Studio Ghibli: Alle Filme

5. April 2020, Christian Westhus

Servicewüste Deutschland? Nicht immer, denn bei Netflix Deutschland gibt es (angefangen im Februar, nun seit April komplett) den (fast) kompletten Filmkatalog des japanischen Animationsstudios Ghibli zu sehen. Netflix war immer schon stark in Sachen Anime, begeisterte kürzlich erst durch die Aufnahme von „Neon Genesis Evangelion“ und hat jetzt mit dem Ghibli Deal einen besonders großen Coup gelandet, der gerade angesichts der aktuellen #ZuHauseBleiben Situation wie gerufen kommt. Zeit also, sich mal genauer damit zu befassen, was es mit diesen Filmen und diesem Filmstudio auf sich hat.

© Studio Ghibli

Natürlich ist Netflix aktuell nur der einfachste und offensichtlichste Weg, sich mit diesen Filmen zu befassen. Der Kult um das Animationsstudio ist inzwischen auch in Deutschland seit Jahren so hoch, dass die Ghibli BD-Editionen zu Topsellern geworden sind. Doch was ist Ghibli? Nun, das waren zu Beginn in Person Regisseur Hayao Miyazaki, Regisseur Isao Takahata und Produzent Toshio Suzuki, die gemeinsam 1985 das damals noch kleine Animationsstudio gründeten und auf den Namen eines Wüstenwindes tauften.

Isao Takahata (Jahrgang 1935) war schon lange vor Ghibli als Animator und Chefregisseur aktiv, besitzt eine reichhaltige und abwechslungsreiche Karriere insbesondere im TV Geschäft. Besonders auffällig dabei die so genannte „World Masterpiece Theater“ Reihe des damaligen Studios Tōei Animation. Hier traf Takahata auf Miyazaki (Jahrgang 1941) und zusammen arbeiteten sie u.a. an den bekannten Animeadaptionen von „Heidi“ und „Anne mit den roten Haaren“. (Innerhalb dieser Reihe, wenn auch ohne die beiden Animationsgrößen, entstand auch die „Little Women“ Version „Eine fröhliche Familie“.) Takahata war es, der Miyazaki als Produzent bei dessen ersten eigenen Regiearbeiten unterstützte, ehe der Erfolg von „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ den Weg zum eigenen Studio freimachte.

Studio Ghibli, das sind nach inzwischen drei Jahrzehnten häufig atemberaubende Fantasy Welten und ungewöhnliche Kreaturen, häufige europäische Einflüsse in Literatur und Design, das sind starke Heldinnen, Joe Hisaichis fantastische Musik, Miyazakis Faszination für Fliegerei und Luftfahrt, und das ist Essen. Immer wieder Szenen ausgedehnter und zelebrierter Nahrungsaufnahme. Studio Ghibli heißt auch traditionelle Animationskunst. Handarbeit. Mit Anbruch des neuen Jahrtausends war der Einfluss von Computertechnologie unvermeidbar und findet sich dennoch nur minimal und nur zur Erweiterung komplexerer Szenen in einem Ghibli Film. (Selbst das handwerksbewusste Stop Motion Studio Laika nutzt mehr Computer durch Hintergrunderweiterungen als Ghibli in einem neueren Film.)
Insbesondere Miyazaki ist ein technischer Perfektionist, der seine Filme selbst im Storyboard komplett konzipiert und sein Team zu Höchstleistungen anspornt. So gibt es bei Ghibli einige der beeindruckendsten und schönsten Animationspassagen aller Zeiten zu bestaunen. Und selbst zweitklassige Ghiblis (die eigentlich ausnahmslos alle mindestens sehenswerte Filme sind) besitzen einige der besten Hintergrund- oder Umgebungszeichnungen der Animationsgeschichte.

Weil Leuten nichts Besseres einfiel, werden Ghibli und insbesondere Miyazaki häufig als „Disney Japans“ bezeichnet. Ein unsinniger Vergleich, der nicht zuletzt daher rührt, dass man außerhalb Japans immer noch zu häufig (es gibt Ausnahmen, auch was Filmproduktionen betrifft) dem Vorurteil unterliegt, Animationsfilme seien primär etwas für Kinder. Das japanische Animationskino sieht das anders. Diese Filme sind eben nicht ausschließlich für Kinder gemacht. So viel sollte man wissen. Zwar eignen sich die Filme von Studio Ghibli fast ausnahmslos gerade für jüngere Zuschauer und fassen eine recht junge Hauptzielgruppe ins Auge, doch gibt es alterstechnisch nach oben hin keine Grenzen. Diese Filme sind für jeden, der Filme mag – egal ob animiert oder nicht.

Blättern wir also mal gemeinsam durch den etwas erweiterten Ghibli Katalog. Vorgestellt werden 24 Filme, abgerundet jeweils mit einer persönlichen Bewertung.

© TMS Entertainment, KAZÉ Anime

Das Schloss des Cagliostro (ルパン三世 カリオストロの城 | Rupan Sansei: Kariosutoro no shiro)
Erschienen: 1977
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Dieses Filmabenteuer des langlebigen und kulturflexiblen Meisterdiebs Lupin III ist keineswegs ein Ghibli Film. Wirklich nicht. Doch als Spielfilmdebüt von Hayao Miyazaki spielt er eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Regisseurs und des Studios. Noch dazu ist „Das Schloss des Cagliostro“ ein wirklich großartiger Film, den Steven Spielberg nicht ohne Grund zu seinen Favoriten zählt. Die Dynamik und visuelle Effektivität der Actionszenen erinnert dann auch regelmäßig an Spielberg, was als großes Kompliment zu verstehen ist. Auch ohne Vorkenntnisse durch Mangas oder die Serie kann man sich leicht in ein irgendwie klassisches 80er Actionabenteuer mit humorvoller, romantischer und fantastischer Note einfinden. So ist Hauptfigur Lupin in seiner dreist-charmanten Art auch ein wunderbar unterhaltsamer Typ, eine eigenständige Schnittmenge aus James Bond, Indiana Jones und Han Solo. Blendend animiert, wunderbar erzählt und super unterhaltsam.
Genre/Zielgruppe: Die Bond/Indy/Star Wars Schnittmenge gibt den groben Ton schon passend wieder.
Bewertung: ★★★★☆

