Zum Valentinstag: Eine Bestandsaufnahme des Romantischen Films

14. Februar 2020, Christian Westhus

Ist der Kinobesuch nun die beste oder die schlechteste Idee fürs erste Date? Man spricht ja nun für gut zwei Stunden nicht miteinander, bzw. man sollte nicht (zu sehr) miteinander sprechen. Dennoch gilt dieses Argument quasi für beide Seiten, für Pro und Contra. Gemeinsam beim ersten Kennenlernen ins Kino zu gehen ist irgendwie blöd, aber der Film ist auch der gemeinsame Anker. So gewöhnt man sich für zwei Stunden an die Nähe und Anwesenheit des Anderen und kann im Anschluss beim Gespräch über den Film mehr aus sich herauskommen. So zumindest die Theorie.

© Highlight Film

Aber ja, der Valentinstag. Ein streitbares Thema. Man muss die Künstlichkeit eigentlich hassen. Nicht ohne Grund ist einer meiner Lieblingsfilme „Vergiss mein nicht“ alias „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“; ein kompliziert-romantisches Meisterwerk. Dort wettert die einsame und romantisch enttäuschte Hauptfigur Joel Barish über den Valentinstag, dass dieser ja nur von der Grußkarten-Industrie erfunden worden sein könne, damit Menschen sich schlechter fühlten. Und dennoch ist der Valentinstag nun einmal da und kann richtig gemacht und umgesetzt durchaus schöne Dinge hervorbringen. Und selbst wenn nicht: der Tag ist in seiner simplen Bedeutung etabliert und somit ein gefundenes Fressen für jeden Marketing Schlauberger. Eigentlich.

Man sagt, so Pi mal Daumen 90% aller jemals geschriebenen Popsongs drehten sich um die Liebe. Im Kino ist es nicht ganz so extrem und doch – logisch – sind amouröse und romantische Elemente allgegenwärtig. Doch während jeder Supermarkt, jeder Shop, jedes Restaurant und jeder Reiseunternehmer irgendwelche Spezialaktionen zum Valentinstag bietet, muss man im Kino schon suchen. Gehen wir einmal in uns: Welcher Film ist dieses Jahr die groß beworbene Valentinstagsromanze, die jetzt Mitte Februar ins Kino kommt? Videospielverfilmung Sonic? „Bombshell“, basierend auf realen Begebenheiten mit dem Kernthema der Belästigung (und Missbrauch) am Arbeitsplatz? Wohl kaum. Am ehesten also die deutsche Komödie „Nightlife“ mit Elyas M’Barek und Palina Rojinski. Toll. Nur selten nutzen Filmstudios und Verleiher den Valentinstag, um die jährliche Romanze an den Markt zu bringen. Klar, es ist nur ein Tag und Filme sollen nach Möglichkeit ein paar Wochen laufen, doch der „Boost“ am Valentinstag könnte einer ordentlichen Kinoromanze genug Antrieb geben, um im lauen Post-Oscars Februar Kasse zu machen. Ausgerechnet „Deadpool“ ist einer der wenigen Filme, der den Valentinstag aktiv in sein Marketing einfließen ließ. Nur eben sarkastisch und verdreht und „edgy“. Es ist schließlich „Deadpool“. Vielleicht fällt das ernste Aufgreifen dieses Tages deshalb so schwer. Vielleicht aber – und das ist die entscheidendere Frage – befindet sich das romantische Liebeskino auch in einer gewaltigen Krise.

