreichend Zeit, zieht das Tempo im richtigen Moment an und weiß ordentlich Spannung aus der Prämisse zu holen. Nicht zu drastisch, aber auch nicht zurückhaltend inszeniert Collet-Serra einige gelungene Szenen, zum Beispiel am Spielplatz, am Baumhaus oder im Krankenhaus. Auch das Finale, wenn man sich von der Auflösung erholt hat und nur noch ums Überleben kämpft, hat einige wirklich spannende und sogar unheimliche Momente.

Apropos Auflösung. Das Horrorgenre hat schon abstrusere und schädlichere „So war’s wirklich“ Offenbarungen erlebt. „Orphan“ suggeriert vielmehr zu viel und liefert zu wenig, um zu einem wirklich runden Ende zu gelangen. Die Überrascht ist groß und doch etwas zu sauber vorbereitet. So ist „Orphan“ letztendlich ein sehenswerter, aber nicht fehlerfreier Horrorfilm, der nach einem guten, aufs menschliche Drama fokussierten ersten Drittel immer mehr ins Generische abdriftet.

Fazit:
Die Bemühungen und einige unbestreitbare Stärken sind in „Orphan“ gut zu erkennen. Es ist kein 08/15-Horrorfilm von der Stange. Doch wirklich rund ist diese neue Variation des „Böse Kinder“ Subgenres auch nicht.

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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