© Topcraft, Studio Ghibli, Universum Film

Nausicaä aus dem Tal der Winde (風の谷のナウシカ | Kaze no tani no Naushika)
Erschienen: 1984
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Auch „Nausicaä“ erschien vor der offiziellen Gründung des Studios, wurde aber mittlerweile eingegliedert und taucht in sämtlichen offiziellen Veröffentlichungen auf. Der finanzielle Erfolg dieses Films führte erst zur Entstehung Ghiblis. Basierend auf Hayao Miyazakis eigenem Manga begeben wir uns in eine faszinierende postapokalyptische Zukunft. Ein Großteil der Erde ist von einem giftigen Pilzwald namens „Meer der Fäulnis“ überwuchert. Die technologischen Errungenschaften der Vergangenheit sind größtenteils vergessen und so leben die letzten Menschen in kleineren Dörfern. Unsere Heldin ist Nausicaä, die Prinzessin im Tal der Winde. In diesem Tal stürzt ein Kriegsschiff mit gefährlichem Inhalt ab, der Embryo eines Kriegstitanen, jener Vernichtungsmaschinen, die das Schicksal der Welt im Großen Krieg der Vergangenheit entschieden. Für einen Hayao Miyazaki Film findet sich hier schon so ziemlich alles wieder, was den vielleicht größten Animationsregisseur aller Zeiten im Laufe seiner Karriere bekannt gemacht hat: komplexe Fantasy Welten, Fliegerei, eine starke Heldin, Ökologie- und Pazifismusbotschaften, dazu animationstechnischer Perfektionismus und die grandiose Musik von Joe Hisaichi. „Nausicaä“ ist zu gleichen Teilen faszinierend träumerisch und bildgewaltig mitreißend. („Evangelion“ Regisseur Hideaki Anno war unverkennbar als Assistenzregisseur einer Sequenz im feurigen Finale beteiligt.) Und wirklich, niemand – egal ob Animation oder Realfilm – dreht Luft- und Flugszenen so wie Hayao Miyazaki. Gerade für Fantasy Fans eine willkommene und wunderschön anzusehende Alternative zur gewohnten „Mittelalter Fantasy“.
Genre/Zielgruppe: Bildgewaltige Sci-Fi Fantasy. Actionreich und spannend, aber leichter zu verdauen (ohne simpler zu sein) als ein durchschnittlicher Marvel Film.
Bewertung: ★★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Das Schloss im Himmel (天空の城ラピュタ | Tenkū no shiro Rapyuta)
Erschienen: 1986
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Der eigentliche Start für Studio Ghibli und erneut ein fantasievolles Abenteuer aus dem kreativen Hirn Miyazakis. Die junge Sheeta flieht vor Regierungsagent Musca und Luftpiratin Dora, fällt dem gleichaltrigen Jungen Pazu in die Arme. Gemeinsam entdecken sie, dass Sheeta, ihr Amulett und Muscas Pläne mit der sagenumwobenen Wolkenstadt Laputa zusammenhängen, einer fliegenden und bisher nur als Mythos bekannten Festung. Eine frühe Kletterpartie und ein Sturz/Flug sind so spannend, schweißtreibend und gleichzeitig betörend schön, dass man am besten gleich noch einmal von vorne beginnt. Mit Motiven entlehnt aus „Gullivers Reisen“, viel Fliegerei, reichlich halsbrecherisch-unterhaltsame Action und einem späteren Handlungsstrang, der auch so etwas wie der japanische „Der Gigant aus dem All“ sein könnte, ist „Das Schloss im Himmel“ ein ungehemmt fantasievolles Abenteuer. In seiner Botschaft vielleicht etwas weniger effektiv im Vergleich zu „Nausicaä“, aber dennoch mehr als nur rasant-gute Unterhaltung.
Genre/Zielgruppe: Erstaunlich actionreiche Kinder- und Jugendfantasy. Vielleicht der ideale Einstieg in Sachen Ghibli.
Bewertung: ★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Mein Nachbar Totoro (となりのトトロ | Tonari no Totoro)
Erschienen: 1988
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Vielleicht der definitive Ghibli Film, nicht zuletzt da das sympathische Waldgeistmonster Totoro zum Kernmotiv und Logo des Studios geworden ist. Bis heute einer der beliebtesten Kinderfilme in Japan, während Kinder im Westen nur durch mediale Beeinflussung lieber zu Disney und Co. greifen. Das gilt es zu ändern bzw. zu erweitern. (Ghibli muss kein Ersatz sein, sondern darf eine willkommene Alternative sein.) Die Geschichte von Satsuki und Mei, die mit ihrem Vater aufs Land ziehen, um näher am Krankenhaus zu wohnen, in dem ihre Mutter behandelt wird. Es ist ein Film von bemerkenswerter Einfachheit, mit einem freien Plot ohne echten Konflikt, der dennoch Unermessliches vermitteln kann. Ein Film der kleinen Details in Bild und Ton; rauschende Blätter, die Rußmännchen und natürlich – auf ewig ein effektiver Pawlow’scher Kinoreflex – das Geräusch von Regentropfen auf einem Schirm. Und nicht zu vergessen ein ganz besonderer Bus. (Hier habe ich mir etwas ausführlicher zum Film geäußert.)
Genre/Zielgruppe: Ein Kinderfilm mit Herz und Magie für alle Generationen. Der ideale Einstieg fürs jüngste Publikum, auch wenn man dann gleich schon einen der besten Filme aller Zeiten gesehen hat.
Bewertung: ★★★★★

