Kinostart Spotlight: „Der Unsichtbare“ und seine sichtbaren Vorgänger
Jede neue Kinowoche bringt zahlreiche neue Filme in die Multiplexe und Programmkinos des Landes. Manchmal ist die Auswahl derart groß und unübersichtlich, dass man den Überblick verliert. Beim „Kinostart Spotlight“ werfen wir einen Blick auf einen ausgewählten Neustart der anstehenden Kinowoche und auf eine Besonderheit dieses Films. Die Filmographie eines Regisseurs, die Eigenheiten eines Genres, die Buch- oder Comicvorlage. Heute wird es tatsächlich schwieriger mit dem tatsächlichen Sehen, denn der titelgebende Charakter dieser Filmreihe ist tatsächlich eher nicht zu sehen; jedenfalls, wenn es nach ihm und seinen sinistren Intentionen geht. Die Rede ist vom neuen Film „Der Unsichtbare“ von Leigh Whannell (Hauptrolle und Drehbuch von „Saw“, Regie beim originellen „Upgrade“, Drehbuch von „Insidious“ 1-4), der diese Woche fies ins Kino schleicht.
Moment, Filmreihe? Jep, denn der schwer zu sehende Schurke kam schon in zahlreichen anderen Filmen vor, mal offizieller, mal weniger offiziell. Werfen wir doch mal ein bisschen Farbe auf den ungewöhnlichen Kollegen, um das Ungesehene hervorzuheben.
Alle wollen unsichtbar sein
Unsichtbare Charaktere gibt es gewiss zuhauf, denkt man nur mal an die vielen körperlosen Schauderschrecken in Horrorfilmen, die Dinge bewegen, Türen knarzen lassen und plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Gehen wir allerdings von lebenden Unsichtbaren aus, dürfte Claude Rains wohl fraglos der OG Unsichtbare vom Dienst sein. Er war es, der 1933 die Hauptrolle in „Der Unsichtbare“ spielte, einer teuren und aufwändigen Verfilmung des gleichnamigen Romans vom visionären Autor von „Krieg der Welten“ und „Die Zeitmaschine“. Der Film, in dem ein Wissenschaftler ein Unsichtbarkeitsserum entwickelt, davon wahnsinnig wird und in einem Dorf Morde begeht, gehört heutzutage zum ikonischen Universal Classic Monsters Banner, das die Horrorkultklassiker des Studios bezeichnet. Kein Begriff? Na, vielleicht wenn man mal die anderen Titel der Reihe nennt: „Dracula“ mit Bela Lugosi, „Frankenstein“, „Frankensteins Braut“ und „Die Mumie“ mit Boris Karloff, „Der Wolfsmensch“ mit Lon Chaney jr, und natürlich der Fischmensch in „Der Schrecken vom Amazonas“.
Der Unsichtbare an sich mag zwar weniger übernatürliches Monster wie die anderen sein, verbindet aber Dr. Frankensteins Experimentierwahnsinn mit der zwanghaften Gewaltausübung der Kreaturen – und sicherte sich damit seinen Platz neben den anderen. 6 Fortsetzungen erhielt der Erstling damals, wobei es keine konkreten Sequels waren, eher neue Geschichten mit anderen Leuten, die ebenfalls nicht mehr zu sehen sind. Hervorzuheben sind da wohl die Komödie „Die unsichtbare Frau“, in der eine Frau durch Trinken von Alkohol unsichtbar wird, und der genregemischte „Der unsichtbare Agent“ aus dem Jahr 1942 (!), in dem ein Spion mit Unsichtbarkeitsserum in Deutschland landet und eine Eroberung der USA verhindern will. „Der Unsichtbare“, der jetzt im Kino startet, ist die erste offizielle neue Verfilmung.
