„Gotham“: Kritik zur Episode „Harvey Dent“ (S01E09)
In der Folge „Harvey Dent“ der US-Serie „Gotham“ taucht ein weiterer Mitspieler aus den Comics auf. Jim (Ben McKenzie) und Harvey (Donal Logue) sind einem flüchtigen Häftling auf der Spur, während Bruce Wayne (David Mazouz) Bekanntschaft mit Selina Kyle (Camren Bicondova) macht.
Vorweg: Dieser Artikel enthält Spoiler zum Handlungsverlauf der Episode.
Harvey Dent
Es bleibt ein wenig rätselhaft, weshalb als Episodentitel „Harvey Dent“ gewählt wurde. Ähnlich wie in der Folge „Selina Kyle“ sind der titelgebenden Figur nicht gerade die meisten Szenen vergönnt. Man könnte sogar sagen, „Selina Kyle“ wäre für diese Episode der treffendere Titel.
Mit der Einführung von Harvey Dent (Nicholas D’Agosto) wird der Fokus wieder in Richtung der Ermittlungen im Fall der Wayne-Morde verschoben – ein Handlungsstrang, der in den letzten Episoden ein wenig vernachlässigt wurde und sich mit der Rückkehr von Selina Kyle als Augenzeugin zuvor angekündigt hat. Allerdings verströmt D’Agosto kaum Charisma in seiner Rolle und die Autoren hatten wohl wieder einmal vor, hauptsächlich darauf zu verweisen, wer dieser Harvey Dent denn überhaupt ist (als wenn wir das nicht wüssten): Wir bekommen die Münze zu sehen, dürfen Dent dabei zuschauen, wie er einmal kurz die Fassung verliert und überhaupt schreit alles nach „schaut’ mal her, hier ist eine weitere beliebte Comic-Figur!“
Entsprechend holprig verlaufen die wenigen Szenen mit ihm dann auch. Es gibt mit Dick Lovecraft (Al Sapienza) einen neuen potenziellen Oberbösewicht im Wayne-Fall, von dem wir vorher noch nichts gehört haben. Dents Plan macht zwar irgendwie Sinn, aber wir haben weder bei ihm noch bei Lovecraft eine Vorstellung davon, mit wem wir es zu tun haben. Das ändert sich auch zum Ende der Episode nicht. Alles, was man annehmen kann, ist, dass Dent mit Lovecraft schon seit längerer Zeit ein Hühnchen rupfen will und nun die Chance dazu wahrnimmt. Es ist zwar nett, dass Gordon zusätzlich zu Crispus Allen (Andrew Stewart Jones) und Renee Montoya (Victoria Cartagena) einen neuen Verbündeten bekommt, aber eine gute Vorstellung der neuen Mitspieler sieht anders aus.
Wayne-Manor
Selina Kyle wird bei Bruce und Alfred (Sean Pertwee) untergebracht, wovon der Butler zunächst überhaupt nicht begeistert ist. Die Begeisterung über die gezeigten Szenen hält sich beim Zuschauer ebenfalls in Grenzen. Es ist nicht einfach für die jungen Darsteller, ihre Dialoge glaubhaft rüber zu bringen, was hauptsächlich am Drehbuch liegen dürfte.
Wo ist die Faszination hin, die Selina für den jungen Bruce hatte (immerhin ist sie ihm in den ersten Episoden immer gefolgt)? Warum gibt sie sich wie frisch aus einer Jugendstrafanstalt entlassen? Man hat teilweise den Eindruck, es mit einer völlig anderen Figur zu tun zu haben. Bei Bruce ist das nicht unbedingt besser. Er ist also nicht rücksichtslos oder hart genug? Hmm, hat er nicht letzte Folge noch einen seiner Mitschüler k.o. geschlagen – mit der Uhr seines Vaters? Dieses Ereignis scheint diese Woche nie stattgefunden zu haben, ganz zu schweigen davon, dass seine Trainingseinlagen teilweise sehr merkwürdig anzusehen sind: Wer springt denn mit Klamotten in den Pool, um den Willen zum Luftanhalten auf die Probe zu stellen?
Nichtsdestotrotz gibt es aber auch ein paar angenehme Szenen mit den beiden und die Essensschlacht am Ende zaubert nicht nur Alfred ein kleines Grinsen ins Gesicht. Gerade bei Bruce vergisst man doch oft, es mit einem heranwachsenden Kind zu tun zu haben und nicht mit jemandem, der schon am nächsten Tag als Batman – oder besser: Batboy – in den Straßen Gothams für Ordnung sorgen wird. Letzteres ist auch gleichzeitig eines der größten Probleme der Serie bis dato, aber dazu später noch mehr.
Fall der Woche
Zur Abwechslung ist der Kriminalfall der Woche direkt mit den Machenschaften des Mobs verbunden und funktioniert deshalb auch etwas besser als sonst. Ian Hargrove (Leslie Odom, Jr.) wird von Fish Mooneys (Jada Pinkett Smith) Leuten beim Gefangenentransport befreit und gezwungen, seine Künste als Bombenbastler in deren Dienste zu stellen. Hargrove ist allerdings kein echter Irrer, sondern eine weitere von den Figuren, die mit ihren kriminellen Aktivitäten eigentlich Gutes bewirken wollen – solche Leute scheint es haufenweise in Gotham zu geben, wenn man sich die bisherigen Episoden noch einmal vor Augen führt. Dieser Teil ist es auch, der das Geschehen um den Bombenbastler ein wenig trübt, denn die Ermittlungen von Bullock und Gordon werden dadurch mal wieder etwas einfacher gestaltet.
