BG Schocktober Kritik: „We Are What We Are” (2013)

14. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

We Are What We Are (USA, 2013)
Regisseur: Jim Mickle
Cast: Bill Sage, Ambyr Childs, Julia Garner

Story:
Familie Parker lebt zurückgezogen in einer ländlichen Gegend der USA. Als die Mutter stirbt, ist es an den jungen Töchtern (Childs, Garner), die abseitigen und kriminellen Familientraditionen fortzuführen, nach der strengen Anweisung von Vater Frank (Sage). Doch die Polizei scheint dem langjährigen Treiben auf die Spur zu kommen und die kaum erwachsenen Frauen beginnen ihre Traditionen und Familienwerte zu hinterfragen.

(diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe „Treasure Monday“, aktuell unter „Treasure Tuesday“ bekannt und wurde im Juni 2014 erstmals veröffentlicht)

Jim Mickles Film ist ein Remake des mexikanischen (und durchaus sehenswerten) Horrorfilms „Somos lo que hay“/„Wir sind was wir sind“ von 2010. Doch anders als unnötige Amerikanisierungen internationaler Genrefilme, wie z.B. „The Silent House“ oder „Let me in“, ist „We are what we are“ eher ein Independent- und Autorenfilm. Nicht gemacht, um ein größeres Publikum zu erreichen, sondern um eine neue Geschichte zu erzählen. Mickle zeigt, wie man Remakes tatsächlich anzupacken hat und liefert gleichzeitig einen Film, der auch völlig ohne Kenntnis des Originals enorm fasziniert.

Mickles Remake funktioniert, weil es sich kaum wie ein Remake anfühlt. Man erkennt den Grundplot, die Familie mit der „ungewöhnlichen“ Tradition, doch viel mehr Überschneidung braucht es gar nicht. Kennt man das mexikanische Original, fallen ein paar mehr Dinge auf, mit denen Mickle seine ganz eigene Geschichte formt. So behält er das Grundpersonal bei, tauscht aber praktisch 1:1 die Geschlechter. So wird aus einer Geschichte über die Nachfolge eines Patriarchats nun ein Blick auf eine Art Matriarchat mit patriarchischem Einfluss. Nach dem unerwarteten Tod der Mutter sollen die kaum erwachsenen Töchter Iris (Ambyr Childs) und Rose (Julia Garner) die Traditionen nach Anweisung ihres Vaters fortführen, denn bei den traditionsreichen Riten, insbesondere zur Nahrungszubereitung, stehen die Frauen in der Verantwortung. Rose und Iris, zusammen mit ihrem deutlich jüngeren Bruder, wuchsen zurückgezogen auf, mit nur wenig Kontakt zu Leuten außerhalb des Stückchens Land das ihrer Familie gehört. So laufen die Parker Töchter zuweilen herum wie eine Landfamilie um 1900 und folgen den Anweisungen ihrer Eltern lange Zeit ohne sie zu hinterfragen. Doch nun, da ein Bruch durch die Familie geht und die jungen Frauen früher als geplant hinter den Vorhang gucken, kommen diese Fragen auf.

Was genau die Familie im Geheimen treibt wird nicht als große Schlussoffenbarung zurückgehalten, soll hier dennoch unerwähnt bleiben. Bei der Funktion der absonderlichen Taten tut sich der größte Unterschied zwischen den Filmen hervor. Das Original von Jorge Michel Grau verarbeitete den Plot und die Taten zu einer sozio-politischen Metapher über die Zustände in den Randgebieten der mexikanischen Großstadt. In dieser Metapher verliert und verläuft sich das Original zuweilen aber auch. Mickles Film ist klarer und fokussiert sich stärker auf die Figuren, die nun echte Charaktere sind, statt Symbolfiguren eines metaphorischen Schauspiels. Dem dreckigen braun-gelben Anstrich Mexikos setzt Mickle die grau-blaue Kälte des amerikanischen Nordwestens gegenüber. Die Riten sind hier ein Ausdruck des Familienbunds, der sich im doppelten Sinne auf einen Bund des Blutes überträgt.

© Entertainment One / Belladonna Productions / Memento Films International / Uncorked Productions / Venture Forth

Der Regisseur des mexikanischen Originals lobte Jim Mickles US-Version.

© Entertainment One / Belladonna Productions / Memento Films International / Uncorked Productions / Venture Forth

Obwohl die Bilder kühl und rau sind, weckt Mickles bedächtige, fein beobachtende Inszenierung eine gewisse Wärme. Der Film versetzt uns in die Familie Parker, lässt uns teilhaben an ihrem Alltag und an den Vorbereitungen zum Ritual. Es ist ungewöhnlich lieblich, fast schon romantisch, wie die Familie zur Tat schreitet und wiederholt, was die vorherigen Generationen prägten. Damit schwächt der Film nicht ab, sondern macht die Objektivität der Perspektive klarer. „We are what we are“ ist, wenn man so will, ein Coming-of-Age Horrordrama, ein Film über familiäre- und elterliche Strukturen, die von der adoleszenten neuen Generation aufgegriffen werden sollen, aber irgendwann auch kritisch hinterfragt werden. Im Angesicht von Bill Sages körperlicher Dominanz spielen Ambyr Childs und Julia Garner zwei faszinierende Schwesternfiguren, die zaghaft die Fühler nach der Welt außerhalb ihres Hauses ausstrecken, aber ganz eigen darauf reagieren das zu tun, was sie als Mitglieder der Familie Parker zu tun haben.

Die mögliche Enttarnung durch die Polizei, die längst vergessen geglaubte Beweise und damit eine Spur zu den Parkers findet, gibt der Handlung einen neuen Anstoß, wie auch die Bekanntschaft der Parkers zu einem Arzt, dessen Tochter vor einigen Jahren verschwand. Das ist spannend und charakterlich reizvoll, doch ebenso nur von sekundärem Interesse, wie das, was sich im Keller der Parkers befindet. Mickles Film entwirft ein faszinierendes Bild einer ganz speziellen Familie, was es heißt, zu einer Familie zu gehören, welche Verantwortungen man hat und welche Konsequenzen sich daraus entwickeln. Es ist die allseits beliebte „Nature vs. Nurture“ Dichotomie. Schnittmenge und Unterschiede zwischen Natur und Erziehung. Auf die Frage, wie und wo das Individuum im Mikrokosmos einer absonderlichen Familie wie den Parkers Platz hat, findet der Film interessante Antworten, präsentiert in einem formell beachtlichen Film, der zeigt, wie spannend und originell Remakes sein können, wenn man sie richtig anpackt.

Fazit:
Spannendes und originelles Remake, das überwiegend losgelöst vom Original eine neue Eigenständigkeit entwickelt. Ein gut inszenierter, gut gemachter Horrorfilm und ein wahrlich faszinierendes Charakterporträt.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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