© Studio Ghibli, KAZÉ Anime

Die letzten Glühwürmchen (火垂るの墓 | Hotaru no Haka)
Erschienen: 1988
Regie: Isao Takahata
Der Film: Ein Film mit einem gewissen Ruf; im positivsten, aber auch in gewisser Weise im negativen Sinne. Es ist die andere Seite der Ghibli Medaille zu „Totoro“, mit welchem dieser Film 1988 in Japan zeitgleich und gemeinsam (oft in Doppelvorstellungen) in die Kinos kam. „Die letzten Glühwürmchen“ erzählt die Geschichte zweier Geschwister in den letzten Wochen des 2. Weltkriegs und gilt gemeinhin als einer der deprimierendsten Filme aller Zeiten. Was den Zuschauer hier u.a. erwartet machen schon die ersten Szenen deutlich, in denen wir den ausgehungerten Leichnam von Hauptfigur Seita finden. Dieser erzählt rückblickend, wie er als Jugendlicher die Wirren der letzten Kriegswochen verbracht hat, wie er sich insbesondere um seine kleine Schwester Setsuko kümmert und versucht, durch die Hungersnot im Land zu kommen. Trotz des etwas simplifizierenden Rufs ist „Die letzten Glühwürmchen“ ein außerordentlich komplexer und vielschichtiger Film, der sowohl politisch, aber insbesondere auch in der facettenreichen Darstellung und Bewertung seiner Hauptfigur fasziniert. Dennoch führt an der simplen Wahrheit kein Weg dran vorbei, dass man diesen Film weniger leicht und schnell verarbeitet als „Totoro“. Schafft man dies, hat man ein zentrales Ghibli Meisterwerk kennen gelernt. (Dieser Film ist aktuell nicht bei Netflix, dafür auf DVD/BD erhältlich.)
Genre/Zielgruppe: Emotional forderndes Antikriegsdrama.
Bewertung: ★★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Kikis kleiner Lieferservice (魔女の宅急便 | Majo no Takkyūbin)
Erschienen: 1989
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Vielleicht der Ghibli Film, der am meisten unterschätzt wird. (Vielleicht ist es aber auch einfach nur etwas Subjektives, wer weiß?) Basierend auf Eiko Kadonos Kinderbuchklassiker erzählt Hayao Miyazaki von der 13-jährigen Hexe Kiki, die im Zuge ihrer Hexenreife ihr Elternhaus verlassen muss, um in der Welt Fuß zu fassen und ihre Hexenkräfte zu stärken. Mit dabei ist der sprechende Kater Jiji, die markante rote Schleife im Haar und die bald aufkommende Absicht, einen Lieferservice für Konditorei- und Backwaren zu eröffnen. „Kiki“ ist ein unbeschreiblicher Genuss, gerade weil hier wieder entfesseltes Abenteuer und gute Laune mit einer emotionalen Tiefe kombiniert wird, die man nur selten in Animationsfilmen (oder Filmen generell) vorfindet. Das ist intensiv, kommt aber mit einer Leichtigkeit daher, die man kaum erklären kann. Kein wilder Slapstick und Gigantomanie, wie sie selbst einigen der besten US-Animationsfilme oftmals anhaftet, sondern klare Intentionen, überlegte Zurückhaltung, Authentizität und erzählerisches Können.
Genre/Zielgruppe: Ein Coming-of-Age und „Bildungsroman“ in erzählerischer und inszenatorischer Quasi-Perfektion. Ein Genuss.
Bewertung: ★★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Tränen der Erinnerung – Only Yesterday (おもひでぽろぽろ | Omohide Poroporo)
Erschienen: 1991
Regie: Isao Takahata
Der Film: Eigentlich gibt es keinen Grund, warum dieser Film – eine erneute Manga Adaption – ein Animationsfilm ist. Und gerade das macht diesen Film, Studio Ghibli und japanische Animation generell so interessant. Taeko ist Ende 20 und arbeitet in einem Büro in Tokio. Doch seit ihrer Kindheit träumt sie vom Land, von der Ruhe eines Dorfs und von der Arbeit auf dem Feld. Also verbringt sie ein paar Urlaubstage bei einer bekannten Bauernfamilie. Und durch diese Tage auf dem Land findet Taeko oft längst vergessene und teils intensive Kindheitserinnerung wieder. Vergangenheit und Gegenwart bedingen sich, wie so oft, gegenseitig. Als Kind hatte Taeko Schwierigkeiten, eckte an, fand sich nicht immer wieder. Auch solche Dinge findet man in „westlicher“ Animation selten: Bilder eines Besuchs im Badehaus und unbefangen natürliche Gespräche über die Pubertät, über die erste Periode. In Vergangenheit und Gegenwart geht es für Taeko nicht zuletzt auch um die Liebe, um eine erste Liebe und eine mögliche neue und endgültige. Und dann findet Regisseur Isao Takahata für dieses realistische und im besten Sinne wehmütige statt nostalgische Drama einen Moment, wie ihn nur Animation hervorbringen kann. Ein so sensationeller Moment einer großen Gefühlsregung, dass er zu den entscheidendsten Szenen im gesamten Ghibli Kosmos gehören könnte. Für die längste Zeit ist „Tränen der Erinnerung“ ein wunderbarer, aber auch bescheidener Film. Doch wie so viele Filme des Studios hört die Handlung während der Abschlusstitel noch nicht auf, geht fließend in eine weitere Szene, in eine Art Epilog über. Diese Szenen sind mal mehr, mal weniger relevant, aber immer stimmungsvoll. Bei „Tränen der Erinnerung“ ist der erzählerische Kniff und die bildliche Präsentation dieser finalen Momente der springende Punkt, wie ein Showdown. Spätestens hier zerschmilzt das kälteste und härteste Herz. (Und über die Ananas Szene könnte man Aufsätze verfassen, wie sie das Prinzip Ghibli vorspielt.)
Genre/Zielgruppe: Recht erwachsenes Persönlichkeitsdrama mit romantischen Einflüssen und reichlich Kindheitswehmut.
Bewertung: ★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Porco Rosso (紅の豚 | Kurenai no Buta)
Erschienen: 1992