© Universal Pictures

Es führt eigentlich kein Weg dran vorbei. Die größte Kinoromanze der letzten Jahre war die „Fifty Shades“ Reihe. Was sonst? Wir sprechen hier erst einmal über Popularität. Unter den 25 erfolgreichsten Filmen in Deutschland 2019 war die deutsche „Leg dein Handy auf den Tisch“ Beziehungskomödie „Das perfekte Geheimnis“ der einzige Film, den man halbwegs in dieses Untergenre stecken kann. Bei der Erinnerung an diesen schwärmerischen Film bekommt jeder weiche Knie. Richtig? Richtig. 2018 war „Fifty Shades: Befreite Lust“ deutlich vor „Mamma Mia“ oder „A Star is Born“ in den Kinocharts. Dann 2017. „Fack ju Göhte 3“ ist nicht wirklich romantisch, oder? Demnach ist mit „Fifty Shades: Gefährliche Liebe“ erneut ein Teil dieser Reihe der „romantische“ König der deutschen Charts, weit vor z.B. „La La Land“ und dem gleichermaßen starbesetzten wie inhaltlich fehlgeleiteten Sci-Fi-Rom-Drama „Passengers“. 2016 sicherte sich mit „Ein ganzes halbes Jahr“ (kommen wir gleich zu) immerhin mal eine mehr oder minder „echte“ Romanze ohne „Fifty Shades“ Verbindung einen guten Platz in den Jahrescharts, aber wohl auch nur, weil es in diesem Jahr eben keinen „Fifty Shades“ Film gab. Und schließlich 2015, das Jahr des ersten „Fifty Shades of Grey“, der rund 4,5 Millionen Zuschauer in die deutschen Kinos lockte und damit mindestens dreimal so viel wie die nächste Romantik/Liebesfilm Konkurrenz „Er ist wieder da“—nein, pardon, die Konkurrenz „Ich bin dann mal weg“—nein, auch nicht. Die Konkurrenz „Traumfrauen“. Ja, das passt. Oder auch nicht.

Ohne Fans der Filme, der Bücher oder der Reihe generell zu nahe treten zu wollen (Was Geschmack, insbesondere in Sex- und Liebesdingen bei Filmen betrifft, verfahren wir nach dem Motto: whatever sails your boat. Oder: Spaß ist, was Spaß macht.), aber wenn die „Fifty Shades“ Filme und Trittbrettfahrer/Ableger wie „After Passion“ den popolären [sic!] Höhepunkt (… Höhepunkt) des derzeitigen romantischen Kinos darstellen, liegt doch einiges im Argen. Es ist letztendlich die Geschichte über eine nur semi-einvernehmliche Beziehung mit ungesunden Machtverhältnissen, einem verqueren Verständnis von Unterwerfung und Dominanz, sowie durchzogen von #problematischen Tropen wie „I can fix him“ und „I know what’s best for her“. Wer will, darf wie erwähnt gerne mit diesem Boot segeln, doch der Liebesfilm an sich kann mehr. Sollte mehr.

© Warner Bros.

Und was bietet man uns, wenn es mal nicht um finanzielle Macht und Peitschenhiebe geht? Man bietet Emilia Clarke – erst einmal eine gute Idee. Clarke, die ihrer „Game of Thrones“ Khaleesi/Dragon-Hitler Rolle wohl mit eher ihrer Natur entsprechenden Rollen entkommen wollte, spielte die Hauptrolle in gleich zwei der markantesten Ausnahmen der letzten Jahre. Zunächst der bereits erwähnte „Ein ganzes halbes Jahr“ (2016), eine Adaption des Jojo Moyes Romans. Ein Film, der ein paar, sagen wir mal, seltsame Handlungsansätze hat, der Themenbereiche Euthanasie und Freitod anschneidet, der unglückliche Entsprechungen für seine „Die Schöne und das Biest“ Analogie findet und gefährlich nah an eine „Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher und das ist gut“ Botschaft kommt. Clarkes zweiter Beitrag zum Subgenre war jüngst „Last Christmas“ (2019), eine (vermutlich, um ehrlich zu sein) laue Weihnachtsromanze in Anlehnung an den Evergreen von Wham!

