Ein Rückblick: Die besten Filme des Jahres 2021

16. Januar 2022, Christian Westhus

Das neue Jahr ist nun schon zwei Wochen alt, nicht wenige Zuschauer sortieren vermutlich schon die ersten entdeckten Filmperlen 2022 und Kollege Mester hatte seinen Jahresrückblick schon im vergangenen Dezember mit der Öffentlichkeit geteilt, doch es ist noch einmal an der Zeit, auf Vergangenes zurückzublicken. Man sollte mit einem Jahr, egal wie beschissen es auch war, nicht zu schnell abschließen. Man könnte etwas Positives übersehen haben. Zum Beispiel ein paar gute Filme. Deswegen schauen wir noch einmal genauer, was uns 2021 filmisch hinterlassen hat und wofür es sich zurückzukehren lohnt.

© Weltkino Filmverleih (Trailer Screenshot)

Eine ganz subjektive Liste

Zu sagen, 2021 sei ein ungewöhnliches Kinojahr gewesen, scheint überflüssig. Natürlich war es ein ungewöhnliches Kinojahr. Es war auch ein ungewöhnliches Sportjahr, ein ungewöhnliches Politikjahr, ein ungewöhnliches Wetterjahr. Es scheint schwer vorstellbar, dass 2021 für irgendjemanden ein gewöhnliches Jahr war, allerhöchstens (festhalten und anschnallen für geballten Zynismus, der früh genug raus muss, damit er den folgenden Text nicht zu sehr belastet) war es für die ganz Jungen ein gewöhnliches Jahr, für Kinder unter 5, deren bewusste Lebenserfahrung quasi nur im Zeitalter von Corona ablief.
So. Haben wir bzw. habe ich das nun aus dem System? Gut. Weitermachen. – 2021 war eigentlich nur ein halbes Kinojahr. Oder ein Zweidrittel-Kinojahr. Andererseits ist das Wort „Kino“ nun schon eine ganze Weile mindestens doppelt besetzt, denn das Streaming-Angebot dieser Welt ging auch in den ersten Monaten 2021 augenscheinlich uneingeschränkt weiter. Das ging so weit, dass selbst vermeintliche Kino-Blockbuster direkt zum Streamingtitel umgewandelt wurden oder zeitgleich in beiden Bereichen anliefen. So scheint es ein neuer (und häufig gruseliger) Standard geworden zu sein, dass zwischen Kinostart und Streaming mittlerweile kaum noch zwei Monate liegen. Die Kinos selbst standen vor einer gewaltigen Planungsherausforderung, mussten bei Wiedereröffnung im Sommer die angestauten Filmmassen bewältigen und standen zwischendurch dann doch wieder gefühlt auf dem Trockenen, weil nicht zuletzt der amerikanische Markt diktiert, was wann, wie und wo spielt. So ist dann erwartungsgemäß (man könnte auch sagen „traditionell“) wieder der Dezember randvoll mit verheißungsvollen Titeln, mit großen Blockbustern, amerikanischen Oscar-Kandidaten und solchen Arthouse-Werken, die wieder nur in fünf Kinos bundesweit laufen und irgendwie immer deutlich länger brauchen, bis sie als Scheibe oder VOD erhältlich sind.

Entsprechend ist folgende Liste – wie jedes Jahr – ungemein subjektive und Ausdruck dieses seltsamen Gefühls aus verkürztem Veröffentlichungskalender, kross-medialem Überangebot und eingeschränkter Verfügbarkeit. Wie immer gilt, dass es eigentlich Unfug ist, Filme in eine Rangfolge zu setzen, doch es ist hilfreicher Unfug, der – zumindest ist das die Hoffnung – Neugierde weckt. Denn auch in einem kuriosen Jahr wie 2021 gab es zahlreiche sehenswerte Filme und solche, die es vielleicht noch zu entdecken gilt. (Und an dieser Stelle ein Hinweis, dass ich folgende Titel bisher nicht sehen konnte, denen ich durchaus Chancen ausrechne mich zu begeistern: Promising Young Woman, The Father, Bergman Island, First Cow, House of Gucci, Benedetta, Annette, Macbeth, Drive my Car)

