#ZuHauseBleiben: „Mein Nachbar Totoro“
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… und „Mein Nachbar Totoro“ gucken:
Manchmal werde ich nach meinem Lieblingsfilm gefragt. Ich lasse mein Filminteresse gegenüber einer neuen Person durchblicken, kommentiere vielleicht einen zuvor erwähnten Film, ehe es dann heißt: „Oh, hey, was ist denn eigentlich dein Lieblingsfilm?“ Die Antwort auf diese Frage soll in der Regel dabei helfen, meinen vorigen Kommentar einzuschätzen. Die Distanz zwischen meiner Lieblingsfilm-Antwort und dem zuvor erwähnten Film entscheidet darüber, wie glaubwürdig ich bin. So fühlt sich das jedenfalls hin und wieder an. Das Problem? Ich kann keine wirkliche Antwort auf diese Frage geben. Ich habe keinen „einen“ Lieblingsfilm. Manchmal, wenn die fragende Person einen guten Eindruck macht, gebe ich eine kleine Liste ab. Etwa fünf, sechs, sieben Filme, aber eigentlich auch noch X und nicht zu vergessen Y. Es gibt so viele gute Filme, so viele unterschiedliche Arten von Filmen, wie soll man sich da festlegen? Wurde einer dieser 250+ besonders guten Filme jüngst erst wieder gesehen, ist es wahrscheinlicher, dass er in einer solchen Aufzählung auftaucht. Ein paar Monate später kann das schon wieder anders aussehen.
Doch es gibt ein paar Standards, ein paar Filme, die eigentlich immer dabei sind, wenn ich einen groben Überblick zu meinen Lieblingsfilmen zu geben versuche. Und einer davon ist „Mein Nachbar Totoro“.
Theoretisch kennt die Figur Totoro jeder, der halbwegs neugierig Animationsfilme außerhalb von Disney, Pixar, Dreamworks und Illumination schaut. „Totoro“ war der Durchbruchsfilm für das japanische Animationsstudio Ghibli und für Regisseur Hayao Miyazaki. Der Film war damals ein derartiger Erfolg, dass Totoro selbst seitdem das Bild und Markenzeichen von Studio Ghibli geworden ist. (Vergleiche mit Mickey Mouse verbieten sich, wie überhaupt sämtliche „Miyazaki ist der Disney Japans“ Formulierungen doppelter Kokolores sind.) Kaum vorstellbar mit heutigen Augen, dass „Mein Nachbar Totoro“ und der andere Ghibli Film von 1988, Isao Takahatas „Die letzten Glühwürmchen“, in Japan in Doppelvorstellungen anliefen. Wer beide Filme kennt, kann sich vielleicht vage vorstellen, was für eine emotionale Achterbahnfahrt das gewesen sein muss.
Aber diese „mit heutigen Augen“ Sache ist immer schwierig und interessant zugleich. Wer mit dem Gesamtwerk von Miyazaki und Ghibli vertraut ist und dann – aus welchem Grund auch immer – erstmalig „Totoro“ schaut, könnte überrascht sein. Es ist ein augenscheinlich simpler Film, mit einem nicht wirklich klassisch dramatisierten Plot. Es ist gefühlte Welten entfernt von den komplex-fantastischen Landschaften aus „Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“ oder „Das wandelnde Schloss“, weit entfernt von der rauschhaften Andersartigkeit von „Ponyo“ und selbst weit genug entfernt vom mitreißenden Selbstfindungsabenteuer aus „Kikis kleiner Lieferservice“. Die Filmographie von Studio Ghibli lässt selbst Pixar vor Neid erblassen. Nicht ohne Grund habe ich mehr als ein Dutzend dieser Filme auf Blu-ray und könnte eine Lieblingsfilmliste problemlos mit zwei, drei, vier weiteren Ghiblis auffüllen. Doch es ist „Totoro“, zu dem ich besonders gerne zurückkehre, der diesen besonderen Status hat. Vielleicht gerade weil er nicht diese unbestreitbare technologische Meisterschaft besitzt, die „Chihiro“ und „Mononoke“ zu solchen Meisterwerken macht. „Mein Nachbar Totoro“ ist ein kleines Wunderwerk, ein sanfter Balsam von einem Film, ohne, dass dabei tragische Elemente komplett ausgeblendet werden. Woran erkennt man Lieblingsfilme? Vielleicht daran, dass man nicht wirklich beschreiben kann, warum man sie so sehr mag.
Die junge Satsuki und ihre kleine Schwester Mei ziehen mit ihrem Vater, einem Professor, aufs Land, um etwas näher an dem Krankenhaus zu wohnen, in denen ihre Mutter aktuell behandelt wird. Die Krankheit der Mutter ist der ständige Hintergrund der Handlung, eine stete Ahnung in den Köpfen der Mädchen, doch die eigentliche Handlung dreht sich um die Erkundung der neuen Umgebung, um einen mystisch anmutenden Baum, das neue Haus und gute Waldgeister, die sich möglicherweise in der Gegend aufhalten. „Mein Nachbar Totoro“ ist ein Stimmungsfilm, dessen größtenteils komplett konfliktfreie Handlung den episodischen Erkundungen der Schwestern untergeordnet ist. Auch die Suchen-und-Finden Dramatik des Schlussdrittels, mit freundlichen Nachbarn und Katzenbus (ja, da steht Katzenbus), ist letztendlich nur so eine Episode. Doch, durch diese Hintergründigkeit der Sorge um die Mutter entsteht eine Stimmung und Emotionalität, die einzigartig erscheint.
Die Suche nach und Begegnung mit Waldgeistern ist womöglich auch ein Ablenkungsversuch. Ob bewusst oder unbewusst, vertreibt dieses kleine Abenteuer für ein paar Momente die Sorge aus den Köpfen von Satsuki und Mei. Und da sind sie wieder, die „heutigen Augen“. Diese beiden Mädchen stürzen sich in ein fantastisches kleines Abenteuer, um sich von den echten Sorgen ihrer Realität kurzzeitig zu befreien. Was kann das schon mit uns zu tun haben? Nun, das ist jedem Zuschauer selbst überlassen.
(„Mein Nachbar Totoro“ steht, wie fast alle Studio Ghibli Filme, aktuell bei Netflix zur Verfügung.)
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