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Miyazaki und die Fliegerei. Bis zu „Wie der Wind sich hebt“ sollte dieser Film das penibelste, akribischste und detailversessenste Werk des Flugzeugfans sein. Eine längere zentrale Sequenz dreht sich um Reparatur und Verbesserung eines Flugzeugs, damit dieses bei einem Wettbewerb mithalten kann. Wir befinden uns in Italien, es sind die 1920er Jahren und die Faschisten haben im Land das Sagen. Ähnlichkeiten zu „Casablanca“ kommen auf, wenn der raubeinige und großmäulige Pilot und Kopfgeldjäger Porco Rosso seine Fehde mit dem Amerikaner Curtis auslebt und der Mechanikerin Fiona näher kommt. Und, ach ja, Porco Rosso ist ein Mann mit einem Schweinskopf. Das ist keine gemeine Beschreibung eines etwas ungewöhnlichen Gesichts, sondern wörtlich gemeint. Die Flug- und Technikszenen sind mal wieder ein absoluter Traum in Sachen Gestaltung. Noch dazu umgibt das politische und auch charakterliche Treiben eine gewisse Wehmut und Nachdenklichkeit, die fasziniert. Doch manche Details – und sei es nur die etwas seltsame und rüde Prügelei gegen Ende – haben zumindest diesen Autor immer ein wenig zurückgehalten, „Porco Rosso“ zu den absoluten Ghibli Höhefliegern zu zählen. Dass „Porco Rosso“ dennoch ein mehr als sehenswerter Film ist, erübrigt sich mittlerweile beinahe zu betonen.
Genre/Zielgruppe: Genre-Mix aus Charakterdrama, Action- und Fliegerfilm mit politischen und romantischen Ecken und Kanten. Für fortgeschrittene Ghibli Fans.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Flüstern des Meeres – Ocean Waves (海がきこえる | Umi ga kikoeru)
Erschienen: 1993
Regie: Tomomi Mochizuki
Der Film: Es ist nicht leicht, in die Fußstapfen von Miyazaki und Takahata zu treten. Diese hatten für das Studio sechs (bzw. sieben) Filme vorgelegt, gaben im Duo die Marschrichtung Ghiblis vor. „Flüstern des Meeres“ war dann auch nur ein Test. Oder eine Belohnung, wenn man es so sehen will. Die jüngere Animationsgeneration sollte sich mit reduziertem Budget und fürs Fernsehen gedacht an einem eigenen Film versuchen (dürfen). Die Produktion war schwierig, dauerte länger und kostete mehr als geplant, wurde zeitweise an Konkurrenzfirmen wie z.B. Madhouse ausgelagert. All das kann man dem Film ansehen, kann man spüren, selbst wenn man es nicht weiß. „Flüstern des Meeres“ war lange Zeit, nicht zuletzt aufgrund der Veröffentlichungsgeschichte, nur in Japan wirklich bekannt, erhielt auch dank seines budgetbedingten technologischen Rückschritts das Image als schwarzes Ghibli Schaf. Und dennoch lohnt sich ein Blick auf den nur 75 Minuten kurzen Film. Basierend auf Saeko Himuros Roman haben wir es mit einem Jugendromanze zu tun. Auf zwei Zeitebenen, in Erinnerung und Gegenwart, folgen wir der vertrackten Dreiecksbeziehung dreier Schüler. Und auch wenn man immer das Gefühl hat, „Flüstern des Meeres“ sei eine nette erste Fassung einer Geschichte mit Potential, die nur darauf wartet, von einem echten Geschichtenerzähler zum Leben erweckt zu werden, ist dieser Film mit seiner Natürlichkeit und nachdenklichen Emotionalität definitiv einen Blick wert.
Genre/Zielgruppe: Jugendromanze und Drama. Für Ghibli Komplettisten.
Bewertung: ★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Pom Poko (平成狸合戦ぽんぽこ | Heisei Tanuki Gassen Pompoko)
Erschienen: 1994
Regie: Isao Takahata
Der Film: Die Filme von Isao Takahata sind innerhalb des Ghibli Katalogs immer eine Nuance spezieller als die Werke von Hayao Miyazaki. Das macht sie oftmals aber auch interessanter. „Pom Poko“ ist ein ganz besonderer Fall. Getränkt in kultureller Folklore, japanischen „Insidern“ und voll und ganz auf östliche Sehgewohnheiten ausgelegt, ist der Film eine Art „Unten am Fluss“ Japans. Nur eben ganz anders. Ein Naturschutzgebiet soll weichen, um eine Vorortsiedlung zu bauen. Die im Gebiet wohnhaften Marderhunde (Super Mario Fans dürfen Tanuki sagen.) sehen sich in ihrer Existenz bedroht und versuchen, angeführt von Marderhund-X Gonta, die Menschen zurückzudrängen und zu vertreiben. Notfalls auch mit Magie, denn die Marderhunde haben die Möglichkeit, sich in Gegenstände und auch in Menschen zu verwandeln. Und … also, es führt kein Weg dran vorbei. Manche Dinge muss man einfach mal aussprechen: die markant dargestellten Hoden der Marderhunde spielen bei der Magie eine entscheidende Rolle. Das ist eben so. „Pom Poko“ verbindet faszinierend anderes Geschichtenerzählen mit kuriosem, oft wildem Humor, einfallsreicher Phantasie, aber auch mit einem zunehmend finsteren und tragischen Ton. Denn erneut sind es Naturschutzanliegen, die in einem Ghibli Film kommuniziert werden.
Genre/Zielgruppe: In Ton und Bildsprache ungewöhnliche und kuriose Naturschutzfantasy-Dramödie. Oder so ähnlich.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Stimme des Herzens – Whisper of the Heart (耳をすませば | Mimi wo sumaseba)
Erschienen: 1995
Regie: Yoshifumi Kondō
Der Film: Ghibli ist wirklich nicht immer nur große Fantasy. „Stimme des Herzens“ ist eine jung-jugendliche Coming-of-Age Geschichte, die nur dann in Fantastik abdriftet, wenn wir unserer Heldin in ihre eigens verfasste Geschichte folgen. Es ist ein Film über die erste Liebe, die Selbstfindung an einem Wendepunkt im Leben und über eine eigens verfasste japanische Übersetzung des Lieds „Country Roads“. Die junge Shizuku vertieft sich lieber in Bücher und Geschichten, statt für die letzten Prüfungen an der Mittelschule zu lernen. Einen Namen sieht sie auf den Ausleihkarten der Bibliothek immer wieder auftauchen und fragt sich, was für ein Mensch dahinter steckt. Dann folgt sie einer frechen Katze und nimmt, wie in mehreren Ghibli Filmen, wieder so eine quasi-magische Abzweigung, die sie in eine ihre fremde und bezaubernde Welt führt. Nur, dass diese Welt real ist. Geschichten wie diese findet man im amerikanischen Animationsfilm nicht. Ein augenscheinlich simpler Film, der gerade wegen seiner Eleganz und seiner unverfälschten Emotionen besonders ist.
