BG Kritik: „Gemini Man“

3. Oktober 2019, Christian Westhus


Henry Brogan (Will Smith) ist der Beste seiner Zunft. Sein Beruf macht ihn zum Tötungsspezialisten für den amerikanischen Geheimdienst, doch Brogan wird nicht jünger und will nicht länger die emotionale Last des Tötens tragen. Er will raus und erhält von einem Partner vermeintlich hochbrisante Informationen. Grund genug für seinen Vorgesetzten Clay Verris (Clive Owen), ein Killerkommando auf Brogan zu hetzen. Bald blickt dieser einem der geschickten Killer ins Gesicht und sieht eine jüngere Version von ihm selbst.

(C) Skydance Media, Paramount

Gemini Man (USA, China 2019)
Regie: Ang Lee
Darsteller: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong
Kinostart Deutschland: 03. Oktober 2019

Technologie ist Marketing. Wer keine große IP hat, also auf eine bereits etablierte und berühmte Marke zurückgreifen kann, muss andere Wege finden, um die Gunst der Zuschauer zu erhalten. Vor einer Weile waren noch Filmstars die großen Werbe-Zugpferde, mit denen Leute in die Kinos gelockt wurden. Will Smith war damals einer der größten dieser Filmstars, doch er alleine kann einem Film wie diesen ähnlich wenig zum Kinoerfolg verhelfen, wie ein Brad Pitt einen „Ad Astra“ pushen kann. Ein Smith/Pitt hilft, aber es muss mehr sein.
„Gemini Man“ fährt direkt zweigleisig, um sich mit technologischen Besonderheiten hervorzuspielen. Da wäre einmal die Sache, dass wir es hier mit gleich zwei Will Smiths zu tun bekommen. Einer der beiden sieht etwas anders aus, jünger, was gut zur publikumswirksamen Technik im bald anlaufenden „The Irishman“ passt, aber in der Umsetzung als komplett eigene digitale Figur eher einem Thanos entspricht als dem jungen Nick Fury aus „Captain Marvel“. Doch die eigentliche technologische Besonderheit von „Gemini Man“ nennt sich HFR.

Regisseur Ang Lee („Tiger and Dragon“, „Brokeback Mountain“, „Life of Pi“) drehte den Film in 120 FPS, das heißt mit 120 Bildern pro Sekunde. Der Standard für Filme liegt seit gut 100 Jahren bei lediglich 24 Bildern pro Sekunde. Seit ein paar Jahren ist Lee zu einem zweiten James Cameron geworden, experimentiert mit Spezialeffekten, 3D-Technologie und anderen Präsentationsformen, drehte bereits das Kriegsveteranendrama „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ in 120 FPS. Doch diesen Film hat praktisch niemand gesehen – und erst recht nicht in 120 FPS. Es ist ein Schicksal, welches „Gemini Man“ ein Stück weit teilt, denn kaum ein Kino bzw. kaum ein Projektor kann die 120 Bilder pro Sekunde wirklich bewerkstelligen. Weltweit ist die 60 FPS 3D-Version die handelsübliche Fassung, doch selbst diese HFR Version, die letztendlich eine Halbierung der vom Regisseur intendierten und gedrehten Version ist, wird es nur in ausgewählte Kinos und in ausgewählte Säle schaffen.

Die hohe Bildwiederholfrequenz soll Digitaleffekte und insbesondere 3D-Effekte verbessern, soll den Flackereffekt bei 3D vermeiden und so ein schärferes und intensiveres Seherlebnis generieren. Wer damals beim „Hobbit“ die 48 FPS Version ausprobiert hat, wird sich vielleicht daran erinnern, dass das Spiel mit der Bildfrequenz ein enorm subjektives ist. Die Augen müssen sich an die neuen Sehumstände gewöhnen und auch das Gehirn muss sich umstellen, was bei einigen Leuten zu Kopfschmerzen führen kann. Für den Autor dieser Kritik waren die 60 FPS allerdings deutlich angenehmer als die 48 beim Hobbit damals. Und ja, sowohl der „junge“ Will Smith als auch Tiefenschärfe, Klarheit und „Volumen“ der 3D-Bilder sind ein absolutes Highlight. Mit so etwas kann Netflix (noch) nicht mithalten. Doch HFR bleibt unbestreitbar eine technische Spielerei, ein Zusatz, der mitunter mehr ablenkt, als dass er das Immersionserlebnis intensiviert. „Gemini Man“ sieht in dieser Präsentationsform einfach ungewöhnlich aus, was seinen Reiz haben, aber auch irritierend wirken kann. Wenn „gewöhnliche“ Filme matt sind, ist „Gemini Man“ einer, der mit Klarlack überzogen wurde. Kann man mögen, muss man aber nicht.

