BG Kritik: „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“

2. September 2019, Christian Westhus

Die Handlung: Zur Zeit der Great Depression in den USA: Gloria (Jane Fonda), eine erfolglose Schauspielerin, meldet sich bei einem Tanz-Marathon Wettbewerb an, um mit dem Preisgeld über die Runden zu kommen. Als ihr Tanzpartner absagt, wird sie an den jungen Robert vermittelt. Bald schon werden die verzweifelten Hoffnungen der Teilnehmer von der unbarmherzigen Realität eingeholt.

Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss
(Originaltitel: They shoot Horses, don’t they? | USA 1969)
Regie: Sydney Pollack
Darsteller: Jane Fonda, Michael Sarrazin, Gig Young, Susannah York
Kinostart Deutschland: 10. September 1970 (Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im September 2014.)

Die Verfilmung des Romans von Horace McCoy verhalf Regisseur Sydney Pollack („Tootsie“, „Out of Africa“) zum Durchbruch, Jane Fonda zu ihrer ersten Oscarnominierung und war Namensinspiration für eine intellektuelle online Filmdatenbank. Dennoch fristet der Film ein vergleichsweise ruhiges Dasein, was angesichts der inhaltlichen Qualitäten noch viel bedauerlicher ist, als wegen all der Dinge, die durch den Film erfolgten.

Marathon Tanzveranstaltungen gab es tatsächlich. In den USA der 1920er und 30er waren diese Wettbewerbe ein nomadisches Massenphänomen. Wettkampf und Zuschauerbefriedigung gleichzeitig, waren die häufig über mehrere Wochen oder gar Monate abgehaltenen Marathon Tänze schnell von Manipulationen und Lügen vereinnahmt. Horace McCoys Roman und Sydney Pollacks Film fassen diesen so eigenartig erscheinenden Wettbewerb auf, als wäre er metaphorisches Kernstück einer dystopischen Zukunftswarnung. Der Marathontanz ist nicht anders als die Hungerspiele von Panem oder besser noch als das Karussell aus „Logan’s Run“ (Flucht ins 23. Jahrhundert).

Nun spielt „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ aber nicht in der Zukunft, sondern war schon zur Entstehungszeit ein Blick zurück. Dass die Große Depression die vielen hungernden, hoffnungslosen, an der Armutsgrenze vegetierenden Menschen des Landes bis zum Äußersten trieb, wurde schon in vielen Filmen behandelt. Doch selten mit einer solchen metaphorischen Wucht, die umso mehr wirkt, weil sie eben keine Metapher ist. Nur, wenn wir es auf heute übertragen. Denn die Marathon Tanzwettbewerbe von damals sind die Castingshows von heute. Oder so. Für ein kleines Eintrittsgeld können Zuschauer so lange sie wollen dem wochenlangen Treiben beiwohnen, können eventuell als Sponsor eintreten. Sponsoren für favorisierte Tanzpaare, so die offizielle Seite, aber konkreter noch als Sponsoren für den Veranstalter. Schnell wird nämlich deutlich, dass mal wieder der Weg das Ziel ist, dass der Wettkampf nicht für die Teilnehmer, sondern für die Zuschauer gemacht wird.

© ABC Pictures / Kino Lorber

So folgen wir einigen ausgewählten Figuren, wie sie die zermürbende Monotonie, den Schlafmangel, die mangelnde Privatsphäre und die kontinuierlich schwindende Hoffnung ertragen, bis Showleiter Rocky (Gig Young, der den einzigen Oscar erhielt) mal wieder zum Wettrennen aufruft. Beim Wettrennen müssen die Paare zusammen Runden laufen gegen die restlichen Paare. Das geht mehrere Minuten lang und führt am Ende zur Disqualifizierung der drei letzten Paare. Es ist bezeichnend, dass alle von der ersten Minute an rennen wie die Wahnsinnigen, statt gemeinsam zu verschnaufen und zu warten. Die Tänzer sind kein Kollektiv, sie sind Konkurrenten. Alle gemeinsam gefangen von der existentiellen Not, irgendwie an etwas Geld zu kommen, aber im Wettbewerb gegeneinander aufgestachelt, da es nur einen Sieger, nur einen Preisgeldempfänger geben kann.

Pollacks Regie gelingt das Erstaunliche, sowohl die körperlich zehrende, mental zermürbende Monotonie der Tänze einzufangen, als auch die hysterische Aggression der Wettrennen, und beides dabei kontinuierlich zu steigern. „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ ist gleichzeitig grotesk komisch, endlos faszinierend und gnadenlos zermürbend. Schauspielerin Gloria und der eigenartig schweigsame Robert stehen im Vordergrund. Fonda spielt eine ihrer besten Rolle, zeigt sie doch so geschickt und effektiv die Wunden, die unter ihrer zynisch-herablassenden Fassade durchschimmern. Pollacks wilde Kamera und sein gezielter Schnitt wirken Wunder, wenn geschicktes Kostümdesign und fantastische Makeup-Effekte die Erschöpfung von gefühlten Jahren in den Gesichtern aufzeichnen. Der emotionale Terror der Marathonveranstaltung wirkt sich auch auf die Paare aus und reicht zurück bis hinter die Kulissen. Da ist das Paar mit der schwangeren Frau, die sich bis über die körperlichen Grenzen verausgaben, um zu gewinnen. Da ist Sailor, der älter aussieht als er ist, dessen Partnerin nicht die Ausdauer hat, die er mitbringt. Und da ist Alice, auch eine Schauspielerin, die besonderen Wert auf ihre Kleider legt und sich damit angreifbar macht. Sie alle sind die tanzenden Äffchen für Publikum und Veranstalter, die im Laufe der Wochen Körper und auch Geist aufopfern.

Fazit:
Zermürbend schonungslose Geschichts-Groteske, die sich anfühlt, als zeige uns jemand eine dunkle Vorahnung der Zukunft. Grandios gespielt und geschickt inszeniert ist der Film eine einmalige und faszinierende Erfahrung.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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