Genre/Zielgruppe: Coming-of-Age Jugenddrama und Romanze.
Bewertung: ★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Prinzessin Mononoke (もののけ姫 | Mononoke Hime)
Erschienen: 1997
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Der Film, der die Vorarbeit leistete, dass Ghibli auch im Westen eine größere Aufmerksamkeit erlangte. Doch ganz unabhängig davon einfach ein absoluter Meilenstein der Animationsgeschichte, egal ob Ost oder West oder irgendwo dazwischen. Ein gigantisches, mitreißendes, über-bildgewaltiges und einzigartiges Fantasy-Epos mit einer Wucht, einer Dramatik und einer Emotionalität, die es in der gesamten Filmgeschichte kaum ein zweites Mal gibt. Allein die Komplexität der Figuren, fernab simpler gut/böse, richtig/falsch Muster, begeistert, wie Miyazaki Prinz Ashitaka, Herrin Eboshi von der Eisenhütte und Waldmädchen San (Mononoke) vorstellt, gegeneinander ausspielt und miteinander in einem größeren Kontext verwebt, ist ungeheuer spannend und mitreißend. Die Wölfe, der Eber, der Waldgott und die kleinen zahlreichen Kodama – „Prinzessin Mononoke“ ist randvoll mit spannenden Figuren, übernatürlichen Gestalten und grandiosen Bildideen. Und natürlich besitzt auch dieser Film, vielleicht stärker als jemals zuvor, ein Naturschutzanliegen, stellt besonders deutlich die Frage nach der Möglichkeit eines Zusammenlebens des Menschen mit der Natur.
Genre/Zielgruppe: Fantasy-Epos. Etwas brutaler und ernster als „Nausicaä“ und „Das Schloss im Himmel“, aber auch noch (!) intensiver und noch besser.
Bewertung: ★★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Meine Nachbarn die Yamadas (ホーホケキョとなりの山田くん | Hōhokekyo Tonari no Yamada-kun)
Erschienen: 1999
Regie: Isao Takahata
Der Film: Isao Takahata war nicht zuletzt in seiner Ghibli Zeit immer jemand, der gerne in Form und Inhalt Experimente wagte. „Meine Nachbarn die Yamadas“ kommt nun in einem Stil daher, den Takahata in seinem finalen Film, „Die Legende der Prinzessin Kaguya“, noch ausbauen und weiterführen sollte. Basierend auf den Comicstrip Mangas von Isaichi Ichiii entfaltet sich dieser Film als radikal abstrahierter eigener Comicstrip, präsentiert in Kreide- und Aquarelloptik. Es sind Slices of Life. Episoden und Vignetten aus dem Leben der Yamadas; drei Generationen einer normal-verrückten Durchschnittsfamilie. Uneinigkeit im Haushalt, kleinere und größere Missgeschicke, vergessene Regenschirme, Pläne fürs Essen und störende Motorradfahrer in der Nachbarschaft. Es ist aus dem Leben gegriffen, aber, ähnlich wie die simplen und doch extremst ausdrucksstark gestalteten Figuren, herrlich komisch. Hat man sich einmal auf Stil und Ton eingelassen, verbringt man den kompletten Film mit einem wohligen Grinsen, welches häufig in große Lacher ausbricht und gelegentlich auch das Herz erwärmt.
Genre/Zielgruppe: Durch Stil und Ton ein spezieller Fall und dennoch ein Film für absolut jeden.
Bewertung: ★★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Chihiros Reise ins Zauberland (千と千尋の神隠し | Sen to Chihiro no Kamikakushi)
Erschienen: 2001
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Manche Dinge passieren aus einem Grund. Manchmal wird ein Film zum Meisterwerk deklariert, der es auch wirklich verdient hat. „Chihiros Reise ins Zauberland“ ist Hayao Miyazakis vermutlich größtes Meisterwerk, in Handlung, Figuren, Gestaltung, Script und Animation eine absolute Wundertat. Kein Wunder also, dass dieser Film auch im Westen zahlreiche bedeutende Preise gewann (u.a. Goldener Bär und einen Oscar) und den Namen Ghibli endgültig bekannt machte. Vielleicht sorgen derartige Vorschusslorbeeren für zu große Erwartungen und eine gefährliche Fallhöhe des Films. So was kann passieren. Wer sich traut, folgt der jungen Chihiro, die mit ihren Eltern in ein neues Haus umzieht. Auf der Fahrt in die neue Heimat kommen sie durch einen dieser magischen Tunnel, wie es sie bei Ghibli gleich mehrfach gibt. Auf der anderen Seite finden sie einen alten und vergessenen Vergnügungspark, den sich die Eltern – sehr zu Chihiros Ärger – anschauen wollen. Doch bald wird die Welt hinter dem Tunnelausgang lebendig, geraten Chihiros Eltern in Gefahr. Und so muss sich Chihiro in einer sonderbar mystischen Geister-Zwischenwelt behaupten, um ihre Eltern zu retten und selbst zu überleben. Beschreibungen kommen dem schieren Einfallsreichtum dieser Geschichte und ihrer Welt nicht wirklich nahe. Die Welt der Geister, mit dem Badehaus, Hexe Yobaba, der Kohlenkeller, der junge Haku, No-Face, der Drache – es gibt so vieles zu entdecken, doch das wäre in einem schwächeren Film alles nur äußerlicher Reiz. Miyazaki konstruiert daraus eine überaus spannende, mitreißende, bewegende und schlicht einzigartige Abenteuergeschichte. Ein Meisterwerk.
Genre/Zielgruppe: Einfallsreiches, bildgewaltiges Fantasyabenteuer. Etwas gruselig für die Jüngsten, aber ansonsten absolute Pflichtaufgabe.
Bewertung: ★★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Das Königreich der Katzen (猫の恩返し | Neko no Ongaeshi)
Erschienen: 2002
Regie: Hiroyuki Morita