#Die Top 12: Meine Film-Favoriten

#12: The French Dispatch
(R: Wes Anderson. Mit Adrien Brody, Timothée Chalamet, Frances McDormand, Bill Murray, Benicio Del Toro, uvm.)
Immer wenn man denkt, Wes Anderson (Fantastic Mr. Fox, The Grand Budapest Hotel) könnte nicht noch tiefer in seinem eigenen Stil und seinen eigenen stilistischen Vorlieben versinken, kommt ein neuer Film daher. Fast so, als käme mit jedem neuen Animationsfilm ein großer Booster für die Realfilme. Das ist keineswegs eine schlechte Sache, auch wenn „The French Dispatch“ garantiert nicht der beste Film des eigenwilligen Regisseurs ist. Eine Rahmenhandlung und drei Erzählungen einer fiktiven europäischen Zeitung, Geschichten von Liebe, Kunst, Journalismus und Revolution durch das Prisma Wes Anderson. Starbesetzt bis in die Nebenrollen, oft wahnsinnig witzig, durchweg auch intellektuell anregend und mit einer animierten Mini-Sequenz, die einfach zu gut ist. Am Ende wird man eine akute kalorische Unterversorgung nach mehr Wes Anderson verspüren.

#11: The Night House (alternativ: The House at Night)
(R: David Bruckner. Mit Rebecca Hall, Sarah Goldberg, u.a.)
Eine der Überraschungen des Jahres. Regisseur David Bruckner (The Signal, The Ritual) konnte mich als Horrorregisseur bisher nicht wirklich begeistern. Dann landete „The Night House“ ohne größere Vorwarnung in Deutschland direkt beim Streaming, was nichts heißen muss, aber kein gutes Vorzeichen ist. Und ja, spätestens am Ende, wenn Bruckner seinen Horror und die metaphorischen Hintergründe zu einen versucht, schießt der Film sicherlich höher als nötig und verhebt sich leicht. Doch der Weg dorthin ist ein fantastischer Ritt, der höchst effektiven Geisterhaushorror mit einem emotional aufreibenden Drama über Verlust, Trauma und dunkle Geheimnisse verknüpft. Geankert von einer herausragenden Rebecca Hall bedient der Film lange Zeit beide Ebenen großartig und serviert ein paar visuelle (und, ja, auch akustische) Gänsehautmomente, die sich gewaschen haben.

#10: West Side Story
(R: Steven Spielberg. Mit Rachel Zegler, Ansel Elgort, Ariana DeBose, David Alvarez)
Es passiert (mir) irgendwie jedes Jahr: ein Film wird angekündigt, nähert sich der Veröffentlichung und ich kann dem Vorhaben höchstens ein Schulterzucken abgewinnen. Dann wird der Film geschaut und überzeugt. Irgendwie. Aus der Ferne betrachtet schien es nur wenige Gründe zu geben, warum ausgerechnet Spielberg eine neue Version des Musical-Meisterwerks „West Side Story“ angehen sollte, warum diese Geschichte ein Update brauchte. Doch Spielberg und Drehbuchautor Tony Kushner aktualisieren, modernisieren und intensivieren die an „Romeo und Julia“ angelehnte Geschichte von Tony und Maria wo sie nur können. Und nicht nur ist diese neue Version ein stärkeres Drama geworden, in den Gesangs- und Tanzszenen (und nicht nur da) beweist Steven Spielberg, warum er noch immer ein Großmeister der Inszenierung und Bildgestaltung ist.

#09: Frau im Dunkeln (OT: The Lost Daughter)
(R: Maggie Gyllenhaal. Mit Olivia Colman, Jessie Buckley, Dakota Johnson)
Auf der Online Filmplattform Letterboxd heißt es in einer (nur mittelmäßigen) Kritik, dieser Film tue fürs Kinderkriegen/-haben das, was „Der Weiße Hai“ damals für Schwimmen und für Haie tat. Dieser saloppe Kommentar trifft den Nagel von Maggie Gyllenhaals Regiedebüt (basierend auf dem Roman von Elena Ferrante) auf den Kopf. Natürlich ist „Frau im Dunkeln“ weitaus mehr als nur ein schweres Drama über höchst komplizierte Mutter-Tochter-Beziehungen, doch es ist beeindruckend, mit welcher Direktheit und auch Natürlichkeit Gyllenhaal das Schwierige, Negative und Erschöpfende des Mutterseins herausstellt. Nicht nur der Schauplatz gibt „The Lost Daughter“ den Anschein eines europäischen Arthousefilms aus den 70ern. Fantastisch fotografiert und in einem gekonnten Hin und Her aus elliptischer Gegenwartshandlung und Rückblenden montiert, ragen insbesondere die Darstellerinnen heraus: Dakota Johnson, Jessie Buckley und ganz besonders Olivia Colman.

