Treasure Tuesday Spezialkritik: Gosford Park (2001)

28. Januar 2020, Christian Westhus

Beim Treasure Tuesday stellen wir filmische Schätze vor, eben „treasures“. Filme, die vergessen wurden, nie den ganz großen Durchbruch hatten, zu alt oder zu fremdsprachig sind, um im vielfältigen Angebot unserer Tage herauszuragen. Auch zu Großvaters Zeiten gab es schon sehenswerte Filme, wie es auch in anderen Ländern sehenswerte Filme gibt. Heute schauen wir uns Robert Altmans „Downton Abbey“ Origin-Film (im Prinzip) und Whodunit-Drama Gosford Park an.

USA Films, UIP, Arthaus


Gosford Park
(2001)
Regie: Robert Altman
Darsteller: Helen Mirren, Maggie Smith, Kristin Scott Thomas, Clive Owen, Tom Hollander, Emily Watson, Kelly Macdonald, Stephen Fry, Ryan Phillippe uvm.

Was ist das für ein Film?
„Gosford Park“ ist ein britisches „Upstairs & Downstairs“ Sittengemälde. Eine vornehme Gesellschaft verbringt ein Wochenende auf einem Landsitz, um dort zu speisen, zu jagen, die Vorzüge ihres Standes auszukosten und eventuell auch, um das eigene finanzielle Überleben neu zu sichern. Währenddessen sind Köche, Butler und weiteres Dienstpersonal damit beschäftigt, dass die Logistik im Haus „wie von Zauberhand“ funktioniert. Doch die beiden Welten oben und unten sind stärker verbunden als man zunächst denkt.

Wie es sich für einen Robert Altman Film gehört, ist auch „Gosford Park“ ein Ensemble Film ohne eindeutige Hauptfigur. Doch Kelly Macdonalds Zofe Mary, die die alte Gräfin Trentham (Maggie Smith) betreut, wird so etwas wie unsere Fokusfigur. Mary gehört nicht zum Stammpersonal des Anwesens, ist nur ein Gast für das Wochenende, kann so von außen die Vorgänge beobachten, sei es die frostige Beziehung zwischen Köchin Mrs. Croft (Eileen Atkins) und Hausdame Mrs. Wilson (Helen Mirren), das verdächtige Auftreten des Dieners Denton (Ryan Phillippe), die verbitterte Leichtigkeit von Magd Elsie (Emily Watson) oder die seltsame Anziehung von Diener Robert Parks (Clive Owen). Gleichzeitig wird Mary Teil der wortwörtlichen „Gerüchteküche“, wenn das Dienstpersonal Anekdoten, Vermutungen und Hörensagen zu den Persönlichkeiten „oben“ austauscht, von geheimen Affären, Finanznöten, unsittlichem Verhalten oder Ähnlichem tratscht. Und da Gräfin Trentham selbst ihre Nöte und geheimen Absichten hat, da die alte Dame selbst schnell das Plappern anfängt, hat Mary auch einen Draht direkt nach „oben“.

All diese Figuren sind von Minute 1 an unmittelbar lebendig, bringen nicht zuletzt durch ihre erstklassigen Darsteller und das vielschichtige Script enorm spannende Facetten mit. Ja, „Gosford Park“ setzt uns mehr als zwei Dutzend mehr oder minder wichtige Sprechrollen vor, doch genau das ist (u.a.) Robert Altmans Metier. Ihm gelingt es auch durch seine erstklassige Kameraarbeit, dass die Orientierung im Haus, zwischen den beiden Welten und inmitten dieser vielen Persönlichkeiten nicht nur leicht fällt, sondern auch Spaß macht. Und dann ist am Morgen des zweiten Tages plötzlich Hausherr Sir William McCordle (Michael Gambon) tot. Ermordet. Und aus dem Sittengemälde ist ein Whodunit geworden.

Warum sollte mich das interessieren?
„Gosford Park“ war die Idee von Altman selbst und von Schauspieler Bob Balaban, der hier in einer Nebenrolle als Hollywoodproduzent an der Seite des realhistorischen Ivor Novello auftaucht. Altman und Balaban engagierten Drehbuchautor Julian Fellowes, aus den Ideen ein Script zu machen. Fellowes sollte für das Drehbuch nicht nur einen Oscar erhalten, sondern auch den Grundstein für seinen späteren größten Erfolg legen: Julian Fellowes ist Serienerfinder von Downton Abbey.

Natürlich wurden Geschichten von „Upstairs“ und „Downstairs“ weder durch „Downton Abbey“, noch durch „Gosford Park“ erschaffen. Die britische Literatur ist voll davon, z.B. „Was vom Tage übrig blieb“ (verfilmt mit Anthony Hopkins und Kristin Scott Thomas), und ganz davon ab sind diese Welten aus aristokratischen/adligen Hausbesitzern und dem arbeitenden Dienstpersonal eine historische Tatsache. Altman, selbst Amerikaner, engagierte nicht ohne Grund einen britischen Drehbuchautoren und scharrte ansonsten prominente und/oder hochtalentierte (überwiegend) britische Charakterdarsteller um sich, findet seine eigene Inspiration jedoch eher im Kino, bei Jean Renoir und dessen stilbildenden Klassiker „Die Spielregel“ („La règle du jeu“, 1939).

Rian Johnson lud seinen jüngsten Whodunit „Knives Out“ mit ganz aktuellen politischen Querverweisen auf, um amerikanische „Upstairs“ und „Downstairs“ Beziehung im Zeitalter von Trump zu durchleuchten. „Gosford Park“ ist keineswegs unpolitisch und doch vielmehr an den emotionalen Tiefen seiner Figuren interessiert, an der Tragik, die ein nahezu identitätsloses Leben in Dienerschaft kreieren kann, am weitreichenden Missbrauch, der aus Machtpositionen entstehen kann, an der Eitelkeit, die durch ein Leben im goldenen Käfig entstehen kann. Das geht so weit, dass selbst die Whodunit zweite Hälfte, wenn Stephen Fry als nur bedingt erfolgreicher Inspektor zum Anwesen stößt, niemals ein echter Krimi wird. Auch hier gibt es wieder gleich mehrere Figuren mit einem Motiv, mit weitreichenden Geheimnissen, die zu einem Motiv werden könnten, doch was in anderen Filmen die Spannungsschraube andrehen soll, steht hier komplett im Dienst des Dramas und des Zwischenmenschlichen.

„Gosford Park“ mag durch sein britisches Setting nur bedingt repräsentativ sein, um sich dem Werk von Regielegende Robert Altman zu nähern. Doch die Ähnlichkeiten zu „Downton Abbey“, die Genre Einflüsse und das glänzend auferlegte Personal machen den Film dennoch zu einem besonders gelungenen und auch unterhaltsamen. Je nach Verfügbarkeit und Interesse kann man sich bei „M.A.S.H“, „Nashville“, „The Player“, „Short Cuts“ und eben „Gosford Park“ einem Regisseur nähern, der u.a. zu den erklärten Lieblingen einer heutigen Ikone wie Paul Thomas Anderson gehört.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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