Der Film: Diesen Film würde es ohne „Stimme des Herzens“ (s.o.) nicht geben. Romanautorin Aoi Hiiragi schrieb die Vorlage zu „Stimme des Herzens“ und im Zuge der Ghibli Adaption bat Hayao Miyazaki die Autorin, inspiriert von einer Romanhandlung innerhalb des Films, ein neues Buch zu schreiben. So entstand „Das Königreich der Katzen“. Auch hier begegnen wir der Baron genannten Katzenfigur und einer etwas frechen und etwas pummeligen Katze namens Muta. Doch kennen muss man „Stimme des Herzens“ nicht, um an diesem Film seine Freude zu haben. Die 17-jährige Haru rettet einer Katze das Leben und gerät so ins Interesse des Katzenkönigreichs, welches in einer Zwischenwelt zur Erde existiert. Um vom Katzenkönig, der eindeutig nicht die nettesten Absichten hat, nicht ausgetrickst zu werden, benötigt Haru Hilfe. Auftritt des Barons. „Das Königreich der Katzen“ ist ganz offensichtlich nicht mit der finanziellen und inszenatorischen Größe einiger anderer Ghiblis ausgestattet. Doch diese flotte, kleine Fantasy Geschichte macht dennoch Spaß, gerade weil sie ein wenig enthemmt und ein bisschen verrückt ist.
Genre/Zielgruppe: Harmlos-unterhaltsames Light-Fantasy Abenteuer für etwas ältere Kinder und alle darüber hinaus.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Das wandelnde Schloss (ハウルの動く城 | Hauru no ugoku Shiro)
Erschienen: 2004
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Westliche Literaturvorlagen fanden nicht selten ihren Weg zu Hayao Miyazaki und Ghibli. „Das wandelnde Schloss“ basiert auf Diana Wynne Jones‘ Roman, entfaltet sich als Miyazaki-Film aber als faszinierendes Patchwork aus Ost und West. Einmal mehr zeigt Pazifist Miyazaki eine Welt, die durch wuchernden technologischen Fortschritt und Krieg an die Grenzen ihrer eigenen Auslöschung gebracht wird. Im Zentrum steht die junge Sophie, die von einer eifersüchtigen Hexe in eine alte Frau verwandelt wird. Zufällig kommt Sophie bei Zauberer Hauru in seinem wandelnden Schloss unter, mit der magischen Tür, dem „bärtigen“ Gehilfen und dem lebenden Feuer Calcifer. Hauru, der hinter der verschlossenen Tür im auslaugenden Kriegsdienst aktiv ist, verliert mehr und mehr seine Menschlichkeit und Persönlichkeit. Doch der König und die staatliche Hofzauberin wollen Haurus Dienste für sich gewinnen. „Das wandelnde Schloss“ betreibt großen Aufwand in Sachen World Building und Hintergründen, lässt Figuren und Motiven aber genügend Freiraum unerklärt zu bleiben. Dadurch können sich vielleicht gewisse Zugangsschwierigkeiten einstellen, doch in seiner gestalterischen und inhaltlichen Fabulierfreude ist der Film erneut eine große Tat. Fantasy, die erst kindgerecht unterhaltsam ist und dann glaubwürdig ernstere Töne anschlägt, ohne die Hoffnung und Unterhaltung komplett aus den Augen zu verlieren. Der eine Blick auf Haurus Zimmer? Gigantisch.
Genre/Zielgruppe: Etwas reifere Fantasy mit ernsteren Tönen, aber auch viel drolliger Unterhaltung. Vielleicht der passende Zwischenschritt von „Das Schloss im Himmel“ zu „Mononoke“.
Bewertung: ★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Die Chroniken von Erdsee (ゲド戦記 | Gedo Senki)
Erschienen: 2006
Regie: Gorō Miyazaki
Der Film: In seiner Entstehung der speziellste Fall im Ghibli Katalog. Hayao Miyazakis Wunsch, die „Erdsee“ Saga von Ursula K. Le Guin zu adaptieren, scheiterte zunächst am Veto der Autorin, die Adaptionen grundsätzlich ablehnte und hinter Ghibli nur einen japanischen Disney vermutete. Als Le Guin die Werke von Miyazaki und Ghibli kennen lernte und als würdig erachtete, sah sich Hayao Miyazaki am Ende seiner Karriere. Sein Sohn Gorō sollte die Regie übernehmen. Es würde das Regiedebüt eines Mannes werden, der eigentlich kein Animationsfilmregisseur sein wollte, der im Schatten seines Vaters stand. Doch einmal angefangen, wollte sich Gorō Miyazaki die Gelegenheit nicht nehmen lassen, so dass es zu reichlich dicker Luft zwischen Vater und Sohn während der Produktion kam. Und so ganz nebenbei ist „Die Chroniken von Erdsee“ ein recht freier Querschnitt durch Le Guins über mehrere Romane entworfene Fantasywelt. So dürften für den mit „Erdsee“ vertrauten und auch unvertrauten Zuschauer am Ende einige Fragen offenbleiben. Drachen, Seuche, Königsmord? Das „World Building“ des Films lässt zu wünschen übrig, so dass man nie so ganz tief in dieser eigentlich spannenden Welt versinkt. Figuren, Motive und Konflikte bleiben oberflächlich. Dabei ist der Film außerordentlich hübsch bebildert, insbesondere mit Hintergründen, die in Farbe, Lebendigkeit und Gestaltung mehr als sehenswert sind. Und dennoch merkt man irgendwie auch, dass der Film eine ungewöhnlich kurze Produktionszeit hatte. „Chroniken von Erdsee“ sieht toll aus, aber es sollte ein großer neuer Ghibli Film werden und „Mononoke“ und „Chihiro“ waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als fünf Jahre alt.
Genre/Zielgruppe: Fantasy-Abenteuer für ältere Kinder. Trotz FSK ab 6 für dieses Alter vermutlich in einigen Passagen zu brutal und zu unheimlich.
Bewertung: ★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Ponyo: Das große Abenteuer am Meer (崖の上のポニョ | Gake no Ue no Ponyo)
Erschienen: 2008
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Hayao Miyazaki liebt das Fliegen, aber an einer engen Beziehung zum Wasser und zum Meer kommt wohl kaum ein Japaner vorbei. Miyazaki wurde durch einen Besuch in einer Küstenstadt zu diesem farbenprächtigen Kinderabenteuer inspiriert, kombinierte verschiedene Vorlagen und Einflüsse, um vom kleinen Sosuke zu erzählen, der eine magische kleine Meereskreatur findet, die er für einen Goldfisch hält und Ponyo tauft. Mit im Spiel sind Ponyos magischen Eltern, eine Mixtur, die die Welt überschwemmen könnte, eine Gruppe rüstiger Rentnerinnen und Sosukes wunderbare, taff-herzensgute Mutter Lisa. Oder Stiefmutter? Spielt keine Rolle, es ist in einer Nebenrolle eine der schönsten Mutterrollen bei Ghibli und darüber hinaus. Miyazaki, seit jeher Zukunftswarner und Kritiker an Umweltvergehen, übergibt die Hoffnung an eine Rettung der Welt und der Menschheit in Kinderhände. Nicht ohne Grund ist „Ponyo“ der kindlichste Film im Ghibli Kosmos, stärker noch als „Totoro“. Viel zu sehen, zu staunen und viel Unterhaltsames gibt es dennoch, nicht zuletzt die wunderbar weich abstrahierten und dynamischen Bilder, die ganz explizit ohne die geringste Computerunterstützung auskommen. Und einen Ohrwurm zum Abschluss gibt es noch dazu.