Da ist es positiv, dass die Überfälle dem Machtkampf von Fish gegen Carmine Falcone (John Doman) gelten, die ihren Chef zu schwächen gedenkt und Falcone diese Woche auch um eine Wagenladung Geld bringt. Die Sache zwischen den beiden spitzt sich damit langsam, aber sicher zu, was nun auf eine Reaktion von Carmine warten lässt.
Oswald Cobblepot
Oswald (Robin Lord Taylor) macht diese Woche Fortschritte und entdeckt, dass Liza (Mackenzie Leigh) der Spitzel von Mooney in Falcones Reihen ist. Dummerweise wird uns vorenthalten, wie er überhaupt darauf gekommen ist, sich in Lizas Gemächern umzuschauen. So schön es auch ist, ihm bei der Spurensuche zuzusehen und im Zuge dessen auch Fish zu beschnüffeln (schöpft die wirklich keinen Verdacht dabei?) – ein wichtiges Bindeglied wurde uns hier verschwiegen.
Man kann aber davon ausgehen, dass er sein Wissen über Liza demnächst an Carmine weitergibt und dieser anschließend erneut Fish zurechtweisen wird. Früher oder später wird sich die Sache dann hochschaukeln und mit Blick auf die Überfälle dieser Woche dürfte das nicht mehr allzu lange dauern – vielleicht zum Midseason-Finale?
Barbara Kean
Uff, letzte Woche war es ja schon schwer mit anzusehen, wie Barbara (Erin Richards) mal eben wegen eines abgebrochenen Telefonats die Stadt und Jim verlassen hat. Jim setzt ihre Abwesenheit auch zu, was selbst Bullock bemerkt, der seine üblichen Sprüche diese Woche deutlich reduziert hat und hauptsächlich den braven Polizisten gibt.
Aber jetzt hat sie nicht die Stadt verlassen, sondern ist zurück bei Renee? Wie soll das denn nun zusammenpassen? Auch hier macht sich das Gefühl breit, einen wesentlichen Teil der Handlung verpasst zu haben. Etwa eine Szene in einer Bar, wo die beiden Frauen sich über Barbaras (unverständliche) Krise unterhalten und am Ende unverhofft zusammen im Bett landen. Gut, nun gibt es wieder neues Material, was für Konflikte zwischen Jim und Barbara sorgt. Aber das fühlt sich so über den Zaun gebrochen an, dass man schon jetzt mit den Augen rollt, wenn man an die Hintergründe und die anvisierten Folgen denkt.
Sonstiges
„Gotham“ hat ein großes Problem, was sich gerade diese Woche mit dem ersten Auftritt von Harvey Dent wieder herauskristallisiert: Es spielt zu sehr mit dem Wissen darüber, was mit den meisten vorgestellten Figuren passieren wird. Es ist zwar nett zu zeigen, wer der Riddler vorher war, wie der Pinguin zum Gangsterboss wurde oder wie Selina Kyle und Bruce Wayne sich erstmals kennenlernten. Aber dabei hat man halt immer im Hinterkopf, dass es sich bei „Gotham“ um eine Vorgeschichte handelt und die ganzen späteren Gegner womöglich nie in ihren bekannten Kostümen in der Serie auftauchen werden. Oder sollen sie bereits im Serienverlauf ihre Wandlungen vollziehen und zunächst Gordon zu schaffen machen, bevor Batman auf den Plan kommt (was in dieser Reihe ja bekanntlich frühestens in der letzten Episode der Serie der Fall sein wird)?
Abgesehen vom Pinguin, dessen Aufstieg in den Mob-Kreisen durchaus gut umgesetzt ist, bleibt da doch einiges zu wünschen übrig. Die Szenen mit Bruce Wayne fühlen sich oft wie in die Handlung reingepresst an. Was von ihm gezeigt wird, ist größtenteils Vorbereitung auf das, was wir nie sehen werden. Edward Nygma (Corey Michael Smith) stellte von Anfang an schon Fragen (wo bleibt da eigentlich die Entwicklung?), diese Woche mit der Frage nach Videospielen dazu noch eine, die völlig aus der Luft gegriffen schien. Harvey Dent zeigt jetzt schon die wesentlichen Merkmale seiner späteren Persönlichkeit – würde er in der nächsten Folge zu Two-Face werden, joa, hätte man schon alles dazu gezeigt, was grundsätzlich nötig wäre. Gut, hier besteht noch das Potenzial, ihn stärker mit Gordon zu verbinden und seine Laufbahn voran zu treiben (obwohl, er ist ja schon bei seinem ersten Auftritt ein bekanntes Gesicht und wird Gordon nicht umsonst von Montoya und Allen empfohlen).
Mit anderen Worten: Die Serie sollte lernen, tatsächlich auch Vorgeschichten zu zeigen und nicht bloß eine Anspielung nach der anderen zu bringen. Beim Mob funktioniert das gut, bei Gordon und Bullock ebenfalls und mit der Eröffnung von Arkham zum Ende der Folge bietet sich weiteres Potenzial an. Aber der Rest sieht eher mau aus, funktioniert nur selten wirklich gut und drückt auf Dauer doch ein wenig auf die Stimmung.
Fazit: Nicht gerade eine Glanzleistung, wie uns Harvey Dent vorgestellt wurde. Auch die anderen Handlungsstränge bieten mehr Schatten als Licht, was das Geschehen und dessen Wahrnehmung beim Zuschauer angeht.
5/10 Schnüffelnasen
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