#08: Minari
(R: Lee Isaac Chung. Mit Steven Yeun, Yeri Han, Youn Yuh-Jung, u.a.)
Das Verblüffende an guten Filmen (oder guter Kunst generell) ist, dass etwas sehr Spezifisches oftmals einen immensen „allgemeinen“ Effekt haben kann. Soll heißen: eine durch ganz spezielle kulturelle und/oder historische Umstände geprägte Geschichte findet einen universell menschlichen Punkt, den im Prinzip jeder Zuschauer nachempfinden kann. So ist es zumindest mir mit Lee Isaac Chungs lose autobiographischer Version seiner Kindheit gegangen. Eine koreanische Familie versucht sich im ländlichen Arkansas als Farmer niederzulassen und Wurzeln zu schlagen. Ein Film der puren Empathie, bittersüß, tragisch-bewegend und doch herzerweichend positiv. Bloß nicht einreden lassen, dies sei eine „überbewertete“ Banalität.

#07: Dune (Part 1)
(R: Denis Villeneuve. Mit Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, uvm.)
Ja, ich habe noch immer ein, zwei skeptische oder kritische Gedanken angesichts der unfertigen Erzählung von „Dune Part 1“ im Kopf. Es gibt Figuren (u.a. Zendaya) die noch form- und funktionslos in der Luft hängen, als Ankündigung kommender „Attraktionen“, die in diesem Film für sich genommen eher irritieren. Doch am generellen Triumph von Denis Villeneuves „Dune“ Version gibt es kaum einen Zweifel. Das Script kondensiert Plot, Hintergründe und Figurendetails effektiv aufs Wesentliche und zelebriert stattdessen das Maximum der Bilder und der Töne. Das ist kein brotloser Maximalismus, sondern zeigt Paul Atreides als Vielleicht-Auserwählten inmitten einer Intrige, die durch gigantische galaktische Zahnräder in Bewegung gesetzt wurde. In seiner audiovisuellen Pracht lässt der Film nahezu jeden Marvel- oder DC-Blockbuster alt aussehen.

#6: Der Rausch (OT: Druk)
(R: Thomas Vinterberg. Mit Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Magnus Millang, Lars Ranthe)
Ein Blick auf die Filmographie von Regisseur Thomas Vinterberg könnte verwirrend sein. Der Däne war zweite Kraft an der Seite von Lars von Trier im Zuge der „Dogma95“ Bewegung, die zum vermutlich besten Dogma-Film „Das Fest“ führte. Danach pendelte Vinterberg zwischen Dänemark, Europa und den USA, zwischen Genres, Stilen, Stimmungen und Qualitäten. Für mich ist „Der Rausch“ der vermutlich beste Film Vinterbergs seit „Das Fest“, auch weil die Geschichte vierer Freunde, die sich zu einem permanenten Alkoholpegel von 0,5 Promille entschließen, mit der unvermittelt kompromisslosen Attitüde von damals daherkommt. „Der Rausch“ ist keineswegs eine simple Konsumwarnung wie „Requiem for a Dream“ oder „Leaving Las Vegas“, sondern agiert als Warnung und Darstellung eher wie „The Wolf of Wall Street“. Strukturiert wie ein tatsächlicher Alkoholrausch ist der Film unterhaltsam, aufregend, schockierend, deprimierend und lebensbejahend zugleich. Und Mads Mikkelsen in der Hauptrolle ist schlicht umwerfend.

#05: The Power of the Dog
(R: Jane Campion. Mit Jesse Plemons, Kirsten Dunst, Benedict Cumberbatch, Kodi Smit-McPhee)
Jane Campion macht zu wenige Filme. Doch wenn die gefeierte Neuseeländerin („Das Piano“, „Bright Star“, „Top of the Lake“) etwas macht, kommt etwas Besonderes heraus. „The Power oft he Dog“ ist ein Western, wie es sie zu selten gibt. Keinerlei Banditen und Pistoleros, sondern wortwörtlich Cowboys, Viehzüchter in der weiten Prärie. Nach dem Roman von Thomas Savage ist der Film als Beobachtung diverser maskuliner Spielformen quasi Erweiterung und Gegenstück zu Kelly Reichardts „Meek’s Cutoff“. Es geht um Vieh, Leder, Musik, Hula Hoop und die performative Natur menschlicher (Inter-)Aktion. Die Kameraarbeit ist fantastisch, alle vier Hauptdarsteller sind grandios und Benedict Cumberbatch war nie besser.

#04: Nomadland
(R: Chloé Zhao. Mit Frances McDormand, David Strathairn)
Chloé Zhaos „docu-fiction“ Stil mag nicht für jeden sein, doch sind derartige Feststellungen auch immer irgendwie müßig, denn welcher Stil ist schon für jeden? Ohne einen Plot im klassischen Sinne folgen wir der von einer sensationellen und trotz ihrer Bekanntheit immerzu glaubwürdigen Frances McDormand gespielten Fern, einer nomadischen Aussteigerin, die in ihrem Wohnwagen-Van von einem Kurzzeitarbeitsplatz zum nächsten Stellplatz fährt und dabei die unterschiedlichsten Menschen trifft. Was banal klingen mag, steckt voller kluger Beobachtungen, entlarvt und offenbart so manch absurdes Detail unserer modernen Welt, ist aber in erster Linie zutiefst bewegend. Mehr dazu hier.