Genre/Zielgruppe: Farbenprächtiges Kinderabenteuer. Ein Film für die Kleinsten, wenn auch vielleicht etwas seltsam. Aber daher vielleicht genau der richtige Augenblick, um frühzeitig den Horizont zu erweitern.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Arrietty: Die wundersame Welt der Borger (借りぐらしのアリエッティ | Karigurashi no Arietti)
Erschienen: 2010
Regie: Hiromasa Yonebayashi
Der Film: Die Ghibli Verantwortlichen hatten es im Laufe der 2000er versäumt (oder schlicht nicht entschieden genug gewollt) eventuelle Nachfolger der großen beiden Regisseure, Miyazaki und Takahata, ins Boot zu holen und heran zu führen. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten war und ist Hiromasa Yonebayashi, dem mit „Arrietty“ ein verblüffend leichtfüßiges und selbstbewusstes Ghibli Debüt gelang. Es ist, wie der deutsche Untertitel vorwegnimmt, eine erneute Adaption von Mary Nortons Kinderbuchklassiker „Die Borger“, über eine Familie etwa 10cm großer Wesen, die in den Zwischenwänden und kleinen Kellertunneln eines Familienhauses leben. Die junge Arrietty ist inzwischen alt genug, um mit ihrem Vater nachts auf Borger-Tour durchs Haus zu gehen, doch sie wird von Menschenjunge Sho gesehen. Die Existenz der Borger beruht darauf, geheim und unentdeckt zu bleiben. Yonebayashi, der seit „Mononoke“ als Animator bei Ghibli arbeitete, kreiert mit seinem Team einige wunderschöne Hintergründe. Überhaupt gehört das Set Design dieses Films mit zu den schönsten im Ghibli Katalog. Die genau richtig dosierte kleine Geschichte ist bescheiden, in den entscheidenden Momenten aber dennoch treffend emotional. Zudem ist das Spiel mit Perspektive und Größen jedes Mal aufs Neue verblüffend und unterhaltsam. Arrietty mit Klammer im Haar und der Stecknadel als Degen ist eine würdige neue Ghibli Heldin.
Genre/Zielgruppe: Kinderabenteuer nach der auch im Westen bekannten Vorlage. Passend zum Einstieg für Jüngere.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Der Mohnblumenberg (コクリコ坂から | Kokurikozaka kara)
Erschienen: 2011
Regie: Gorō Miyazaki
Der Film: Es war irgendwie überraschend, dass Gorō Miyazaki nach „Erdsee“ noch einmal einen Film machen konnte und wollte. Ein Film, der gleich mehrfach wie ein Versuch der Versöhnung wirkt, nicht zuletzt auch zwischen Miyazaki Senior und Junior. Hayao Miyazaki schrieb das Script, eine Adaption des Mangas von Tetsurō Sayama und Chizuru Takahashi, über zwei Schüler in einer Küstenstadt in den 1960er Jahren, kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio. Es geht um das Klubhaus an der Schule, um Familiengeheimnisse und -verbindungen, und darum, die Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen. In Ansätzen hat der Weg der 16-jährigen Umi Ähnlichkeiten mit „Stimme des Herzens“, wie sie in Abwesenheit ihrer Mutter eine Pension führt, für die Schule lernt und den Anstoß für die Renovierung des Klubhauses gibt. Natürlich umgibt diese Geschichte auch etwas zutiefst Japanisches, ist es nicht zuletzt auch eine Neu- und Selbstfindung des Landes. Dennoch ist dieser absolut prachtvoll gestaltete Film in seiner wunderbar zurückhaltenden und fokussierten Handlung zu jeder Zeit auf Höhe zu seinen jugendlichen Protagonisten.
Genre/Zielgruppe: Jugenddrama und leise Romanze.
Bewertung: ★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Wie der Wind sich hebt (風立ちぬ | Kaze Tachinu)
Erschienen: 2013
Regie: Hayao Miyazaki
Der Film: Nach aktuellem Stand ist dies der Film, mit dem Hayao Miyazaki seine schillernde und einzigartige Karriere beenden wollte. Und es ist ein passender wie würdiger Abschied, gleichermaßen ein qualitatives Highlight und thematisch passend. Es ist zudem der realistischste und erwachsenste unter Miyazakis Filmen. In Anlehnung an die wahre Biographie von Flugzeugdesigner Jiro Horikoshi erzählt Miyazaki, wie dieser im Japan der 1930er und 40er Jahre Flugzeuge entwarf, die etwas später zu Maschinen aus Gewalt und Tod werden sollten. Das Script setzt diese Arbeit mit Jiros Privatleben in Verbindung, mit seiner kranken Frau und seiner eigenen krankhaften Obsession, Flugzeuge zu entwerfen. Wie gewohnt ist Miyazaki an Nuancen und Zwischentönen interessiert, liefert zwar die so treffende Analogie mit der Welt ohne Pyramiden und ist doch erstaunlich direkt darin, die Ausmaße von Jiros Arbeit auszuleuchten. Dennoch ernteten Film und Filmemacher reichlich Kritik ob der vermeintlich ungenauen Darstellung eines Mannes, der Kriegsgerät baute. Wer Interviews mit dem Filmemacher gehört oder gelesen hat, sich vielleicht durch die Doku „Kingdom of Dreams and Madness“ geschaut hat, wird wissen, was für eine zuweilen zynische Sicht Miyazaki auf sein eigenes Schaffen hat. Und auch das spürt man in diesem makellos konstruierten und animierten Film. Auch dieses biographische Drama des vermeintlichen Fantasy-Regisseurs Miyazaki kommt nicht ohne wortwörtliche träumerische Phantasieszenen aus, bewegt durch seine intelligent konstruiertes doppeltes Drama und verblüfft mit seinem A-cappella Tondesign. Ein Film zum mehrmals sehen. Und ein Meisterwerk.
Genre/Zielgruppe: Eher ernstes und realistisches biographisches Drama.
Bewertung: ★★★★★