Das sind, so scheint es, die drei romantischen Wege, die das Kino aktuell zu bieten hat: „Fifty Shades“ und Konsorten, Nicholas Sparks Level Tränendrücker oder heitere Komödien, die zusätzlich noch etwas Romantik als Extra hinzugeben. Irgendwo dazwischen findet man eine nette Teen Romance, wie z.B. Netflix’ „To all the boys…”, doch welcher dieser Filme – oder welcher Film der letzten Jahre überhaupt, konnte so richtig bewegen, ans Herz gehen, zum Schwärmen einladen oder die Schulter des Partners suchen lassen? Wir müssen keinen der genannten Filme wirklich als „schlecht“ bezeichnen, doch war einer davon wirklich gut? Herausragend gut?
Amazon Prime hat einen Slider mit Valentinstagstipps. (Und, weil man immer beidseitig abkassieren kann, auch einen Anti-Valentinstagsslider voll mit maskulinen Actionfilmen.) Darin die Zeitreise-Romanze „Alles eine Frage der Zeit“, „Bridget Jones“ (okay), die Patchwork-Dramödie „Plötzlich Familie“, „American Pie“ (wiebitte?) und „Liebe braucht keine Ferien“ (hm… immerhin). In einem separaten „Romantische Filme“ Bereich finden wir neben vielen Überschneidungen allen Ernstes die „Step Up“ Filme, Nicholas Sparks‘ „Safe Haven“, „Tatsächlich Liebe“ und „Silver Linings“. Das ist in Ordnung, aber nicht viel mehr, vielleicht eher der Tatsache geschuldet, dass es unter relativ aktuellen Filmen nicht die größte Auswahl an Qualität in dieser Rubrik gibt.

© Epix Media

Ein (großartiger) Film wie „Marriage Story“ zeigt eine Liebe am Ende. Regisseur und Autor Noah Baumbach beschrieb den Film als Liebesgeschichte, die durch das Ende erzählt wird. Um es deutlich simpler auszudrücken, als es der komplexe Film vormacht: wir folgen im Prinzip der Erkenntnis, dass man etwas erst dann zu schätzen weiß, wenn man es verloren hat. Das ist enorm romantisch, aber eben auch tragisch. Dürfen romantische Filme also auch tragisch sein, dürfen sie mit der Trennung oder gar dem Tod enden, oder müssen sie – in den Worten meiner Mutter – ein „Happy End“ haben, wo beide „sich kriegen“? Nicholas Sparks schlägt für gewöhnlich in einer ähnliche Kerbe.

Von klassischen so genannten Hollywood „Schmachtfetzen“ haben wir die Idee, dass man am Ende immer mit Taschentuch dasitzt, häufig Rotz und Wasser heult. Doch diese Reaktion ist selten ein Schluss darauf, ob wir es mit einem tragischen oder glücklichen Ende zu tun hatten. Nicht selten – und mit zunehmendem Alter immer häufiger – bewegen weniger die tragischen Elemente, als vielmehr Details und Momente von Sanftheit, Freude und zwischenmenschlicher Güte. Nicht ohne Grund rührt (mich) ein Film wie „Paddington 2“ grob geschätzt zehnmal mehr als alle bisher genannten Filme zusammen. Ein großer Klassiker wie „Begegnung“ („Brief Encounter“, 1945) vermag erstaunlicherweise beides. (Spoiler, sozusagen.) Das tragische Ende der flüchtigen Begegnung wäre für sich schon, nun, tragisch genug. Doch erst das „Danke, dass du bei mir geblieben bist“ Ende der bestehenden Beziehung, also die Bestätigung der Liebe, machte David Leans Film zum Klassiker, der er ist.

In ähnlicher Tradition, jedoch natürlich auf seine eigene Art und Weise, erzählt Terence Davies u.a. in seinen romantischen Dramen „The Deep Blue Sea“ (nicht der mit Haien, sondern der mit Rachel Weisz und Loki) und „Sunset Song“. Liebe die will, die nicht sein kann, nicht sein darf, jedoch so groß ist, dass es den Liebenden innerlich zerreißt. Das in sozialen Medien inzwischen zu einem „viral“ Klassiker gewordene Gif vom weinenden Tom Hiddleston? Aus eben „The Deep Blue Sea“. So, wie Davies weiß, wie er seine Geschichte und seine Figuren zwischen Kamera und Musik zu arrangieren hat, weiß auch ein Genie wie Paul Thomas Anderson aus Facetten, die „Fifty Shades of Grey“ gar nicht mal so unähnlich sind, eine nicht nur super-spannende und im besten Sinne „gefährliche“, sondern auch unbeschreiblich romantische Angelegenheit zu machen. „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“).