#03: Evangelion: 3.0 +1.0 Thrice Upon a Time (シン・エヴァンゲリオン劇場版:||)
(R: Hideaki Anno)
Ganz ehrlich, ich finde Hideaki Annos wilden Stilexperimente mit klassischer Animation und reichlich CG gleichermaßen spannend wie irritierend. Und ja, die EVA Reihe war schon immer für ein gewisses Maß an „notgeilem“ Fanservice berühmt. Dass die Rebuild Filme und insbesondere Teil 4 da noch einen draufsetzen, hat zuweilen einen faden Beigeschmack. Das fällt auf und dennoch… und dennoch. Der tollkühn absurd benannte „Evangelion: 3.0+1.0 Thrice upon a Time“ ist ein endlos faszinierendes Wunderwerk zumindest für diejenigen, die einen „The Last Jedi“ oder „Matrix Revolutions“ mochten. Es ist ein sonderbarer Fall, war „Evangelion“ doch von Beginn an als mehr oder weniger frei und/oder individuell interpretierbare Spielwiese angelegt, auf der jeder Zuschauer seine schwersten und dunkelsten inneren Konflikte austragen konnte, war jedoch auch immer untrennbar mit dem ganz Persönlichen von Schöpfer Hideaki Anno und verknüpft. Und so kreiert Anno hier das mindestens dritte und nun scheinbar endgültige Finale dieser popkulturell gigantischen Saga, inszeniert ein gleichermaßen irres, wirres und einzigartiges Ungetüm und sprengt das Epos in einem puren Akt der „Der Autor ist nicht tot“ Befreiung auf, so dass es nun wirklich allen gehört. Eine Franchise-Krönung, die nicht davor zurückschreckt die Hälfte aller Fans zu vergraulen.

#02: The Green Knight
(R: David Lowery. Mit Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton)
David Lowery hat sich zu einem der interessantesten amerikanischen Regisseure überhaupt entwickelt. Nicht nur weil er grandiose Unikate wie „A Ghost Story“ machen kann, sondern weil er selbst im Disney-Kosmos („Elliot, der Drache“) überzeugen konnte. „The Green Knight“ ist wieder so eine künstlerisch ungewöhnliche Indie-Eigenheit, eine immens bebilderte Version einer Jahrhunderte alten Legende aus dem ‚König Arthus‘ Kosmos. Dev Patel ist wunderbar als noch junger und unerprobt heldenhafter (noch kein Sir) Gawain, der dem Ruf des Grünen Ritters zu einem ungewöhnlichen Duell folgt. Gawains Reise ist trotz aller Bildgewalt (die wirklich immens ist) keineswegs ein klassisches Ritterabenteuer, sondern ein psychologisch und philosophisch reichhaltiges Spiel mit Heldengeschichten, der Idee von Edelmut, Selbstbestimmung vs. Schicksal und – ganz im Sinne von „A Ghost Story“ – der Unausweichlichkeit des Todes. Ein grandioser Film.

#01: Titane
(R: Julia Ducournau. Mit Agathe Rousselle, Vincent Lindon, u.a.)
Es mag nicht originell sein, den Cannes-Gewinner zum besten Film des Jahres zu küren, doch einerseits passiert mir das (soweit ich weiß) zum ersten Mal und andererseits ist „Titane“ auch für Cannes-Verhältnisse kein typischer Gewinner. Nach dem Kinobesuch beschrieb ich das erst zweite Werk von Regisseurin Julia Ducournau liebevoll als „abgefucktesten Film des Jahres“. Es ist noch immer eine Beschreibung, die mir zutreffend erscheint, denn mit einer ähnlichen Attitüde ist „Titane“ unterwegs. Die ungehemmt chaotische Lebensgeschichte und Sinnsuche einer ungewöhnlichen Frau und ihres männlichen Gegenübers. Ein Genre? Drauf geschissen. „Titane“ ist schrill, unbeherrscht, brutal und doch auch sanftmütig und sensibel, kontrastriert Gewalt und Body Horror mit wilder Symbolik und feinfühliger Emotionalität. Nicht zuletzt war es auch ein perfekter Kinobesuch, mit einem Publikum, welches genau richtig dosiert auf und mit dem Film reagierte, im Guten wie im Schlechten. Der Film ist eine schwer zu kategorisierende Erfahrung, jedoch eine, die ich in den nächsten Jahren noch einige Male wiederholen möchte.