Andere prominente Unsichtbare
Da man einen unsichtbaren Protagonisten allein nicht als Idee für sich behalten kann, gab es in der Filmgeschichte natürlich noch jede Menge derartige Figuren. Da wäre zum Beispiel Sue Storm von den Fantastic Four aus allen drei Verfilmungen, was dann entsprechend in der charmant geklauten Pixarumsetzung „Die Unglaublichen“ von der kleinen Violet übernommen wurde. Warner Bros. wollte in den 90ern einen eigenen Titel zum Thema haben, setzte dafür aber auf eine seltsame Kombination: Regisseur John Carpenter („Halloween“, „The Fog“) und Comedystar Chevy Chase von den Grisworlds Urlaubsfilmen. Das Ergebnis war „Jagd auf einen Unsichtbaren“ – ein kalauerloser Komödienflop, der auch in Zukunft besser ungesehen bleibt. Sony wollte es thrilliger, böser und schickte mit Paul Verhoeven („Robocop“, „Starship Troopers“) einen anderen Kultfilmmacher ins Rennen, der mit Kevin Bacon „Hollow Man“ inszenierte. Inhaltlich war der zwar restlos dreist vom Universal Klassiker geklaut, konnte aber mit reichlich Tempo und (damals) sensationellen Effekten aufwarten.
Logischerweise kehrt Unsichtbarkeit auch in diversen Fantasysachen ein. So kann sich Frodo mit dem einen Ring bekanntlich unsichtbar machen, während sich Harry, Ron und Hermine einen magischen Umhang umtun, um umbemerkt durch Hogwarts zu schleichen. Ein anderer Unsichtbarer taucht im komischen Comic-Film „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ mit Sean Connery auf, in der Tom Sawyer mit einem Sportwagen durch Venedig fährt (obwohl Venedig keine Straßen hat). Da es aber ein komischer Avengers-Teamfilm ist und eigentlich alle anderen mehr im Vordergrund stehen, kommt er nur kurz vor. 2007 gabs dann noch etwas origineller ein Drama namens „Unsichtbar – Zwischen zwei Welten“, in dem ein Junge einen Unfall hat, seine Seele seinen Körper verlässt und er dann zu seinen Freunden läuft, um auf seinen sterbenden Körper hinzuweisen.
Ein oft übersehener, aber doch auch relevanter Unsichtbarer dürfte der ominöse Predator sein. Mit seinem Camouflage-Anzug bricht er das Licht um sich herum und ist vielleicht nicht gänzlich, aber zu 95% unsichtbar fürs menschliche Auge. Bei Aliens funktioniert das zwar nicht, da sie trotzdem seine Körperwärme sehen können, aber gerade im ersten Teil mit den Menschen zieht der Aspekt viel Spannung daraus, dass die Elitesoldaten den lauernden Rückratsammler nicht sehen können.
Die Faszination des nicht-gesehen-werden-können
Denkt man mal darüber nach, ist Unsichtbarkeit in erster Linie eine Machtsache. Die Vorstellung, in der Privatssphäre heimlich beobachtet zu werden ist so schon unangenehm genug, aber wenn der Voyeur auch noch tatsächlich im Badezimmer oder Schlafzimmer mit drin ist, ohne dass man es weiß, ist das schon echt schaurig. Es schlägt ja immens gegen die Urinstinkte, wenn man eine drohende Gefahr nicht mit den gottgegebenen Sinnen erkennen kann. Ähnlich fühlt es sich im Meer an, wenn man unter Wasser nicht weit schauen kann und man bibbernd rätseln muss, ob man schon von einem Hai geortet worden ist, der viel besser hören und riechen und zehnmal schneller schwimmen kann als man selbst. Man ist plötzlich unterlegen, ausgeliefert, in einer unüblichen Beuterolle. Im neuen Film kommt noch ein anderer Aspekt hinzu, denn Elisabeth Moss fleht die Polizei um Hilfe an, aber niemand glaubt ihr, dass ihr gewalttätiger Exmann wirklich nicht zu sehen ist.
Vergleichbares Grauen wird im alten Horrorfilm „The Entity“ behandelt. Da behauptet eine Frau, ständig von einem unsichtbaren Angreifer misshandelt und, schlimmer noch, vergewaltigt zu werden. Die Wissenschaftler glauben ihr natürlich nicht, weil es höchst unwahrscheinlich klingt – bis sie es mit ihren eigenen Augen sehen und dann wenig machen können, um es zu verhindern. Ausgesprochen effektiv hat es auch der kürzliche Horrorfilm „It Follows“ betrachtet, in der das Ganze auf den Kopf gestellt wird – das Opfer kann den kommenden Angreifer zwar kommen sehen, sonst jedoch keiner. Entsprechend kann auch kaum einer helfen.
