Treasure Tuesday Spezialkritik: Crash (1996)

6. Juli 2021, Christian Westhus

Nein, nicht der berüchtigte Oscar-Gewinner, sondern David Cronenbergs einst skandalöse Adaption des J.G. Ballard Romans. „Crash“ (1996), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Turbine Medien

Crash
(Kanada, UK 1996)
Regie: David Cronenberg
Darsteller: James Spader, Deborah Kara Unger, Holly Hunter, Elias Koteas, Rosanna Arquette
Kinostart Deutschland: 31. Oktober 1996

Was ist das für ein Film?
Auch wenn David Cronenberg zu den wenigen Regisseuren gehört, die nun schon doppelt in dieser Kritikenreihe erschienen sind, sprechen wir zu selten über David Cronenberg und seine Filme. Und wenn wir über Cronenberg sprechen, beschränkt es sich schnell auf die vage Umschreibung dessen, was oft „Body Horror“ genannt wird, als wären „Die Fliege“, „Videodrome“ und „Scanners“ direkte Verwandte eines Brian Yuzna oder Frank Henenlotter. Ähnlichkeiten sind da – sicher. Aber ganz so einfach ist es bei Cronenberg eben nicht, wie die spätere Filmographie des Kanadiers veranschaulicht, wie man aber auch schon durch diesen einstigen Skandalfilm erkennen kann. Ein Film, der noch während seiner Veröffentlichung in Cannes kurz vor dem Verbot stand und den viel zitierten „Sturm der Entrüstung“ auslöste.

Worum geht es? Basierend auf einem Roman des nicht minder komplex werkelnden J.G. Ballard verfolgen wir das Leben von Filmproduzent James Ballard (James Spader). Dessen Ehe mit Catherine (Deborah K. Unger) ist erkaltet, verläuft nur noch über teilnahmslosen Sex und die zahlreichen Affären, die beide Seiten offen ausleben. Nach einem schweren Autounfall mit einem Todesopfer trifft der verletzte Ballard auf Helen Remington (Holly Hunter) und gerät über diese an eine Gruppe Unfall-Fetischisten, angeführt vom eigentümlichen Vaughan (Elias Koteas). Die Gruppe ist fasziniert von Autounfällen, insbesondere berühmten Autounfällen mit Todesfolge, welche sie als Showeffekt und zur eigenen Trieberfüllung nachstellen – nach Möglichkeit nur ohne Todesfolge. Bald schon sind auch James und Catherine angefixt von dem Spiel mit Metall und Motoren, von dem Gefühl aus Gefahr, Lust und Schmerz, bis hin zum Tod.

Warum sollte mich das interessieren?
Zunächst einmal ist die gesamte Filmographie von David Cronenberg spannend und sehenswert. Das klingt wie eine simple Verallgemeinerung, doch sie erscheint zutreffend angesichts eines derart ungewöhnlichen und qualitativ überdurchschnittlichen Inhalts. „Crash“ fällt angesichts größerer und populärerer Kandidaten wie eben „Die Fliege“, „eXistenZ“, „Die Unzertrennlichen“ oder „Eastern Promises“ gerne mal durchs Rost oder rückt zumindest in die zweite Reihe. Und ja, es ist ein seltsamer und befremdlicher Film, dessen einstige Kontroverse heute nicht mehr ganz so brandheiß wirkt und dennoch leicht nachvollziehbar ist. In der Einstiegssequenz beobachten wir Deborah K. Unger als Catherine, wie sie ihren teilentblößten Körper über das kalte Metall eines Flugzeugs reibt, ehe vermeintlich ungewollt und ungeplant ein unbekannter Mann hinzukommt und es an Ort und Stelle mit Catherine treibt. Wenig später wird die Frau, der wortwörtliche Typus einer kühlen (wenn nicht gar eiskalten) Blondine, ihrem Ehemann James vermutlich wahrheitsgemäß erzählen, dass es ein unterwältigendes Erlebnis war. Stimmung und Figuren dieses Films sind permanent geil und lüstern, aber nie wirklich befriedigt.

Auch wenn die Blicke (und Hände) wieder und wieder hierhin und dorthin wandern, verweigern Script und Regie der Fetischisierung den eigentlichen Höhepunkt, die Ekstase. Die absurde Leere der ständigen Körperlichkeit ist der springende Punkt, der Balanceakt auf dem Drahtseil des Todes nur der letzte Strohhalm, der eigenen Lust und der gesamten Existenz einen Kick und einen Sinn zu verpassen. Grenzen der Monogamie und Heterosexualität werden aufgebrochen, von Sitten- und Anstandsvorstellungen ganz zu schweigen, doch die große Erfüllung bleibt aus. Also muss das Spiel weiter und extremer getrieben werden. Körperliche Schmerzen und große Narben führen den Objektkult der Fetischisten auf die nächste Ebene. Dieses fatale Treiben arrangiert Cronenberg zu einem ungemein faszinierenden Cocktail; eiskalt und bitter, aber auch anregend – wenn nicht sinnlich, dann zumindest intellektuell. Und neben dem erstklassig besetzten Cast sorgen die üblichen Cronenberg-Verdächtigen für das audiovisuelle Feintuning: die vielsagenden Kostüme von Denise Cronenberg, die Beton-und-Stahl Ausstattung von Carol Spier und natürlich Komponist Howard Shore, dessen elektronisch-metallener Score eine seiner besten Arbeiten überhaupt darstellt.

„Crash“ ist als VOD, auf DVD/BD und UHD erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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