(C) Skydance Media, Paramount

„Gemini Man“ ist letztendlich aber auch ein Film, der eine solche technische „Neuerung“ einfach nötig hat, um überhaupt irgendwen für sich zu gewinnen. Die Geschichte eines Killers, der aussteigen will, von seinen ehemaligen Arbeitgebern gejagt wird und sich mit seinem jüngeren/besseren/gefühlsloseren Nachfolger anlegen muss, fühlt sich bei jedem Schritt irgendwie vertraut an, kommt nahezu komplett ohne echte Überraschungen aus. Smith gibt Hauptfigur Henry Brogan eine gewisse Weichheit, die seinen „Ich habe genug vom Töten“ Gewissenswechsel unterstützt, lockert das internationale Hin und Her der Handlung ansonsten mit einer wohldosierten Menge seiner unterhaltsamen Lässigkeit auf. Eine wirklich spannende Figur wird Brogan dennoch nicht. Er bekommt in Mary Elizabeth Winstead und Benedict Wong zwei gleichermaßen sympathische wie unterhaltsame Partner an die Seite gestellt, die streng genommen keine wirklichen Schwachpunkte darstellen oder offenbaren, den Film aber auch nur bedingt verbessern. Winsteads Figur Danny wird uns und Henry erst mit einer Finte präsentiert, die durch einen Blick auf den Trailer (oder auf die Castliste) aber sofort in sich zusammenfällt und auch ohne vorheriges Wissen schnell durchschaut werden kann. Auch dieser Faktor ist nicht schlimm, immerhin lässt sich auch Brogan nicht täuschen, doch es verlangsamt die Handlungszeit eines Films, der mit knapp zwei Stunden Laufzeit definitiv nicht zu kurz ist.

Der Zusatz des geklonten Doppelgängers wirkt erst wie das interessanteste und spannendste inhaltliche Konzept des Films, doch das Script (u.a. von „Game of Thrones“ „Mastermind“ David Benioff) weiß nicht viel damit anzufangen. Das Geheimnis ist schnell enttarnt, die Beweggründe von Strippenzieher und Bösewicht Clive Owen sind Genrestandards und thematisch kann der Materie kaum etwas abgewonnen werden. Es sind eher irritierend offengelassene Fragen, ob militärisches Talent Teil der DNA eines Menschen sein kann, ob Training in die Körperbausteine eines Menschen einfließt, wo Veranlagung endet und wo Erziehung anfängt. Grundsätzlich durchaus spannende Ideen, doch „Gemini Man“ wirft bestenfalls mit ein Stichworten umher, hat für eine Weile mehr Interesse daran, die Smiths um eine Vater-/Sohn-Dynamik zu bereichern. Den treffendsten Moment hat „Gemini Man“ dann, wenn beide Smiths ihr romantisches (Des-)Interesse an Winsteads Charakter mit ihrem jeweiligen Altern erklären. Ansonsten haben wir es mit einem grundsoliden Actionfilm zu tun, den Ang Lee routiniert inszeniert, dem er eine fantastisch choreographierte und eingefangene Verfolgungs- und Kampfszene im Mittelteil spendiert, ehe alles in einem durchschnittlichen Actionfinale mündet. Technik ist Marketing, doch ein müdes „solide“ oder „nett“ als Urteil ist für einen Film im heutigen Markt vermutlich fataler als ein wilder Verriss. Leider.

Fazit:
HFR ist eine spannende, aber auch schwierige Sache. Abseits seines technischen Gimmicks ist „Gemini Man“ ein grundsolider Actionthriller; von einem sonstigen Meisterregisseur routiniert inszeniert, einigermaßen unterhaltsam und sympathisch, ohne wirklich auffällige Patzer, aber auch inhaltlich flach, austauschbar und schnell vergessen.

6/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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