BG Kritik: „Hell“ (2011)

4. Juni 2019, Christian Westhus

Ein deutscher Genre-Versuch: Es ist 2016. Die globale Erwärmung ist weit fortgeschritten. Die Temperaturen steigen, Ernten blieben seit Jahren aus, gesellschaftlichen Strukturen haben sich aufgelöst. Die Schwestern Marie (Hannah Herzsprung) und Leonie versuchen mit Philip (Lars Eidinger) die Berge zu erreichen, wo sie Wasser vermuten. Unterwegs warten immer wieder Probleme auf das Trio, darunter eine Gruppe Wegelagerer, die Reisende angreift und verschleppt.

Hell
(Deutschland, Schweiz 2011)
Regie: Tim Fehlbaum
Darsteller: Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg
Kinostart Deutschland: 22. September 2011

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im September 2011.)

Weltuntergang Nummer 325. In nur all zu naher Zukunft hat sich das Gerede von globaler Erwärmung bewahrheitet. Statt schmelzender Polkappen, Flutwellen und dem Erliegen des Golfstroms, plagt die Welt eine Hitzewelle. Trockenheit und Dürren überziehen die brach liegenden Länder. Aus Deutschland ist eine vertrocknete und verbrannte Steppe geworden. So weit, so bekannt. Aber Moment! Deutschland? Es ist der einzig neue Einfall, wenn man es so nennen will, den es zu bewundern gibt. Es ist aber auch der Entscheidende. Schauplatz eines Endzeit-Thrillers ist Deutschland ja nun nicht alle Tage. Für seinen Debütfilm wollte Regisseur Tim Fehlbaum ganz bewusst einen Genrebeitrag aus deutschen Landen abliefern und fand in Produzent Roland Emmerich einen prominenten Wegbereiter. Genrefilme sind hierzulande ja immer noch Unikate. Postapokalyptische Endzeit-Filme ganz besonders. Es entgegen der Gewohnheit von Publikum und Filmemachern dennoch zu versuchen, erscheint schnell bewundernswert und mutig. So wie der letztjährige Vampirfilm „Wir sind die Nacht“ ein größer budgetiertes Ausrufezeichen im deutschen Genrefilm sein sollte, kommt auch „Hell“ als nötige und wichtige Ansage daher, eine größere Genrevielfalt zu etablieren. Die Gefahr ist nur, sich auf diesem Stand, mutige Pionierarbeit zu leisten, auszuruhen.

Inhaltlich ist Fehlbaums Film von so etwas wie Pionierarbeit nämlich weit entfernt. Eigentlich interessiert den Regisseur, der auch am Drehbuch beteiligt war, nicht mal die apokalyptische Prämisse. Eine Texttafel informiert grob über den aktuellen Zustand der Welt, etabliert das Grundszenario. „Gesellschaftliche Strukturen sind aufgelöst.“ Und los! Völlig befreit von politischen Dimensionen oder metaphorischem Subtext geht es nur um die kleine Auswahl an Menschen, die im verdorrten Deutschland irgendwie zu überleben versuchen. Ist ja auch nicht verkehrt, ein solcher Fokus. Und Fehlbaum hält die Erzählperspektive, bis auf die Einstiegssequenz, erfreulich klar durch, sogar inklusive spannender Black Outs, die Zweifel und Fragen aufkommen lassen. Ansonsten ist der Ablauf altbekannt. Ein Auto als umgebauter Lebensraum, Sammeln von Lebensmitteln, Erkundung der Umgebung, ständige Vorsicht und die vage Hoffnung auf Rettung, die man am Ende der Reise vermutet. Das erinnert wahlweise an „The Road“, ohne jemals so pessimistisch und grimmig zu sein. Das erinnert an „Carriers“, nur ohne die virale Angst vor dem Nebenmann. „Hell“ ist routiniertes Endzeitkino. Spannend und technisch ansprechend gemacht, aber nahezu komplett frei von Überraschungen.