© Studio Ghibli, Universum Film

Die Legende der Prinzessin Kaguya (かぐや姫の物語 | Kaguya-hime no Monogatari)
Erschienen: 2013
Regie: Isao Takahata
Der Film: Die Geschichte des Bambussammlers gilt als die älteste folkloristisch überlieferte Erzählung in der japanischen Kultur. Isao Takahata nahm sich dieser Geschichte in seinem finalen Film an, präsentiert in einer atemberaubenden und einfach wunderschönen Stilrichtung aus Aquarellhintergründen und wild-lebhaften Führungslinien. Ähnlich wie in „Tränen der Erinnerung“ findet Takahata auch hier wieder (mindestens) einen Moment höchster emotionaler Regung, um ihn zu einem gigantisch-dynamischen Animationsmoment zu gestalten. Es ist die märchenhafte Erzählung eines einfachen Bambusbauern und seiner Frau, die eines Tages im Bambus einen Säugling finden. Das rasch heranwachsende Mädchen wird Takenoko („Bambuskind“) getauft und ist offenbar magischen Ursprungs, so dass ihre Zieheltern bald auf magische Weise mit Gold entlohnt werden. Sie verstehen, ihre Findeltochter ist eine besondere Prinzessin und kann nicht in einem einfachen Bauernhaus leben. Doch mit dem Wohnsitzwechsel verändert sich auch das Leben des jungen Mädchens. „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ kommt märchenhaft-allegorisch daher und ist durchzogen von Bildern japanischer Mythologie und japanischer Gesellschaftsformen. Das ist selbst als charakterstarkes Bildungsabenteuer nicht immer einfach für den westlichen Zuschauer, aber gerade deshalb so lohnend. Öfter mal Neues erblicken. Und allein als animationstechnische Stilerfahrung ist dieser Film eine Sichtung wert. (Außerdem Fun Fact: Dieser Film ist der teuerste japanische Film aller Zeiten, animiert oder nicht.)
Genre/Zielgruppe: Märchenhaft parabelartiges Drama. Für Kulturfreunde und Ghibli Fortgeschrittene.
Bewertung: ★★★★☆

© Studio Ghibli, Universum Film

Erinnerungen an Marnie (思い出のマーニー | Omoide no Mānī)
Erschienen: 2014
Regie: Hiromasa Yonebayashi
Der Film: Vielleicht liest man in manche Filme zu viel Bedeutung herein. „Wie der Wind sich hebt“ ist einfach zu perfekt und passend als Karrierefazit von Hayao Miyazaki. Und „Erinnerungen an Marnie“ wirkt – zumindest inhaltlich – wie ein idealer Abschied von Studio Ghibli, ein Versprechen der Vergangenheit an die Zukunft, immer zur Seite zu stehen. Dass der Film erzählerisch eher am unteren Ende im Ghibli Katalog steht, ist dabei etwas bedauerlich. Es sind Traumata des Verlassenwerdens, des Nicht-geliebt-werdens. Die junge Anna ist Waise, von Einsamkeit und Selbsthass geplagt, so dass sie am liebsten allen Menschen für immer aus dem Weg gehen würde. Wegen einer Krankheit wird sie den Sommer über in ein kleines Küstendorf zu Bekannten geschickt. Hier lernt sie bald die faszinierende (und auffällig blonde) Marnie kennen, die in dem Haus wohnt, welches Anna gestern noch als unbewohnt bemerkt hatte. Marnie gibt Anna Halt, lockt sie aus ihrem Turm der Einsamkeit heraus. Doch auch Marnie hat Geheimnisse und eine schwere Last zu tragen. Trotz eindeutiger Auflösung ist die Freundschaft der Mädchen so intensiv, dass sie sich vielfältig deuten lässt, Mutmacher in diverse Richtungen sein kann. Erzählt ist das alles eher behäbig statt überlegt, gelegentlich eher plump melodramatisch statt sensibel. Doch „Erinnerungen an Marnie“ ist nicht zuletzt auch ein Tränendrücker und kann darin durchaus erfolgreich sein. Selbst eine unterdurchschnittliche Präsentation kann die Grundqualitäten eines Ghibli Films nicht trüben.
Genre/Zielgruppe: Rührseliges Selbstfindungs- und Freundschaftsdrama. Die Faustregel solcher Filme besagt, die Zielgruppe ist in etwa so alt wie die Hauptfigur (12), doch wie immer gilt, dass insbesondere nach oben hin keine Grenzen gesetzt sind.
Bewertung: ★★★

© Studio Ponoc, EuroVideo

Ghiblis Zukunft & Studio Ponoc:
Studio Ghibli war schon mehrfach totgesagt oder offiziell im Ruhestand. Zu sehr sind Leben und Werk der Animationsfilmschmiede an Hayao Miyazaki und Isao Takahata geknüpft. Nach Miyazakis angekündigtem Karriereende und durch Takahatas Tod 2018 schien eine Ära zu Ende zu gehen. Doch nicht nur gibt es vage Hinweise, dass Miyazaki zum dritten Mal von einem Karriereendeplan zurücktritt und an einem neuen Spielfilm arbeitet, auch ging aus der Ghibli Pause ein neues Studio hervor. Autoren, Zeichner und Regisseure formierten sich 2015 zu Studio Ponoc, um die Tradition (überwiegend) handgezeichneter Animefilme weiterleben zu lassen. Schon der Name des Studios gibt vor, welche Absichten man verfolgt, welche Position man einnehmen will. „ponoć“ kommt aus dem Kroatischen und bedeutet Mitternacht, was im Verständnis als „Anbruch eines neuen Tages“ gedeutet werden soll. Studio Ponoc steht in der Tradition, aber auch im Schatten von Studio Ghibli. Das erkennt man auch am bisher einzigen Langfilm:

Mary und die Blume der Hexen (メアリと魔女の花 | Meari to Majo no Hana)
Erschienen: 2017
Regie: Hiromasa Yonebayashi
Der Film: Nach der Kinderbuchvorlage von Mary Stewart folgen wir der jungen Mary, die eine magische Blume findet, die ihr kurzzeitig Zauberkräfte verleiht und sie in die geheime Welt der Hexen und Zauberer führt, inklusive einer Zauberschule in den Wolken. Und so beginnt ein turbulentes und bildstarkes Abenteuer, randvoll mit mal zufälligen und häufig glasklar gewollten Referenzen an diverse Ghibli Filme. Kiki, Chihiro und Das Schloss im Himmel, alles findet sich hier wieder. „Mary und die Blume der Hexen“ fühlt sich dadurch und durch den Animationsstil an wie ein Versprechen, wie eine Ankündigung, die Ghibli Tradition fortzusetzen. Das ist ein ehrenwertes und wunderbares Ziel. Doch als eigenständiger Film wirkt „Mary“ auch immerzu wie eine light Version anderer Geschichten, die wir bereits in x-fach besserer Art und Weise gesehen haben.
Genre/Zielgruppe: Kunterbunte und optisch einfallsreiche Märchen-Fantasy für Fans von „Kiki“ und Harry Potter.
Bewertung: ★★☆

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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