BG Kritik: „One Night in Miami“

19. Januar 2021, Christian Westhus

Prime Video statt Kino. Das Regiedebüt von Schauspielerin Regina King lässt Muhammad Ali, Malcolm X und zwei weitere historisch reale Persönlichkeiten der 1960er aufeinander treffen.

One Night in Miami
(USA 2020)
Regie: Regina King
Darsteller: Kingsley Ben-Adir, Eli Goree, Leslie Odom Jr., Aldis Hodge
Veröffentlichung Deutschland: 15. Januar 2021 (Prime Video)

Schauspielerin Regina King hat ein paar erfolgreiche Jahre hinter sich, in denen sie sich in die vorderen Ränge des amerikanischen Filmgeschäfts vorarbeiten konnte. Gekrönt durch den Oscar für „Beale Street“ (2018), ist die Amerikanerin insbesondere durch ihre Hauptrolle in HBOs „Watchmen“ berühmt. Nun also das Spielfilmdebüt als Regisseurin, nachdem King ihre inszenatorischen Fähigkeiten schon seit Jahren im TV ausgetestet hatte. Als Basis für ihr Kinodebüt greift King auf ein Theaterstück zurück, tut es ihrem Kollegen Denzel Washington gleich, der sich u.a. bei seiner Regiearbeit „Fences“ (2016) auf das gesicherte Fundament eines Bühnenwerks verließ. Anders als Washington verzichtet Regina King auf eine Darstellerrolle, bleibt gänzlich hinter der Kamera, um ihren vier Hauptdarstellern und den vier porträtierten Legenden der afroamerikanischen Geschichte die Bühne zu bereiten und zu überlassen.

Es ist Februar 1964 und Miami verbringt eine laue Nacht. In einem Motel werden in Kürze vier Männer aufeinandertreffen, vier Freunde, vier Verbündete, vier historisch authentische Figuren. Die Personen sind real, diese Begegnung allerdings fiktiv. „One Night in Miami“ – das Stück wurde 2013 uraufgeführt – versucht es ein wenig wie Nicolas Roegs „Insignificance“ (1985), wo in ähnlicher Art und Weise Marilyn Monroe, Albert Einstein, Joe DiMaggio und Joseph McCarthy aufeinander trafen. War es dort ein kurioser Zufall, steckt hier ein Plan dahinter. Insbesondere Malcolm X (Kingsley Ben-Adir) fädelt das Treffen im Anschluss an einen Boxkampf ein. Es geht um die große Sache, um alles, um die Zukunft des schwarzen Amerikas, wie der redegewandte Bürgerrechtler und hohes Mitglied der „Nation of Islam“ Bewegung formuliert. Er braucht starke, prominente und einflussreiche Unterstützung.

© Amazon Studios

Von Bodyguards (u.a. Lance Reddick) bewacht prallen im unscheinbaren Motel bald schon Weltbilder und Wertesysteme aufeinander. Und natürlich Persönlichkeiten. Da ist Cassius Clay (Eli Goree), nach seinem Sieg über Sonny Liston nun Boxweltmeister, der kurz vor seinem Beitritt zur Nation of Islam steht, womit er zu Muhammad Ali werden sollte. Wir haben Jim Brown (Aldis Hodge), schon zu aktiven Zeiten einer der größten Footballer aller Zeiten, der auf der Suche nach einer Karriere im Anschluss an die Karriere in Kontakt mit Hollywood gerät. Anwesend ist auch Sam Cooke („Hamilton“ Star Leslie Odom Jr.), der altmodische Schmusesongs für ein fast ausschließlich weißes Publikum singt, der als Produzent das große Geld macht, während Namen wie Bob Dylan und Schlagworte wie die British Invasion die Ahnung einer großen Veränderung innerhalb der Musikwelt entfachen. Wo ist Sams Einsatz für „die Sache“, für die gemeinsamen Ziele, fragt Malcolm X, der die Stimme des populären Sängers als potentiell mächtigste Waffe der vier Männer sieht. Malcolm X und die Nation of Islam wähnen sich an einem Scheidepunkt in der Entwicklung der USA und in der Geschichte schwarzer Amerikaner. Ein Scheidepunkt, der mit dem nötigen Einfluss und Widerstand bearbeitet werden muss. Passivität und Neutralität bedeuten Schwäche, bedeuten Verrat. Doch tanzt Malcolm X vielleicht etwas zu sehr nach der Pfeife von NOI-Anführer Elijah Muhammad, fragt Sam zurück. Liegt der einzige Weg, sich erfolgreich und würdig in diesen Zeiten zu beweisen, darin, den weißamerikanischen Status Quo zum Feindbild zu erklären?

Es ist ein Film, basierend auf einem Theaterstück. Und das spürt man leider immer wieder recht deutlich. Mit einem erzählten Flashback und einer musikalischen Montage gegen Ende findet Regisseurin Regina King zwei Momente, um die Möglichkeiten des neuen Mediums auszuschöpfen, doch ansonsten ist „One Night in Miami“ ein Film über vier Männer in geschlossenen Räumen. Die vier Darsteller, allen voran Kingsley Ben-Adir, sind stark und intensiv dabei, bekommen von der bewusst zurückhaltenden Regie die notwendigen Freiheiten und die Unterstützung, um die bedeutungsvollen Dialoge der Vorlage zu vollenden. Doch oftmals ist es eben wirklich nicht viel mehr als pflichtbewusst und bescheiden eingefangene Debattiermomente zwischen vier Männern. Kemp Powers Bühnenstück ist eine spannende und komplexe Angelegenheit, voller Ideen und Anregungen, mit einem reizvollen Konflikt zwischen verschiedenen Ideen und Vorstellungen. Dass die Sachverhalte der Streitgespräche und Diskussionen in den USA von 2020 keineswegs veraltet, sondern brandaktuell sind, erübrigt sich beinahe zu betonen. Es ist nicht nur ein Diskurs vielseitiger Probleme und Ideen, sondern auch eine Huldigung und Verneigung vor vier unterschiedlichen afroamerikanischen Ikonen und Legenden, deren Einfluss auf unterschiedliche Art und Weise jeweils kaum zu überschätzen ist. All das vermag Kings Filmadaption vermitteln, doch als filmisches Werk selbst bleibt diese Version von „One Night in Miami“ hinter den Möglichkeiten zurück. Was unterm Strich übrig bleibt ist aber dennoch aller Ehren wert.

Fazit:
Die fiktive Begegnung vier historisch realer Persönlichkeiten ist reich an spannenden Ideen, klugen Diskussion und lebendigen Darstellern. Regina King inszeniert in ihrem Regiedebüt zurückhaltend und ohne zu große Stilisierung, lässt den Bühnen-Ursprung des Stoffs aber hin und wieder zu deutlich werden.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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