© Paramount Pictures Germany

Was sich zunächst nur wie eine unsichere Fahrt nach Punkt X durch gefährliches Gelände ausgibt, wird schnell zu einem Survival-Thriller, der die Endzeit-Thematik nur dazu nutzt, gesellschaftliche Verrohung ohne größere Erklärungen verständlich zu machen. Ein bisweilen rasantes und nicht uninteressantes Hin und Her aus Gefangennahme, Befreiung und erneuter Gefangennahme. Die Hitze, das grelle Sonnenlicht, fehlendes Wasser und kaum Nahrung – all das interessiert ab der Halbzeitmarke nur noch im Ansatz. Die vermeintlich bösen Entführer haben ihre ganz eigenen Methoden entwickelt, in der rauen Umgebung ihr Überleben zu sichern, und unsere Hauptfiguren stecken mittendrin. Aus „Hell“ wie Helligkeit wird mit zunehmender Spieldauer tatsächlich die Hölle, aus der unsere Helden entkommen müssen. Und nicht zuletzt dank der etwas offensichtlich, aber geschickt konträr angesetzten Figuren, wird der gewaltsame Überlebenskampf eine spannende und interessante Angelegenheit. Welchen Menschen kann man vertrauen, wie viel Zeit und Ressourcen kann man opfern, und ab wann ist eine Rettungsaktion nur noch ein Selbstmordkommando? Zwischen den Schwestern Marie und Leonie, sowie Maries Quasi-Freund Philip, werden der Zusammenhalt von Familien und Beziehung auf eine Probe gestellt und erhalten durch die Bedrohung der Entführer anschauliche Gegenbeispiele.

Insbesondere Frontfrau Hannah Herzsprung macht wie gewohnt eine gute Figur, balanciert manch hysterische oder unlogische Unebenheit aus und überzeugt sowohl in Bedrohung wie in Action. Lars Eidinger und Stipe Erceg sind als gegensätzliche Männertypen passend besetzt, wobei besonders Eidinger nicht immer verstecken kann, dass sein übervorsichtiger Philip eher Mechanismus denn Charakter ist. Nie zu bitter, nie zu tiefenpsychologisch legt Fehlbaum seinen Film an. Es ist Survival-Action und kein radikaler Humanismus-Exkurs, wie beispielsweise Michael Hanekes „Wolfzeit“. Nur ein, zwei Mal blitzt in „Hell“ eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Unvermittelbarkeit auf, die man ja gemeinhin im europäischen Film vermutet. Der Rest ist früh gefundene Routine eines Regie-Neulings. So ist „Hell“ in erster Linie ein Vehikel für Tim Fehlbaum, dem man eigentlich keine all zu großen Vorwürfe machen kann. Außer natürlich, dass auch er nur vorhandene Mechanismen und Techniken gekonnt anwendet, ohne wirklich Neuland zu betreten. Das von einem jungen Hochschulabsolventen zu verlangen, schießt auch etwas übers Ziel hinaus. Fehlbaum nutzt die Kamera in entscheidenden Momenten frei und körperlich, lässt die Actionszenen trotz Panik und Chaos nachvollziehbar erscheinen und nutzt die farbgefilterte Ödnis des sonnenlichtdurchfluteten Brachlands durchaus geschickt. Der deutsche Anwesenheitsbeweis im Endzeit-Genre ist ein durchweg spannender und rundum solide inszeniert Thriller, dem es an neuen Ideen mangelt. Routiniert, aber charakterlos.

Fazit:
Rares deutsches Genre-Kino. Am Ende bleibt die Feststellung, dass die Macher noch ein wenig zu lernen haben oder mutiger sein sollten, aber „Hell“ ist durchweg solide inszenierte Thriller-Action mit Survival- und Endzeitcharakter. Spannend und technisch ordentlich, sowie gut gespielt, doch leider auch frei von Innovationen und Überraschungen.

6/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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