BG Kritik: „The Last of Us Part 2“

8. Juli 2020, Christian Mester

Christian Mester hat sich Wundpflaster, Messer, Backsteine und eine klangvolle Gitarre eingepackt, um sich durch die fiese Finsternis von „The Last of Us Part 2“ zu schlagen, der durchaus kontroversen Fortsetzung eines der wohl gefeiertsten PlayStation Titel überhaupt. In der ersten Texthälfte kommt noch alles ohne Spoiler aus, bevor’s dann zum Ende hin ans Eingemachte geht. Keine Sorge, die Warnung kommt groß genug.

The Last of Us Part 2
(USA, 2020)
Entwicklungsstudio: Naughty Dog
Gameregisseur: Neil Druckmann
Stimmen: Ashley Johnson, Laura Bailey, Troy Baker

Erstmal ohne Spoiler

Storytechnisch hat sich nicht viel verändert. Noch immer ist die zivilisierte Welt von einer schlimmen Mutationskrankheit betroffen, die Infizierte in blutgeifernde Zombiemonster mit Pilzauswüchsen verwandelt. In dieser Welt gibt es verschiedene Fraktionen von Überlebenden, die jeweils eigene Camps mit Waffen und Verpflegung haben. Ein Konflikt mit einer solchen feindlichen Fraktion schubst Hauptfigur Ellie und ihren wortkargen Begleiter in ein weiteres Abenteuer, das dem ersten Spiel im Großen und Ganzen sehr ähnelt. Wieder gilt es auf einer Reise, vornehmlich alte verlassene Häuser zu plündern, sowie Monstern, Verrückten und Killern feindlicher Fraktionen zu entgehen. Da die zwei stets in der Unterzahl sind, sind sie primär schleichend unterwegs, was unentwegt an RAMBO erinnert. Alsbald zeigt man Mensch wie Monster einen Krieg, „den sie nie verstehen werden“. Ellie mag niedlich und harmlos aussehen, sticht, ballert und kämpft aber wie eine tollwütige Hyäne auf Speed, und wehe, man gibt ihr Gründe, sauer zu werden. Später darf sie sogar einen Sprengbogen schwingen.

Zwar kommt dies Jahr die PS5 auf den Markt, doch THE LAST OF US PART 2 sieht tatsächlich so irre gut aus, dass man schon meinen könnte, dass das ein PS5 Titel ist, der sich versehentlich auf die vorherige Generation verirrt hat. Insbesondere die Gesichtsanimationen sind absolut beeindruckend und zeigen ein weites Spektrum an möglichen Ausdrücken. Das nutzt das Spiel sehr zu seinen Gunsten, denn wie schon beim ersten Teil steht die filmreife Story im Vordergrund und bereichert das viele monotone Plündern und Töten (Moment, das ist kein Kritikpunkt – unterhaltsame Monotonie kann Spaß machen, siehe DOOM: ETERNAL). In Sachen Design bleibt es nicht bei maroden, verfallenen Buden; immer wieder gibt es kontrastreiche Schauplätze und Erlebnisse, die das Erlebnis visuell aufpolieren, darunter ein Ritt durch eine brennende Stadt und eine Motorbootfahrt während eines Sturms.

Die Vater-/Tochterfigur-Beziehung der beiden Charaktere Joel und Ellie erwies sich damals schon als großartig feinfühlig erzählt, wie etwa bei Telltale’s THE WALKING DEAD Season 1 mit Clementine oder LIFE IS STRANGE Season 1, und das ist auch hier wieder der Fall. Ertappt man sich eventuell manches Mal bei sonstigen Spielen, Cutscenes zu überspringen, kann man sich hier immer wieder drauf freuen. Selbst simpelste Gitarrenspielereien haben einen magnetisierenden Effekt. Klar mag die Herumtreiberei im zweiten Anlauf nimmer so originell sein wie im ersten Teil, doch Naughty Dog geht inhaltlich richtig dagegen an. Anstatt den Action-Faktor bayartig in die Höhe zu ziehen und Spektakel zum Thema zu machen, setzt das Sequel auf höhere Dramatik, mit jeder menge Spannungsmomente und überraschender Storyhaken, wirkungsvoll verknüpft mit einer emotionalen, oftmals komplizierten Odyssee. Es gilt lange Zeit, eine bestimmte Person zu fangen, und die Jagd nach dieser wird zum unerträglichen Spannungstreiber.