#Weitere Highlights:

(In einem Jahr, welches mir zwar nur wenige herausragende Filmerlebnisse spendierte, gab es dafür immens viele gute bis sehr gute Entdeckungen, die sich ebenfalls lohnen. Hier sind einige davon…)

Bo Burnham Inside
Als „First World Problems“ oder „White Male Entitlement“ wurden kritische Stimmen zum Lockdown-Solofilmprojekt von Comedian und Filmemacher Bo Burnham („Eighth Grade“) laut. Kann man so sehen, aber auch das ist eine legitime Perspektive. Und es ist eine, der sich Burnham größtenteils bewusst ist. Die Beobachtungen sind dennoch so treffend wie unterhaltsam, die zahlreichen Songs dazu im besten Sinne (*hust) ansteckend. „Welcome to the Internet“

Ghostbusters: Legacy
Gleichzeitig nicht so nostalgisch-verkrampft wie befürchtet und spätestens am Ende dann doch verloren in selbstreflexiven Kommentaren. Egal, denn bis dahin ist der neue „Ghostbusters“ ein toll geschriebener, oft wahnsinnig unterhaltsamer, gut besetzter und top inszenierter Spaß.

The Hand of God
Paolo Sorrentino gehört zu einer interessanten Sorte von Regisseuren. Seine Filme (Il Divo, La Grande Bellezza, Ewige Jugend) sind inhaltlich und stilistisch unverkennbar seine Filme, faszinieren und unterhalten, aber begeistern mich nur selten. „The Hand of God“ ist quasi Sorrentinos „Amarcord“, ein vage autobiographisches Panoptikum seiner Jugend. Es ist der (für mich) wohl bisher beste Films des Italieners und festigt ihn als einen Filmemacher, den ich wohl nie so feiern werde wie einen PT Anderson, von dem ich aber dennoch jeden neuen Film mit Neugierde aufnehme.

Ich bin dein Mensch
Völlig egal, ob Maria Schraders Film nun der deutsche Oscarkandidat ist, ob er gewinnt oder nicht. Die Geschichte einer Wissenschaftlerin (Maren Eggert), die einen genau auf sie zugeschnittenen Androiden mit hochentwickelter KI für Testzwecke ein paar Tage bei sich wohnen lässt, ist so unterhaltsam wie clever und emotional. Und den komplett Deutsch sprechenden Dan Stevens muss man gesehen (oder gehört) haben.

In the Heights
Musicals, insbesondere solche mit großen Tanzszenen, sind pures Kino. Die Filmversion von Lin-Manuel Mirandas Broadway Durchbruch ist ein mitreißender, hitzig-spritziger Sommerspaß (mit ein paar Gewitterwolken und) mit teils sensationellen Performanceszenen. Die Freibadszene ist ein Instant Klassiker. Es ist auch ein Film, der (multi-)kulturelles Feeling und das Flair einer Stadt zuweilen über den Plot ansiedelt, was jedoch kaum ein Problem darstellt.

Judas and the Black Messiah
Die historischen Umstände sind vielleicht zu komplex für einen Film, aber der Erzählfokus des Drehbuchs ist erstklassig, wird nicht zuletzt durch die beiden fantastischen Hauptdarsteller Daniel Kaluuya und Lakeith Stanfield zu einem intensiven, spannenden und tragischen Drama.

Keine Zeit zu sterben
Der letzte Craig-Bond ist überlang, hat einen schwach entwickelten Gegenspieler und krankt zuweilen am großspurigen Versuch, die fünf Filme in einen narrativen Kontext zu setzen. Doch die Einzelszenen sind oft stark, Craig ist und bleibt ein guter Bond, und am Ende zieht der Film dann doch den größten Trumpf aus besagtem narrativem Gesamtkontext. Ein runder Abschluss, der aber auch die Hoffnung weckt, dass die kommenden Bonds wieder in eine etwas andere Richtung gehen dürfen.

Luca
‚Silencio Bruno‘, dass dieser Pixar vielleicht kein Titel aus dem obersten Regal der Animationsschmiede ist. Es ist dennoch ein wunderbar anzusehender, unterhaltsamer und bewegender Film, vielseitig lesbar und doch im Kern unmissverständlich. (Mit Disneys eigenem „Encanto“ verhält es sich ähnlich. Auch der ist sehenswert.)

Love and Monsters
Mit dem Budget von „Red Notice“ könnte man „Love and Monsters“ ca. sechsmal drehen. Auch ist diese Coming-of-Age RomCom inmitten einer globalen Monster-Apokalypse der x-fach bessere Monsterfilm als „Monster Hunter“. Diese Vergleiche spielen eigentlich keine Rolle, aber vielleicht sollten Filmemacher und Publikum ihre jeweiligen Schlüsse aus der Qualität dieses tollen „kleinen“ Films ziehen. Zumindest aber sollte man den Film (zu finden bei Netflix) gucken.

