BG Kritik: „Der Kastanienmann“ (Netflix)

18. Oktober 2021, Christian Mester

In Dänemark geht ein grausamer Serienkiller um, der es hauptsächlich auf vermeintlich schlechte Mütter abgesehen hat und dabei überall kleine Kastanienbasteleien hinterlässt. Zähneknirschend forscht die dezernatsbeste Ermittlerin Naia Thulin drauf los, obwohl sie eigentlich längst in eine andere Abteilung wechseln wollte….

Regie: Mikkel Serup
Besetzung: Danica Curcic, Iben Dorner, Mikkel Boe Foesgaard

Skandinavische Thriller und Krimis sind spätestens seit der Buchreihe „Verblendung“ und ihrer zweifachen Verfilmung mit Noomi Rapace und Rooney Mara als Lisbeth Salander heiß begehrt, doch warum eigentlich? Sind es die kühlen, aber wunderschönen Gegenden mit ihren riesigen Wäldern und Seelandschaften, die sich ideal für Mordfälle eignen? Ist es eine gefühlt klar greifbare Mentalität dänischer, norwegischer, finnischer und schwedischer Polizisten, die man in Deutschland nicht so findet? Ist es die vermeintlich kältebedingte ernstere, humorlosere, melancholischere Stimmung, die derartige Ermittlungen besonderes interessant färben?

© Netflix – Screenshot aus Trailer https://youtu.be/OfduINeGZCQ

Die Romanverfilmung „Der Kastanienmann“ schlägt bekannte Wege ein und erzählt diese recht grundsolide. Wieder geht es um eine schaurige Mordserie, die mit einem finsteren Familiengeheimnis zusammenhängt, wieder ist es mit höherstelligen Leuten verknüpft, wieder geht es um relativ einsame Seelen mit zerrütteten Beziehungen, die sich Nächte um die Ohren schlagen und Leuten hinterherstöbern, die als Hobby Gliedmaßen abschneiden und Leichen als Kunstwerk hinterlassen, wieder gibt es zahlreiche mögliche Verdächtige, selbst in den Reihen der Beamten.

Über 6 Episoden erzählt, kann sich die ruhige Geschichte mehr Zeit lassen als ein typischer Zweistünder, doch so wirklich Kapital schlagen die Macher daraus nicht. Zwar gibt es so mehr Möglichkeiten, das Buch nicht einkürzen zu müssen, doch obwohl die Mördersuche im Prinzip ganz gut inszeniert ist und man bis zum Schluss mitfiebert wer wohl dahinter stecken mag, aber insgesamt fehlt es überall an Höhepunkte. Es gibt keine einzige Sequenz, die besonders spannend ist, keinen besonders herausragenden Charakter. Musik, Ausstattung, Darsteller sind alle auf einem guten Niveau, aber es fehlen fraglos Highlights.

Gerade „Verblendung“ konnte sich da hervorheben, mit der ausgesprochen interessanten Figur der Lisbeth, die als introvertierte Superhackerin mit Piercings und Stacheldrahtattitüde herrlich mit dem schnöseligen Reporter Blomquist zusammenarbeiten musste, und das auch noch bei einem über drei Teile spannend verknüpften Mordfall mit mehreren Schichten. Naia Thulin hingegen ist naja, eine relativ flache Figur. Dass sie Ihre Tochter ähnlich vernachlässigt wie die Opfer ihrer Mordreihe passt zwar thematisch, wird aber von den Machern leider so gar nicht kommentiert. Ihr neuer Kollege Hess ist ehrgeizig und eckt schnell mit Kollegen an, doch die Figur wirkt so für sich stehend, dass sie kaum spürbare Bindung zu der Partnerin findet.

Dann wäre da noch die Politikerin Rosa Hartung, deren Tochter vor geraumer Zeit spurlos verschwunden ist und die irgendwie mit den Kastanienmorden in Verbindung zu stehen scheint. Hier lehnt sich die Serie vor allem auf die verständliche Trauer und Fassungslosigkeit der Eltern, und findet dramatisch tatsächlich ihre besten Momente.

Verglichen mit dem ebenfalls höhepunktlosen, aber genialen „Memories of Murder“ fehlt es hier auch an Details in der Ermittlung. Zum einen wird die Arbeit Mordermittlung kaum näher beleuchtet, wird nicht groß auf die Forensik eingegangen, zum anderen kommen zu viele Zufälle zusammen, die das Geschehen zu einfach beeinflussen.

Fazit:
Rundum solide gemachte Skandi-Crime, der es aber schon aufgrund der vielen Konkurrenz überall an echten Spitzen fehlt, um länger in Erinnerung zu bleiben. Brauchbar zusammengebastelt, aber eher marode als Marone.

5/10

Kommentare 18

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung