Twin Peaks: The Return – Zwischen Nostalgie, Neuerung und Dekonstruktion
#ZuHauseBleiben
… und „Twin Peaks: The Return“ gucken
Egal, ob es ein ungesehener Film aus dem Blu-ray Stapel ist, ein Film aus der Netflix Watchlist, ein ungelesenes Buch, welches im Schrank verstaubt, oder ein Spiel, welches in der Steam Bibliothek bisher übergangen wurde, manchmal braucht es den sprichwörtlichen Wink mit dem Zaunpfahl, den Tritt in den Hintern, um sich heranzuwagen und zu sagen: So, jetzt aber. Vielleicht standen bisher andere Dinge im Weg. Vielleicht ist diese ungeschaute Sache eine große zeitliche Herausforderung- Vielleicht erwartet man eine ganz spezielle Stimmung, für die man selbst in der passenden Verfassung sein sollte. Vielleicht stand die Sache aber auch gar nicht dauerhaft zur Verfügung, dass man sich ihr widmen konnte.
Bei „Twin Peaks: The Return“ kamen für mich mehr oder weniger alle diese Facetten zusammen. Und es kamen mehrere Facetten zusammen, dass es nun geklappt hat. Nachdem 2019 nicht zuletzt als letztes Jahr einer Dekade überdurchschnittlich filmintensiv war, hatte ich mir den Vorsatz zum neuen Jahr gesetzt, wieder etwas mehr Serien zu schauen. Nicht ausschließlich, aber mehr. Nachdem ich zufällig über „Penny Dreadful“ gestolpert war und alle drei Staffeln rasch verschlungen hatte, reaktivierte ich für „Watchmen“ mein Sky Ticket Abo, fand noch Zeit für „Sharp Objects“ und hatte versäumt, das Abo wieder zu kündigen. Also war noch Zeit übrig und eine Serie namens „Twin Peaks“ bei Sky noch im Angebot. Wenn nicht jetzt, wann dann? Als dann die „besser zu Hause bleiben“ Warnungen bezüglich Corona lauter wurden (und als beruflich Folgen auftauchten), nahm ich die 18-stündige Herausforderung an und folgte David Lynch und Mark Frost bei ihrer Rückkehr nach Twin Peaks.
Die Originalserie hatte ich vor ca. fünf Jahren zuletzt gesehen und in groben Zügen noch im Kopf. Ein Recap Video Essay half der Erinnerung auf die Sprünge. Der Film „Fire Walk With Me“ (1992) war noch präsenter, wurde zuletzt als Vorbereitung geschaut, als „The Return“ offiziell erschien – und dann nicht von mir geschaut wurde. Das ist nun bald auch schon drei Jahre her. Vielleicht war es naiv, mehr als fünf Jahre alte Erinnerungen an eine so komplexe und mit so viel Personal bevölkerte Serie wie „Twin Peaks“ als ausreichend zu bemessen. Vielleicht hatte ich die Auffrischung durch das YT-Video überschätzt. Vielleicht hätte ich Mark Frosts Buch „Die geheime Geschichte von Twin Peaks“ lesen sollen, welches tiefer in die Mythologie der Serie eindringt. Andererseits ergaben sich einige Verständnisprobleme zu Beginn hauptsächlich dadurch, dass man die um 25 Jahre älter gewordenen Darsteller nicht mehr sicher erkennen und benennen konnte. Donna und Audrey bzw. Lara Flynn Boyle und Sherilyn Fenn hatten immer schon eine gewisse Ähnlichkeit. Ist die Frau in der Bar nun Mädchen Amick alias Shelly oder sieht sie ihr nur ähnlich? Hatte Heather Graham keine Zeit und ist dies nun Annie Blackburn? Und dieser Polizist mit den ergrauten Haaren, das soll Bobby Briggs sein? DER Bobby Briggs? Aus mehreren Gründen: was ist denn da passiert?
The gum you like is going to come back in style.
Vielleicht hatte ich meine eigene Nostalgie für „Twin Peaks“ überschätzt, als ich die Rückkehr anging. Andererseits spreche ich hier nur von Nostalgie, da so ein Serienrevival für gewöhnlich genau darauf abzielt. Ich bin grundsätzlich kein Fan davon, wie stark Nostalgie bzw. nostalgische Befriedigung an Bedeutung gewonnen hat. Und ich bin erst recht kein Fan davon, wenn Nostalgie als Grundlage oder Begründung für erzählte Geschichten genommen wird. Neugierig macht dieser Umgang mit vertrauten Geschichten, Welten und Figuren dennoch. Erst das „Gilmore Girls“ Revival z.B. konnte mich seinerzeit dauerhaft an Netflix binden. In gewisser Weise war „Twin Peaks“ prädestiniert für eine späte Neuauflage und Fortführung. Der mysteriöse Mord, die Ermittlungen, die soapigen Nebenhandlungsstränge, die kuriosen Figuren und die zunehmend surrealer werdenden bösen Mächte der Stadt bzw. der Serie waren eine einzigartige Mixtur, die schon damals Einflüsse trugen, die man als nostalgisch oder retro bezeichnen könnte. Das Melodrama der unzähligen Beziehungen und Liebschaften, mit denen das Geschehen gespickt war, fühlte sich immer etwas überzeichnet, aber auch zeitlich entrückt an. Und nicht zuletzt kündigte die Serie die eigene Rückkehr selbst an. „I’ll see you in 25 years“, versprach Laura Palmer damals Agent Dale Cooper in der Schwarzen Hütte (Black Lodge). Beinahe hätte es mit der Zeitangabe auch in unserer Realität geklappt.
Doch Frost/Lynch scheinen die Rückkehr nach „Twin Peaks“ nicht für eine große „Oh, weißt du noch damals“ Rückschau nutzen zu wollen. Im Gegenteil. „The Return“ fühlt sich an, als seziere insbesondere Lynch das Konzept von Nostalgie und die Idee eines Serienrevivals. Frost und Lynch, die alle achtzehn Episoden selbst produzierten, konzipierten und ohne zusätzliche Autoren schrieben, mit Lynch als Regisseur (sowie Sound Designer und einer von mehreren Cuttern) der kompletten achtzehn Stunden, nutzen das Revival, um dem geneigten Fan mit dem „Damn good coffee“ T-Shirt vor den Kopf zu stoßen, um die Idee eines simplen Neuaufgusses komplett ab absurdum zu führen. Und ad absurdum heißt in diesem Fall, in Welten, die Lynchs „Inland Empire“ wie „The Straight Story“ aussehen lassen. Na ja, zumindest teilweise.
The owls are not what they seem. (Der Riese)
Die Dekonstruktion des Revivals ist natürlich nicht die einzige Idee, die von „The Return“ ausgeht. Lynch äußerte in der Vergangenheit vermehrt Bedauern darüber, vom TV Sender genötigt worden zu sein, den Mord an Laura Palmer aufzuklären. Lynch und Frost hatten an einem klassischen Murder Mystery nie Interesse, hatten nie beabsichtigt, einen echten Mörder zu offenbaren. Entsprechend kryptisch ist die vermeintliche Auflösung um Leland Palmer und die Entität Bob. Von einer „Goldenen Gans“ sprach Lynch in Bezug auf die Möglichkeiten, die von „Twin Peaks“ hätten ausgehen können, von einer Serie, die in immer wieder neue, so einzig- wie eigenartige Wege abdriftet. Ein wenig davon, so scheint es, findet sich in „The Return“. Wir driften 25 Jahre später so weit ab, dass ein Großteil der Handlung überhaupt nicht in Twin Peaks spielt, nicht einmal im Bundesstaat Washington. New York, Las Vegas und South Dakota sind zentrale Stationen dieser Geschichte.
Die ersten Szenen in New York, wenn wir einem jungen Mann beiwohnen, der auf einen stark abgesicherten und von zahlreichen Kameras bewachten Glaskubus starrt, könnten aus allen möglichen Filmen und Serien sein, von „Black Mirror“ bis „Westworld“, aber für „Twin Peaks“ ist es irritierend. Es ist – dann doch wieder ganz traditionell TP – allerdings auch derart anders, dass es neugierig macht. Diese Neugierde wird noch verstärkt, wenn sich etwas im Glaskubus regt, mit argen Konsequenzen für den Beobachter. Und dann? Dann gehen gefühlt zehn Episoden ins Land, ehe wir nach New York und zum Glaskubus zurückkehren.
Zu Beginn wechseln wir lieber zu einem Leichenfund in South Dakota und zu Schulrektor Matthew Lillard („Scream“), der ein Verdächtiger ist. Nach einer sonderbaren und vollkommen unkommentierten Szene im Gefängnis fällt auch dieser Handlungsstrang für eine Weile zurück. Selbst der böse Agent Cooper Doppelgänger, der sich am Ende der zweiten Staffel als neuer BOB-Träger in die Realität gebracht hat, kurvt zunächst irgendwo anders herum, versammelt ein paar Hinterwäldler Handlanger, die schmutzige Geschäfte erledigen sollen. Bei ihm ist Jennifer Jason Leigh, die zwei Sätze sagt und dann erst einmal nicht wieder auftaucht. Und diese Handhabe hat Methode. Man kann sich bei „The Return“ auf nichts verlassen, kann sich in keiner Weise sicher sein. Auch prominente Schauspieler sind keine Garantie darauf, dass diese Figuren eine Rolle spielen. Lillard, Leigh, Amanda Seyfried, Michael Cera, Jane Levy und Jim Belushi? Wer weiß, ob die wirklich noch einmal relevant werden? Aber besser doch genau aufpassen und Namen lernen, ganz genau zuhören, was diese Figuren von sich geben und welche anderen Namen sie in den Raum werfen.
Und Twin Peaks, die Stadt, was passiert dort? Dort regt Log Lady Margaret Detective Hawk durch einen Anruf an, die alten Laura Palmer und Agent Cooper Akten wieder hervorzuholen, denn etwas fehle. Lucy, Andy und Sheriff Truman sind dabei, offenbar auch Bobby, der nun einmal inzwischen Cop geworden ist, denn anders als in anderen Serienrevivals ist hier wirklich Zeit vergangen und Menschen haben sich weiterentwickelt, waren nicht über Jahre hinweg im Kälteschlaf. Also doch halbwegs vertraut in der Kleinstadt nahe der kanadischen Grenze? Nun, im vielleicht besten „Trolling“ der Serie heißt dieser Sheriff Truman mit Vornamen Frank, wird gespielt von Robert Forster und ist der Bruder des eigentlich erwarteten Harry S. Truman, den wir aus der Originalserie kennen und erwartet haben. Harry sei krank, heißt es auf Nachfrage. Die Rückkehr von Harry und das damit verbundene Wiedersehen mit Michael Ontkean wird derart oft und lange hinausgezögert, dass man Lynchs krächzendes Lachen schon im Hinterkopf hören kann. Nostalgie ist in „The Return“ ein Köder, mit dem Lynch/Frost den Zuschauer angeln, an der Nase herumführen und oftmals auch einfach nur veräppeln.
Gefühlt 75 Handlungsstränge sind nach den ersten paar Episoden entstanden. Selbst weit in der zweiten Hälfte der Staffel hinein tauchen plötzlich neue Figuren auf, ohne große Einführung, ohne echte Erklärung und ohne Garantie, wie lange wir diesen Plot verfolgen. Nahezu jede Episode endet auf ähnliche Art und Weise, nämlich im Roadhouse, in der Bang-Bang-Bar. Dort lauschen wir oftmals irgendwelchen Unbekannten, die vielleicht/vielleicht auch nicht noch relevant werden, wie sie über Gott, die Welt und private Probleme sprechen. Und zum Abschluss lässt Musikliebhaber Lynch auf der Bühne in der Bar diverse Musiker aufmarschieren, die uns in den Abspann begleiten. Anhand dieser Regelmäßigkeit kann man ein paar erzählerische Tricks frühzeitig durchschauen und sich womöglich ersparen, nach wenigen Episoden frustriert den Fernseher von der Wand zu reißen. Wiederholung, Repetition und damit verbundene Frustration sind hier Mittel zum Zweck. So erhalten einerseits Momente, die vom Rhythmus abweichen, eine erhöhte Bedeutung, und andererseits knüppelt Lynch den Zuschauer so in den gewünschten Zustand, um einen Charakter besser zu verstehen oder um eine Reaktion besser verkaufen zu können. Nicht jeder dieser Tricks geht auf und hat den gewünschten Effekt, doch wirklich beurteilen kann und sollte man dies erst am Ende. Und wenn man dort angelangt ist, hat man gänzlich andere Aufgaben vor sich.
When you see me again it won’t be me. (Der Arm)
Mit der Entität Bob, der Schwarzen Hütte und den dortigen rückwärts sprechenden Bewohnern hatte die Originalserie frühzeitig halbwegs klar gemacht, dass es hier um mehr geht als um eine arme gestörte Seele, die ein grausames Verbrechen begangen hat. Immerhin wurde eine Figur der Serie damals unkommentiert in einen Türknauf verbannt. Spätestens „Fire Walk With Me“ machte den Sprung weg vom soapig-urigen Krimistil der Serie hin zum tragischen Horrorthriller endgültig. „The Return“ jongliert ungefähr so viele Stile und Töne wie Figuren, doch schon das veränderte Intro macht mit roten Vorhängen und Zickzacklinien klar, womit man rechnen muss: die Mythologie hinter der Schwarzen Hütte, dem Arm, dem doppelten Cooper, dem Riesen und so weiter. Nach den ersten beiden Episoden könnte man etwas verwirrt, definitiv überrascht, aber auch angeregt sein, was diese Serie wohl alles in petto hat. Dann kommt Episode 3 daher und beginnt mit einer ersten halben Stunde, die der „Make or Break“ Moment der Serie sein könnte. Wir haben uns vielleicht gerade an das neue und unbeschreibliche Aussehen des Arms gewöhnt, da wird der gute Agent Cooper auf eine Reise geschickt, die es so nur in „Twin Peaks“ und unter der Leitung von David Lynch geben kann, die bisherige Erfahrungsgrenzen der Serie dennoch auf den Kopf stellt. Wer im Anschluss noch dabei bleibt, muss wortwörtlich mit allem rechnen.
Mit Kyle MacLachlan und seinem Agent Cooper treiben Frost/Lynch ein weiteres und noch größeres Spiel aus fehlgeleiteten Erwartungen. MacLachlan spielt drei, ja streng genommen vier (fünf?) verschiedene Charaktere, die letztendlich doch alle auf Kaffeeliebhaber Dale Cooper zurückkehren. Und MacLachlan ist grandios in jeder einzelnen Rolle und im Gesamten eine kleine Sensation. Frost/Lynch haben ihre immense Freude daran, insbesondere Neuerschaffung Dougie in knuffig-vertrottelter Art herumlaufen zu lassen, damit einige Zeit ins Land gehen zu lassen, und diese Szenen regelmäßig mit dem finsteren Treiben des Doppelgängers kontrastieren. Lynch selbst als hörgeschädigter FBI Agent Gordon Cole, in Begleitung von Miguel Ferrers Agent Albert Rosenfield und der jungen Agentin Tammy, nimmt eine große Portion der Handlung ein. Und nach einer Weile hat man den Eindruck, einige der zentralen Handlungsstränge kämen einander relativ nahe und könnten auf eine ganz konkrete Zuspitzung hinauslaufen. Auftritt Episode 8!
Man kann am Ende über Lynchs zuweilen anmaßende, selbstgefällige und vielleicht gar unkonsumierbare Art der Erzählung vieles sagen. Man kann sich über- und hintergangen fühlen, kann die gezielten Provokationen als faule Handlungskonstruktion abtun und die absurd verlangsamte Story kritisieren. Doch all dies war ganz zentral Lynchs Vision. Er und TV-Sender Showtime versuchten sich erst auf eine Staffel mit neun Episoden zu einigen, mit einer zweiten Staffel als Möglichkeit. Doch Lynch hatte andere Vorstellungen zu Handlung, Laufzeit und Budget. Am Ende bekam er von Showtime quasi eine Carte Blanche spendiert, den absoluten Freifahrtschein, im Kosmos Twin Peaks zu tun und zu lassen was er will. Selbst das Marketing (größtenteils non-existent und wenn dann kryptisch, vage und aus Bildern der Originalserie konstruiert) bestimmte Lynch. Auch über Autorentheorie und die Idee eines Auteurs kann man viel sagen und vortrefflich streiten. Doch das nun schon seit mehreren Jahren so bezeichnete „Goldene Zeitalter des Fernsehens“ hatte eine solche Gelegenheit bisher noch nicht hervorgebracht. Einem Mann wie David Lynch, der ohne Zweifel ein absolutes Unikat und einer der interessantesten Künstler des Mediums ist, eine solche Bühne zum Austoben zu geben, ist ein starkes Stück.
Episode 8 ist unbestreitbar das zentrale Ergebnis dieser Carte Blanche, der stärkste Ausdruck eines Filmemachers, der alles machen wollte und alles machen durfte. Es ist ein Wunder, eine Episode wie diese überhaupt zu sehen, ganz besonders innerhalb eines Serienrevivals. Beschreiben kann man diese Vorgänge nicht. Braucht man auch nicht. Lynch lässt zu Beginn im Roadhouse – wie war das noch mit den Abweichungen? – den prominentesten und überraschendsten Musikbeitrag der Serie auf die Bühne und schickt uns dann auf eine einzigartig verworrene, kryptische, grausame und doch wunderschöne Reise. Überwiegend in Schwarz/Weiß reisen wir in die Vergangenheit; wirklich erklärt wird kaum etwas und bedeuten könnte es Welten. Lynch will uns stimulieren, will eigene Ideen und Interpretationen kreieren, wie er es schon in den meisten seiner Filme vorgemacht hat. Das heißt nicht, dass diese Bilder, Töne und Impressionen wahllos und letztendlich leer sind. Eben das macht Lynchs Faszination und Erfolg aus, dass seine surrealen Assoziations- und Traumwelten immer kohärent und stimmig wirken. Man mag sich nicht immer hindurchfinden, doch diese Elemente sind nicht einfach nur wild durcheinander geworfene Motive, in der Hoffnung, der Zuschauer möge die eigentliche Arbeit leisten. Wie die besten Surrealisten arbeitet Lynch aus einer klaren Basis und aus einem eigenen tiefen Verständnis heraus, um den Zuschauer zu lenken und anzuregen.
Das muss man nicht mögen, doch es ist unbestreitbar, dass diese Serie und insbesondere Episode 8 einzigartige und nicht wiederholbare Momente der TV-Geschichte waren.
My log saw something that night. (The Log Lady)
Nun muss man Frost/Lynch natürlich nicht dabei folgen, wie sie ihre inszenatorischen Freiheiten ausleben, mit den Erwartungen des Zuschauers spielen und am Ende das zu sezieren versuchen, was nicht wenige Fans erhofft und erwartet hatten. Dem kann und darf man sich entgegen stellen und beschließen, dass man seine Zeit anders verbringen möchte. Mir persönlich kam diese Herangehensweise auf vielfältige Art und Weise entgegen (und selbst ich sehe zumindest zwei der etwa zwei Dutzend deutlichsten Handlungsstränge als gescheitert an), spielte mir in der Ablehnung simpler nostalgischer Wiederholung und in mutiger Neugestaltung in die Karten. Wenn Frost/Lynch nostalgisch wurden, dann an den richtigen Stellen. Mit Kyle MacLachlan, Laura Dern und Naomi Watts spielen drei von Lynchs liebsten Darstellern zentrale Rollen und geben durch vorherige Begegnungen ihren hiesigen Rollen neue Bedeutung.
Die andere Ebene der eigenen Nostalgie ist eine tragische, aber auch ehrliche und menschliche. Fünfundzwanzig Jahre gehen nicht einfach so ins Nichts, gehen nicht spurlos an Menschen vorbei. Nahezu jede Episode trägt eine Widmung in Erinnerung an ein verstorbenes Crew- und Castmitglied. Dann sind da Figuren wie Phillip Jeffries und Major Briggs. Jeffries wurde in „Fire Walk With Me“ von David Bowie gespielt, der vor Beginn der Dreharbeiten im Januar 2016 verstarb. Jeffries und Briggs (ursprünglich verkörpert von Don S. Davis, der 2008 verstarb) sind eng verbunden mit den übernatürlichen Phänomenen und Vorkommnissen in Twin Peaks, spielen auch in „The Return“ entscheidende Rollen. Frost/Lynch besetzen diese Rollen nicht einfach neu, sondern werden kreativ in Sachen Abstraktion und sorgen nicht zuletzt über Bobby Briggs, Garlands Briggs‘ Sohn, für die herzzerreißendste Szene der Serie. Auch Miguel Ferrer starb vor der Premiere der Serie. Sein Agent Albert Rosenfield ist an Lynchs Seite eine der Hauptrollen, wenn es so etwas abseits von Kyle MacLachlan gibt. Der deutlichste, womöglich schmerzhafteste, aber auch ehrlichste Umgang mit dieser Unausweichlichkeit der Zeit betrifft „Log Lady“ Margaret Lanterman und Darstellerin Catherine E. Coulson. Coulson, die übrigens mit „Eraserhead“ und Pete Martell-Darsteller Jack Nance verheiratet war, starb bereits im September 2015 an Krebs. Ihre Szenen als Log Lady hatte Coulson mit Lynch – beide waren seit frühesten Kurzfilm und „Eraserhead“ Tagen befreundet – kurz zuvor gedreht, wie sie Detective Hawk Warnungen und Hinweise übers Telefon übergibt. Und so ist auch Margaret Lanterman in ihren kleinen Szenen von einer schweren Krankheit gezeichnet und spricht am Ende, war sie doch immer auch eine Seherin und Prophetin, von ihrem bevorstehenden eigenen Tod.
I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange. (Dale Cooper)
„Twin Peaks“ generell und insbesondere „The Return“ zu besprechen ist mindestens so schwierig, wie es zu verstehen bzw. mental einzuordnen. „Verstehen“ heißt nicht, jedes Symbol und jede absurdistische Chiffre zu entschlüsseln, als wäre es ein 1:1 übertragbares Puzzle. Der markerschütternde und in seiner Bedeutung so tief verstörende Toneffekt, mit dem uns diese vermutlich letzte Staffel „Twin Peaks“ zurücklässt und ein erneut radikal unerwartetes Finale abrundet, ist jedoch zu groß und zu markant, um einfach nur eine vage Anregung zu sein. In den phänomenalen Schlussminuten der Serie macht David Lynch das vielleicht radikalste und deutlichste Statement seiner Karriere.
Und dennoch, wie geht man mit einem Monstrum wie „Twin Peaks: The Return“ um? Der beste (und vielleicht einzige) Vergleich, der mir einfällt, ist folgender: erinnert sich noch jemand an „Too many cooks“? Diese dritte Staffel von „Twin Peaks“ fühlt sich an, als hätte David Lynch diesen adultswim Viral Kurzfilm gesehen und sich gedacht: „Okay, das. Als neue Twin Peaks Staffel. In meiner Art. In 18 Stunden statt zehn Minuten.“ Für den Anfang ist dieser Vergleich gar nicht mal so weit hergeholt, ein wenig kurios und vielleicht sogar amüsant. Doch er unterschlägt, was diese Serie schlussendlich geleistet hat, dass es eben doch so viel mehr war als schräge Figuren in surrealen Umständen, präsentiert mit Augenzwinkern, Ironie und Momenten des Horrors. „Twin Peaks“ war immer schon eine so seltsame wie faszinierende Kombination des Profanen mit dem Kosmischen. „The Return“ dachte diese Kluft noch einmal zehn Stationen weiter.
Podcast Königin Joanna Robinson verglich „Twin Peaks: The Return“ mit einer Bar, genauer gesagt, sah sie in jeder Episode einen Cocktail, der von David Lynch und Mark Frost individuell gemixt wurde. Man spürt es an kleineren Inserts, insbesondere Doc Jacoby und die Horne Seniors, dass diese Momente relativ beliebig sind und nicht explizit im Kontext dieser Episode und der übrigen Handlungsstränge geplant waren, die innerhalb der geschlossenen Stunde einer Episode weitergeführt werden. Sie sind der Spritzer Limette einer Episode, die etwas Auflockerung oder Entzerrung notwendig hat. Lynch/Frost mixen Cocktails. Und manche Cocktails, so Robinson weiter, schmecken gut und manche eher weniger, aber die nächste Folge kann schon wieder etwas völlig anderes innerhalb der Welt von Twin Peaks sein, so dass man eben erneut zur Bar geht bzw. an der Bar bleibt. Ungefähr mit dieser Logik, mit diesem Mantra kann man sich durch die ersten 13, 14 Episoden bringen, gelegentliche Ausfälle und vertrödelte Zeit erklären. Und doch wird „The Return“ irgendwann erstaunlich konkret, erstaunlich kohärent, um dann eben in einem Finale zu enden, welches man nur mit Applaus überschütten kann – vorausgesetzt, man konnte Lynch/Frost überhaupt bis hierher folgen. Wie also nähert man sich diesem Ungetüm? Vielleicht am besten, indem man es konfrontiert und endlich einmal anschaut.
„Das Geheimnis von Twin Peaks“ und „Twin Peaks: The Return“ sind auf DVD/Blu-ray erhältlich und aktuell noch bei Sky Ticket: Entertainment via Abo guckbar.
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