Treasure Tuesday Spezialkritik: Professor Marston & The Wonder Women
Beim Treasure Tuesday stellen wir filmische Schätze vor, eben „treasures“. Filme, die vergessen wurden, nie den ganz großen Durchbruch hatten, zu alt oder zu fremdsprachig sind, um im vielfältigen Angebot unserer Tage herauszuragen. Auch zu Großvaters Zeiten gab es schon sehenswerte Filme, wie es auch in anderen Ländern sehenswerte Filme gibt. Heute blicken wir auf die ungewöhnlichen und romantischen Hintergründe in der Entstehung von Superheldin Wonder Woman.
Professor Marston & The Wonder Women
(Originaltitel: Professor Marston and the Wonder Women, USA 2017)
Regie: Angela Robinson
Darsteller: Luke Evans, Rebecca Hall, Bella Heathcote
Was ist das für ein Film?
William Moulton Marston, hier gespielt von Luke Evans, ist gemeinsam mit seiner Frau Elizabeth Holloway Marston (Rebecca Hall) der Schöpfer von Wonder Woman. Marston, der einen Doktortitel für Psychologie an der Harvard Universität erhielt, war zudem feministischer Theoretiker, war maßgeblich an der Entwicklung des Lügendetektors beteiligt und lebte mit seiner Frau und der ehemaligen studentischen Assistentin Olive Byrne in einer polyamoren Beziehung, in der auch Unterwerfungs- und Bondage-Neigungen ausgelebt wurden. Und das in den USA der prüden 1940er Jahre.
Die genauen privaten Abläufe im Marston Haushalt sind kompliziert und bis heute umstritten. Kompliziert, da z.B. unfaire Aufgabenverteilungen, Finanzsituationen und die eigene Identitätsverleugnung nicht zuletzt auch dem bigotten Umfeld geschuldet sind, statt ausschließlich das Ergebnis einer ungeraden Hierarchie zu sein. Umstritten, da Zeitzeugen und Nachkommen widersprüchliche Auskünfte gaben und geben. Angela Robinsons Film trifft in der Umsetzung dieser privaten Hintergründe eine ganz bewusste Entscheidung, zeichnet die Beziehung der drei zentralen Figuren als positive, dabei aber sicherlich nicht problembefreite Halb-Utopie.
Als biographischer Film getarnt, ist „Professor Marston & The Wonder Women“ ein romantisches Drama, in welchem zahlreiche philosophische Ideen vorgestellt und ausgespielt werden. Von zentraler Bedeutung ist Marstons DISC-System, in dem „neue“ Vorstellungen von Dominanz und Unterwerfung konzipiert wurden. Das hat erst auf sekundärer Ebene sexuelle Konnotationen, propagiert laut Marston zunächst eine emotionale Offenheit, wenn sich der „Proband“ von seinen inneren Zwängen und Hemmungen löst und sich einer Vertrauensperson vollkommen unterwirft, ergo sich unverstellt und wahrheitsgemäß offenbart. Und so führt der Weg vom DISC-System zum Lügendetektor und zu Wonder Womans Lasso, während aus William, Elizabeth und Olive nach anfänglichen (und fortbestehenden) Schwierigkeiten eine Beziehung wird, die diese psychologischen, sozialen und sexuellen Konzepte verinnerlicht.
Warum sollte mich das interessieren?
Autorentheorie bzw. der Gegenentwurf vom „Tod des Autors“ sind immer wieder spannend. Wir brauchen William Marston und seine Frauen nicht unbedingt, um an den aktuellen Wonder Woman Filmen unsere Freude zu haben, doch diese Figuren entstehen nun einmal nicht in einem Vakuum. Insbesondere bei den so wandlungsfähigen und in der aktuellen Popkultur so omnipräsenten Superheldenfiguren lohnt sich immerzu ein Blick auf die Anfänge, auf Grundkonzepte und auf die realen Menschen hinten den Heldenfiguren. Das trifft auf Batman und Superman gleichermaßen zu wie eben auf Diana alias Wonder Woman. Professor Marston ließ – so die etwas vereinfachende, aber sicherlich nicht aus der Luft gegriffene Theorie – Elizabeth und Olive, zwei äußerst unterschiedliche Frauentypen, in Diana verschmelzen, um das ultimative Ideal einer modernen Frauenheldin zu kreieren: gleichermaßen stark, unabhängig, klug und auch sanftmütig. Wirkte das Lasso der Macht zuvor vielleicht noch wie eine ungemein mächtige Waffe, die den Willen seiner „Opfer“ bricht, bekommen das Seil, Fesselungen und emotionale Unterwerfung/Offenheit durch diesen Film einen ganz anderen Charakter, einen positiveren Charakter.
Und ganz unabhängig davon, ob sich das alles wirklich so abgespielt hat, ist „Professor Marston & The Wonder Women“ ein ungemein positiver und in Teilen hemmungslos romantischer Film. Der Film präsentiert die drei Hauptfiguren als hoffnungslos verliebt, wider aller gesellschaftlichen Tabus und Konsequenzen. Diese Tabus, die sich als Hemmungen und Ängste auch innerhalb von William, Elizabeth und Olive eingenistet haben, gilt es zu überwinden. In einer anderen Filmversion hätte man ohne Zweifel Theorie und Möglichkeit einer ungleichen Hierarchie und einer nicht einvernehmlichen Dominanz ausloten können, doch in diesem Film ist die Zuneigung zwischen den Figuren echt, insbesondere zwischen Elizabeth und Olive, die mit am meisten unter den öffentlichen Konsequenzen zu leiden haben. So wird Professor Marston lange Zeit zu einem genießenden Dritten, zu einem Beobachter und Stichwortgeber, zu einem – neudeutsch – „Sidepiece“ für Elizabeth und Olive. So hat dieser Sex-positive und Beziehungs-progressive Film mindestens zwei Szenen, die derart ans Herz gehen, dass man sich einmal mehr fragt, warum es überhaupt noch 0815 Hetero-Romanzen im Kino gibt. Was „50 Shades“ in x-fachen Büchern und Verfilmungen erfolglos zu sein und vorzugeben versuchte, gelingt hier mit Leichtigkeit und emotionaler Authentizität. Und das in einem Film, der gleichzeitig Zeitdokument, Biographie, philosophisches Traktat und popkultureller Entstehungshintergrund ist.
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