Tom Cruise dreht im All, aber sollte er das? Die Grenzen des Schauspiels

18. Mai 2020, Christian Mester

© Paramount Pictures

Vor kurzem wurde angekündigt, dass Tom Cruise für einen neuen Film (keinen „Mission: Impossible“) ins All fliegen will, um dann vor Ort Szenen auf der International Space Station drehen zu können. Werfen wir einen Blick zurück, ist er schon in den letzten Jahren mit ähnlichen Aktionen aufgefallen. Für den kommenden „Top Gun 2: Maverick“ flog er in echten Kampfjets mit; für „Mission: Impossible: Fallout“ lernte er Hubschrauber fliegen und flog alleine gefährliche Stuntflüge; für „Mission: Impossible: Rogue Nation“ hängte er sich an die Außenseite eines startenden Flugzeugs und drehte eine gefährlich lange Unterwasseraufnahme, und für „Mission: Impossible: Phantom Protokoll“ kletterte er an den Fenstern der oberen Stockwerke des Burj Khalifah herum.

Mal ganz abgesehen davon, dass es beeindruckende Wagnisse und effektive PR-Methoden sind – ist es für Film an sich notwendig? Natürlich sieht etwas echter aus, wenn jemand etwas Besonderes echt macht, anstatt per Filmtricks nur so auszusehen, aber wenn wir mal zurück zum Grundprinzip des Schauspielens gehen, dann steckt da doch schon im Kern drin, „dass man nur so tut“. Man tut so, als wäre man eine andere Person, die in einem nachgestellten oder fiktiven Szenario gewisse Sachen macht, und zwar so, wie es sich jemand per se ausgedacht hat, mit dem Ziel, ein Publikum zu unterhalten. Film ist da im Grunde wie Theater, nur weitaus komplexer und aufwändiger.

Natürlich ergibt sich in manchen Konstellationen ein zusätzlicher Unterhaltungseffekt. Schaut man sich Jackie Chans Martial Arts Werke an, ist man neben der gezeigten Unterhaltung zusätzlich verblüfft, was für Stunts er persönlich macht. Was noch unterstrichen wird, wenn man im Abspann eine Montage der fehlgeschlagenen Versuche sieht – und sei es nur ein immer wieder missglückter Sprung durch eine Stehleiter. Kein Wunder, dass manch einer sagt, die Abspänne seiner Filme seien das beste an diesen. Allerdings funktioniert das nicht bei Filmen wie „Die Firma“, „Geboren am 4. Juli“, „Interview mit einem Vampir“ oder „Tropic Thunder“ – da musste Cruise durch Schauspiel und überzeugender Anpassungsfähigkeit überzeugen, und das tat er.

Was anderes ist es natürlich bei rein körperlichen Sachen. Ein Scott Adkins wird in Kampfszenen immer eindrucksvoller wirken als ein Tom Cruise, weil Jahrzehnte der Kampfsporterfahrung ganz andere Bewegungen und Intensitäten ermöglichen. Und ist es nicht gerade im Gegenzug bitter wenn jemand mit erheblicher Fachkenntnis sich sichtlich doublen lässt – siehe die letzten 20, 30 Filme von Steven Seagal?

© MGM

Was ist zum Beispiel mit den „Fast & Furious“ Filmen? Paul Walker war ein begeisterter Autofreak, konnte Rennwagen fahren und kannte sich mit dem gesamten Innenleben eines Wagens aus. Vin Diesel, soweit man weiß, nicht. Der hat als Kind mal Breakdance gelernt und könnte darüber eine Power Point Präsentation halten, aber mit Autos kennt er sich nicht übermäßig gut aus. Dennoch macht es in den 5 gemeinsamen Filmen keinen großen Unterschied, fällt es nie auf, dass sich Walker tatsächlich wesentlich besser auskennt als sein kahles Gegenüber.

Wenn es ein Mann von allen übertrieben hat, dann Daniel Day-Lewis. Für „Gangs of New York“ machte er eine Ausbildung zum Schlachter und lehnte bei Außenszenen trotz Lungenentzündung moderne Jacken ab, weil die New Yorker der Jahrhundertwende solche nicht gehabt hätten; für „Mein linker Fuß“ lebte er monatelang im Rollstuhl; für „Der letzte Mohikaner“ lebte er isoliert in der Wildnis, baute Kanus, jagte und fischte sich sein Essen, und für „Der seidene Faden“ lernte er, eigenhändig Kleider zu machen. Drei Oscars für die beste Hauptrolle sprechen für sich, allerdings stellt sich trotz allem die Frage, ob es notwendig gewesen ist, seinen Rollen so ähnlich zu werden. Blöd ist es für alle, wenn der Schauspieler in seinem „method acting“ Wahn eine unsympathische Rolle inne hat, und dann entsprechend aus schauspielerischer Überzeugung für den gesamten Produktionsverlauf ebenfalls gezielt unsympathisch bleibt, damit andere ihn entsprechend nicht mögen, und damit allen Beteiligten aber auf den Keks geht.

Und ist es nicht imposanter, wenn jemand völlig überzeugend ist, obwohl er sich eben gar nicht mit der Materie auskennt?

© Paramount Pictures

Manchmal ist es ja auch eine reine Talentsache, wenn der Schwerpunkt des Films auf etwas Besonderem liegt. In „Bohemian Rhapsody“ ist nicht Rami Maleks Gesang zu hören, sondern eine Mischung aus Freddie Mercurys und das eines genialen Stimmenimitators namens Marc Martel. In „Rocketman“ hingegen sang Taron Egerton die Songs von Elton John selbst. Ok, gewiss ist Mercury stimmlich noch mal einige Etagen über Elton angelegt und schwieriger nachzumachen, aber dafür gibt es ja die Möglichkeit der Auswahl – und trifft das nicht auch auf vieles andere zu? Und manchmal klappt es halt nicht, siehe Russell Crowe in „Les Miserables“ oder Gerald Butler in „Phantom der Oper“, die da zwar technisch singen können mögen, es aber halt nicht so sensationell hinbekommen, wie es die Rollen müssten.

Um das ganze zu einem Ende zu bringen – keine Frage, es ist eine coole Sache, was Tom Cruise alles macht, sei es für unsere Unterhaltung, sei es für Film-PR, oder sei es aus schlicht eigenem Hobbyinteresse. Nichts davon hätte er nötig, und wenn es gut gemacht ist, wie etwa in „Gravity“, dann muss man auch nicht zwingend wirklich ins All um überzeugende All-Szenen im Film zu haben. Dennoch darf man bei einem heißen Cappuccino gerne mal darüber süfflieren, was das im Detail alles bedeuten mag, und kann.

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Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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