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Und heute? Von erwähnten Filmen abgesehen sind die für mich besten romantischen Filme der letzten Jahre entweder Geschichten über Kinder- und Jugendliebe (z.B. „Moonrise Kingdom“) oder das Ergebnis einer mehrteiligen und mehrjährigen Entwicklung („Before Midnight“). Viel mehr gab es nicht. Aaaaallerdings: Schon seit einer Weile fiel mir diese Entwicklung des romantischen Kinos auf, dass diese Geschichten entweder nicht ernst genug oder absurd ernst genommen werden und dadurch lächerlich wurden. Die Ausnahmen haben in neun von zehn Fällen eines gemeinsam: es geht um homosexuelle Liebe.

Das Meisterwerk „Carol“ konnte das „Twilight“ Prinzip aus einer Anziehung und Liebe, die lange Zeit nahezu ausschließlich über Blicke kommuniziert wird, zur Perfektion stilisieren, mit einer Schlussszene, die schon in bloßer Erinnerung Herzrasen auslöst. Ähnlich verhält es sich mit „Porträt einer jungen Frau in Flammen“, den man sich, sofern man es im Kino verpasst hat, für die Heimkinoveröffentlichung dringend merken sollte. Wir haben die vertrackte und rebellische Befreiungsliebe aus „Die Taschendiebin“, die schleichende Vergänglichkeit von „The Duke of Burgundy“, die hyperrealistische Beziehung in „Blau ist eine warme Farbe“, das naturalistische Bekämpfen der eigenen Hemmungen in „Weekend“ und die hochkomplexe Fusion aus romantischer Anziehung, sowie des emotionalen und körperlichen Selbstverständnisses in „Moonlight“.

© Universum Film

Das führt dann zur alles entscheidenden Frage: was macht einen guten Liebesfilm überhaupt aus? Was wollen wir von diesen Filmen? Und ist der Autor dieses Artikels vielleicht Opfer seiner eigenen Ansprüche? Oh, definitiv, doch der Verdacht liegt nahe, dass vielen aktuellen Liebesfilmen einfach etwas Grundsätzliches fehlt. Was fehlt ist der unabwendbare inszenatorische und erzählerische Wille, wie eben insbesondere zuletzt genannten Filme so bemerkenswert demonstrieren. Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Logisch. Doch in der überwältigenden Tendenz sind heterosexuelle Liebesfilme aktuell zu sicher, besitzen keinerlei Fallhöhe, keine Dringlichkeit, müssen wenn überhaupt künstliche Konfliktwelten (Fetische, schwere Krankheiten, körperliche Schäden etc.) hinzufügen, um der Narrative etwas Brisanz und Intensität zu verschaffen. Dieses Fehlen einer emotionalen Dringlichkeit ist nicht nur eine Sache der Geschichten selbst, sondern auch der Geschichtenerzähler, der Autoren und Regisseure.

Oder anders formuliert: die Macher hinter genannten homosexuellen Liebesfilmen sind entweder einzigartig talentierte Künstler und/oder um ein Vielfaches enger mit der Materie verwurzelt, lassen ihre Gefühle aus einem offenen Herzen in diesen Film fließen. Erst dann können Blicke und Geste an Intensität gewinnen und sich so über den Zuschauer ausbreiten. Erst dann kann das Tragische oder das romantisch Glückliche seine cineastische Macht entfalten. Das Kino vermag dies zu leisten, ganz egal wer sich romantisch nach wem sehnt, wer wen liebt. Man muss es nur wollen. Und auch der Zuschauer kann bei jeglicher Art von Liebe (einvernehmlich zwischen Erwachsenen) mitfühlen und mitschmachten, ganz egal, ob es der eigenen Präferenz und Identität entspricht oder nicht. Auch das muss man nur wollen. Nun denn also. Auf neuen Mut am Film-Valentinstag und darüber hinaus, vor und hinter der Kamera. Und im Kinosessel.

Quellen:
Alle Zuschauerzahlen basierend auf Angaben von Insidekino.com

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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