Die Mitchells gegen die Maschinen
Der animierte Road-Trip einer dysfunktionalen Familie führt geradewegs in die Skynet-artige Apokalypse. Flott erzählt, stilistisch originell, wahnsinnig unterhaltsam und mit einer sympathischen Film-Nerd Hauptfigur. Dazu ein fantastischer Film-Hund und die unvergessliche Szene mit [90er Spielzeugfigur].

Palm Springs
Time-Loop Filme sind so simpel wie effektiv, können ihr Grundprinzip aber auch schnell ausreizen. „Palm Springs“ ist am besten, wenn es einfach mit der Prämisse spielt, kann nicht zuletzt durch die Darsteller aber auch im letzten Drittel, dem Akt der Wandlung und Auflösung, punkten.

Seitenwechsel – Passing
Das Regiedebüt von Schauspielerin Rebecca Hall (s.o.) nimmt sich der schwierigen Aufgabe an, Nella Larsens Roman zu verfilmen. Die Idee des ‚passing‘ dürfte insbesondere für einen nicht-amerikanischen Zuschauer schwer zu bewerten sein und stößt als Film, also bebildert, schnell an neuzeitliche Grenzen. Doch Halls Inszenierung ist stilistisch mutig und clever, dazu hat sie in Tessa Thompson und Ruth Negga zwei exzellente Darstellerinnen an ihrer Seite.

The Suicide Squad
Besser zu sein als die erste Version von „Suicide Squad“ war das Mindeste, was dieser neue Versuch leisten musste. James Gunns Film nimmt diese Hürde mit Leichtigkeit, katapultiert sich meterweit drüber. Der neue „The Suicide Squad“ ist ein irres, blutiges, abgefahrenes und unberechenbares Gefährt. Es gibt einige kluge Einsichten und Seitenhiebe auf unsere oft binäre Sicht auf Helden und Schurken. Doch in erster Linie haben wir es hier mit enorm spaßiger XXL-Unterhaltung zu tun. Und das reicht vollkommen aus.

The Harder they Fall
Style over Substance richtig gemacht. Regisseur, Autor und Musiker Jaymes Samuel nimmt sich historisch authentische afroamerikanische Charaktere des ‚Wilden Westens‘ und fügt sie nach „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ Art in ein neu geschaffenes Westernszenario ein. Die Story ist Standard, die Figuren nicht viel mehr als Äußerlichkeit und Attitüde, doch genau dort liegt der Reiz. Mit einer erstklassigen Besetzung, schmissiger Musik, schnittiger Inszenierung und tonnenweise Flair ist „The Harder they Fall“ ein ungewöhnlicher Western-Genuss. Cool as fuck, wie die Kids angeblich sagen.

Tick, tick… BOOM!
2021 gab uns drei (habe ich was übersehen?) mehr oder minder große Filmversionen bekannter Bühnenmusicals. Dass der schmissige, idiosynkratische, dramaturgisch fesselnde und insbesondere von Andrew Garfield top gespielte „Tick, tick … Boom!“ unter diesen dreien das Schlusslicht bildet, sagt viel über die generelle Qualität dieser Filme. Musicals sind pures Kino!

The White Tiger
Fast vergessen, aber nicht nur kam dieses indisch-amerikanische Gangsterdrama (oder so ähnlich) bei Netflix dieses Jahr raus, es ist auch äußerst sehenswert. Die Geschichte eines jungen Mannes, der aus ärmsten Verhältnissen kommt und als Fahrer für einen kriminellen Geschäftsmann in die höheren Kreise gelangt. Spannend, gut erzählt und vielschichtig, fühlt sich „White Tiger“ auch ein wenig an wie eine gezielte Abgrenzung von „Slumdog Millionaire“.

#Was lief sonst noch?

(… wo ich über ein paar andere Titel des vergangenen Kinojahres noch ein wenig laut nachdenke.)