Natürlich kann man die Sache auch von der anderen Seite und weniger invasiv gewalttätig sehen. Wer würde nicht mal gern unbemerkt aus reiner Neugier in andere Häuser steigen, Gespräche mithören und an berühmten Orten hinter die Kulissen sehen, wie man es anders nie erleben könnte? Gar keine Frage, unsere Moral lässt solche Gedanken glücklicherweise und zu Recht direkt schlecht anfühlen, weil man selbst auch keine derartige Unterwanderung der Privatssphäre erleben will (man stelle sich mal vor, wie viele nackte unsichtbare Perverslinge eine angesagte junge Schauspielerin andauernd fürchten müsste) – aber wenn mans konsequenzlos könnte, würden es viele sicherlich ausprobieren. Allein schon, um sich mal in Area 51 umsehen zu können oder um mal bei LucasFilm nachzuschauen, ob sie nicht doch irgendwo ein „Star Wars“ Episode 4-6 Blu-ray Set mit unbearbeiteten Originalversionen im Regel stehen haben (wer seine Unsichtbarkeit ernsthaft für den Snyder Cut von „Justice League“ verschwenden würde, soll sich bitte schämen gehen).
Ungesehene Probleme mit der Unsichtbarkeit
Ok, nehmen wir mal an, man hat es erfolgreich geschafft, unsichtbar zu sein. Ist das denn aber wirklich so wünschenswert? Zunächst mal muss man überlegen, ob man das körperlich kann oder technologisch. Auf einen Knopf am Anzug drücken ist auf jeden Fall hundertmal praktischer als das Gegenteil, denn wenn man seinen Körper unsichtbar machen kann – dann nur den. Entsprechenderweise muss man immer nackt herumlaufen, da man sonst noch die Kleidung sehen kann (ja, Kevin Bacon läuft in „Hollow Man“ die ganze Zeit nackt rum. Die Tatsache, dass er nackt ist, macht das heimliche Einbrechen noch zwanzig Mal schlimmer).
Wenn man alle Zellen im Körper unsichtbar machen kann, was ist mit dem Essen, das man verdaut? Oder sieht man dann eine halb verdaute Currywurst durch die Gegend schweben? Kann man das Wasser, aus dem wir ja hauptsächlich bestehen, auch unsichtbar machen? Was, wenn man mit der Technik das Wasser des Meeres unsichtbar machen würde? Das wär ja verrückt. Was, wenn es einen Unfall gibt, und immer mehr und mehr Sachen versehentlich unsichtbar werden? Autos, oder Straßen zum Beispiel? Dadurch, dass man nicht gesehen wird, könnte man ständig mit anderen zusammenstoßen. Auch würden fahrende Autos einen partout nicht sehen und stumpf gegen bzw. über einen fahren. Man müsste wesentlich vorsichtiger sein als vorher.
Wenn man sich das mal militärisch eingesetzt vorstellt, ist es bestimmt effektiv, wenn man ein feindliches Lager mit unsichtbaren Agenten überfällt. Damit würde man sich Feuergefechte und Explosionen sparen. Andererseits würden kurz darauf alle gegnerischen Soldaten mit aufwändigen Superbrillen rumlaufen, man würd noch mehr Minen und Alarmauslöser verteilen, man stellt sich einfach auf die neue Situation ein. Einen Vorteil hätte es allerdings intern. Beim Appell mit dem brüllenden Sarge bräuchte man nicht mehr angespannt gerade da stehen wie eine 1 und man müsste nicht auf Frisur und Kleidung achten, da der Sarge etwaige Makel eh nicht sehen kann. Bei Ungehorsam könnte man sich auch die befohlenen Liegestütze sparen und einfach nur etwas angestrengt atmen, um es ihm vorzugaukeln. Andererseits kann man sich gemeinsame Aktionen wie das Laufen im Trupp oder das gegenseitige Helfen beim Überqueren von Hindernissen echt schwierig vorstellen, wenn man die anderen nicht sieht. Da würde man ständig stolpern, ins Leere greifen oder von anderen überrannt werden.
Wie dem auch sei – „Der Unsichtbare“ schleicht diese Woche in die Kinos und wird definitiv einen Blick wert sein!
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