Matrix: Resurrections
War ein vierter Matrix-Film nötig? Nicht wirklich. Das dachte sich wohl auch Regisseurin Lana Wachowski, die „Resurrections“ auf links krempelt, mit einem gierigen Studio abrechnet, Fan-Erwartungen vor den Kopf stößt und sich voll und ganz auf die Beziehung zwischen Neo und Trinity fokussiert. Den Film als Spalter zu bezeichnen ist eigentlich zu kurz gedacht bzw. gesagt. Der Film begeisterte nicht wenige, erzürnte jedoch auch einige Zuschauer so sehr, dass es einem Rian Johnson eiskalt den Rücken runterlaufen dürfte. Ich persönlich stehe noch irgendwo zwischen diesen Extremen. Es gibt einiges zu kritisieren, insbesondere im Visuellen und in der Inszenierung, doch als ultra-persönlich gefärbter Blockbuster ist „Matrix Resurrections“ ein ebenso ultra-spannendes Unikat und steckt voller kreativer und herausfordernder Theorien. Wie gut diese wirklich herausgearbeitet wurden, werden zukünftige Sichtungen des Films entscheiden.

SnyderCut
Noch so ein Blockbuster-Unikat. Die Entstehungsgeschichte von „Zack Snyder’s Justice League“ ist spannender als der eigentliche Film, der am meisten davon profitiert, dass der Vorgänger bzw. der Vergleichsfilm ein unterklassiges Filmversagen war. Der SnyderCut hat einen Reiz, wie ein inhaltlich ähnliches, aber doch klar anders gestaltetes US-Remake eines internationalen Films. Natürlich ist dieses 4h-Ungetüm nicht der Film, den Zack Snyder ursprünglich machen wollte oder den er damals hätte machen können. Es anders auslegen zu wollen erscheint unaufrichtig. Als Superheldenfilm taugt auch diese Justice League Version nur bedingt, doch als ungewöhnlicher Einblick in stilistische und erzählerische Vorlieben eines Regisseurs, sowie – ob gewollt oder nicht – als kurioses Mahnmal des modernen Blockbusterkinos ist es enorm spannend. Die auf lange Sicht unvermeidliche Dokumentation zur Entstehung beider „Justice League“ Filme wird herbeigesehnt.

Marvel
Alle vier (!) Marvel-Filme dieses Jahr waren mindestens ordentlich. Das ist nach 10+ Jahren und 25+ Filmen schon ein starkes Stück. Dass keiner der vier Filme wirklich herausragend war, ist die andere Seite der Medaille. Die Schwächen von „Black Widow“, „Shang-Chi“, „Eternals“ und „Spider-Man“ sind jeweils unterschiedlich, selten katastrophal schlimm und doch ein erstaunlich guter Indikator, dass Möglichkeiten und Wirkung des MCUs langsam nachlassen. (Jedenfalls bei mir.) Das Marvel-System erlaubt es den Filmen nicht, die Filme zu sein, die sie sein sollten. „Black Widow“ hätte ein Mid-Budget Spionagethriller sein (und fünf Jahre eher erscheinen) müssen, bringt sich durch ein absurdes Effektspektakelfinale aber um den Ertrag. „Shang-Chi“ offenbart, wie faul und unzureichend die 1vs1 Action der Reihe bisher war, unterstreicht aber auch, dass kulturelle Diversität letztendlich einer globalen Vermarktbarkeit untergeordnet ist. Auch die „Eternals“ stoßen zum falschen Zeitpunkt ins MCU, faszinieren mit Ambitionen, zeigen aber auch die Grenzen dessen, was Autorenfilmer:innen im Franchise leisten können oder dürfen. Und dann „Spider-Man: No Way Home“, als Partnerschaft mit Sony ohnehin immerzu eine Franchise-Mischwesen, nun durchaus unterhaltsam und mindestens einmal effektiv emotional gekoppelt an eine nostalgische Branding-Schau, die weder Tom Hollands Peter Parker noch die zurückgeholten ehemaligen Schurken wirklich nennenswert weiterbringt und auch die Tür zum Multiversum nur so weit offenhält, damit der nächste Film der Reihe dort ein paar Kunststückchen vollführen kann. Diese vier Filme, zusammen mit den Eindrücken aus den vier Serien, wo selbst positive Erfahrungen mit „WandaVision“ und „Loki“ am Ende dem Perpetuum Mobile der Marvel-Marke untergestellt werden, hinterlässt zumindest bei mir so langsam das Gefühl, dass das Ende der Unvermeidbarkeit (um es mit Thanos zu sagen) von Marvel naht. Wenn nicht generell, dann doch zumindest in meinem Sehverhalten.

Edgar Wright
Filme werden nicht von einem Individuum gemacht, klar, doch bei manchen Filmemachern formieren sich gewisse wiederkehrende Elemente irgendwann zu einem greifbaren Ganzen, zu einer vagen Ahnung des ‚Autoren‘ dahinter. Edgar Wright war so ein Regisseur und ist so ein Regisseur. Vielleicht noch einmal mehr, da er nun zum vielleichten ersten Mal – bei mir – gescheitert ist. Zumindest so halb gescheitert. „Last Night in Soho“ ist unbestreitbar ein Edgar Wright Film und zeigt doch einen ‚Autoren‘ in einem Entwicklungsprozess. Wright ist in seiner Karriere vielleicht ungefähr dort, wo Paul Thomas Anderson zwischen „Magnolia“ (1999) und „There Will be Blood“ (2007) war, nur dass „Soho“ leider kein „Punch-Drunk Love“ (2002) geworden ist. Der neue Wright ist immer noch verspielt und zeigt den Briten einmal mehr als Filmkenner und -liebhaber, doch die selbstauferlegte Ernsthaftigkeit kann der Film nicht immer erfolgreich umsetzen. Es gibt so viele spannend angerissene Themen, wie es interessante Filmverweise gibt, doch am Ende kommt nicht viel Zählbares heraus. Jedenfalls nicht genug für einen originellen Filmemacher und unbestreitbaren Könner wie Wright. Bleibt die Hoffnung, dass er auf dieser Erfahrung aufbaut und den eingeschlagenen Weg mit größerer Sorgfalt weitergeht, statt auf Altbewährtes zurückzugreifen.

Old
Auch M. Night Shyamalan ist so ein Filmautor, ein Name, dessen Beteiligung unweigerlich Reaktionen und Erwartungen kreiert. Die Karriere des Inders ist enorm kurios, fast wie die Handlung eines M. Night Shyamalan Films. „Old“ könnte man als einen Akt puren Trotz bezeichnen, die Rückkehr des Genius an der Grenze zur Überheblichkeit, der Filme wie „The Village“ oder „The Lady in the Water“ hervorbrachte. Vieles an „Old“ ist seltsam, oftmals ist es regelrecht störend und irgendwie typisch Shyamalan in seiner forcierten Bedeutsamkeit und dieser unironischen Sentimentalität, die nicht selten unfreiwillig komisch wirkt. Ähnlich wie „The Village“ zeigt aber auch „Old“, dass der Regisseur ein echter Könner ist und dass er seine Ideen ohne falsche Scheu durchzieht. Das macht den insgesamt durchwachsenen „Old“ mit seinem traditionell verkorksten Finale nicht plötzlich zu einem Meisterwerk, macht Shyamalan aber zu einem Filmemacher, den man nach wie vor mit Interesse verfolgen sollte.

Fear Street
Es ist zwar seltsam, dass „Netflix“ seine zusammenhängende Horror-Trilogie mitten im Sommer platzierte, statt den Streaming-Herbst damit zu dominieren, doch „Fear Street“ ist – auch wenn die Qualität letztendlich nur gut, nicht herausragend ist – ein gelungenes Beispiel für Filme, wie sie nur im Streamingzeitalter funktionieren können. Drei Filme, die wie eine Miniserie aufgebaut sind, jeweils historisch gefärbt und doch auf ein konkretes Ziel ausgerichtet. Die Grenzen zwischen Film und Serie verschwimmen einmal mehr. Ein Effekt, der hier so gut genutzt wird, dass er zwischenzeitlich in Vergessenheit gerät.

Red Notice/The Tomorrow War
Dies ist der falsche Ort, um genauer über das Streaming-Modell zu sprechen oder über die Art von Filmen, die man noch immer gemeinhin als Blockbuster bezeichnet. Doch der Eindruck verhärtete sich nun schon seit einer ganzen Weile, dass exklusive Streaming „Blockbuster“ in den allermeisten Fällen ein ganz eigenes Ungetüm sind. Diese Theorie wurde 2021 zumindest für mich durch „Red Notice“ bei Netflix und „The Tomorrow War“ bei Prime Video bestätigt. Glattgebügelte, ausdrucks- und inhaltslose Produkte, die so funktionieren wie ein BigMac ja irgendwie auch als Nahrungsmittel funktioniert. (Da sind die meisten Marvel-Filme im Vergleich dann doch mindestens so gut wie hausgemachte Burger vom kleinen Imbiss. Oder so.) Gewaltiges Budget, große Stars, mächtiges Spektakel und doch zum größten Teil schon während des Abspanns vergessen. Mal Hand aufs Herz: wer kann sich wirklich noch konkret an „Outside the Wire“ oder „Tyler Rake: Extraction“ erinnern? Die Streaming-Öfen brauchen diese überteuerten Quasi-Blockbuster offenbar, statt diese exorbitanten Millionenbeträge auf drei, vier kleinere oder mittelgroße Filme zu verteilen. Der Haken an dieser steilen These? „The Tomorrow War“ war eine Paramount Produktion und wäre ohne Corona wohl im Kino gelandet. Also gibt es wohl weitreichendere Probleme im generellen Blockbuster- und Big-Budget-Kino.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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