Auffällig ist, wie der Titel mit Gewalt umgeht. Mehr noch als im ersten Teil konfrontiert man Menschen, die einem nur eine Wahl lassen: entweder sie oder man selbst. Also zückt man zu den krudesten Waffen und meuchelt, was das Zeug hält, fast schon wie im verbotenen MANHUNT. Es ist absurd, wie viele Leute man im Spiel ersticht (selbst RAMBO 4 Rambo würde hier sorgevoll auf die Schulter klopfen und vorsichtig Zen und ASMR empfehlen), oder mit welcher Verbissenheit Ellie selbst gestandene Männer wie Joel alt aussehen lässt… und die Macher nutzen es clever weiter. All die Gewalt hat Auswirkungen auf Ellies Psyche („the horror…“), und gerade zum Schluss hin merkt man, dass die Macher nicht nur reine Fun-Action im Sinn hatten. Tatsächlich hat das Spiel einige so finstere und deprimierende Szenen, wie man sie selten in Games erlebt hat, die Action in der Regel immer nur in die Fun-Ecke schieben wollen.

Über alle Maße müssen die Einstellmöglichkeiten für den Schwierigkeitsgrad gelobt werden, denn nie zuvor gab es in einem solchen Actionspiel derart viele Hilfsfunktionen und Regler, um das Spielempfinden genau auf den eigenen Anspruch anzupassen. Meistens geht es lediglich darum, ein Spiel noch schwieriger zu machen – hier hat man klugerweise in die andere Richtung gedacht. Dennoch sind die höheren Schwierigkeitsgrade andererseits echt happig, und eine echte Herausforderung.

Inhaltlich gibt es fraglos einige Entscheidungen und Aspekte, die aufregen können, aber da kommt’s ganz drauf an, wie sehr man am ersten Teil hängt. Will man, dass es für immer genau so weiter geht, wird man vermutlich verärgert sein. THE LAST OF US PART 2 ist da ein klein wenig wie STAR WARS EPISODE VII: DIE LETZTEN JEDI und bringt einige Storyänderungen mit dem Vorschlaghammer, die gnadenlos in eine neue Richtung forcieren. Zwar hat man hier nicht das Gefühl, dass die Macher einen eiskalten Eimer Wasser ins Gesicht für nötig gehalten haben, um einen festgefahrenen Franchise wieder wachzurütteln, und hier gibt’s auch weit weniger Kritikpotenzial in Sachen Logik oder nicht nachvollziehbarer Charakterentwicklung, aber die neu gemischten Karten liegen offen auf dem Tisch: die Macher trauten dem Spiel nicht zu, mit ähnlichen 25 Stunden weiterhin genau so interessant so bleiben wie es die letzten 20 waren. Also beriefen sie sich auf die Gefahr einer solch gesetzlosen, gefährlichen Welt, um eine frische neue Handlung zu erzählen.

Hinzu kommt, dass Ellie kein hilfloser Teenager mehr ist, sondern mittlerweile eine junge Frau mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen, mit endlosen überstandenen Konflikten, die die malerische Vaterfigur Joel nicht mehr bedenkenlos als Heiligen sieht. Glücklicherweise ist THE LAST OF US PART 2 demnach kein seelenloses DLC des Ersten in Vollpreislänge geworden, sondern ein mutiges, spannendes Sequel, das auf eigenen Beinen steht. Es wird auch geraten, bei Nichtgefallen einiger Entwicklungen durchaus am Ball zu bleiben, da sich über die mehr als 20 Stunden lange Spielzeit gefühlstechnisch vieles auftürmt, was erst am Ende wirklich aufgelöst wird.

Fazit:
Naughty Dog, die auch die fantastischen UNCHARTED Spiele entwickelt haben, liefern ein sehr gutes Sequel ab, das im Prinzip alle Qualitäten des ersten Teils beibehält und Ellies Geschichte fesselnd weiter erzählt. Selbst wenn man den ersten Teil nicht kennt, kann man sich hier schnell einfinden und Spaß an der Sache haben. Vor allem für Filmfreunde ist THE LAST OF US PART 2 einen Blick wert, da es eins der cineastischsten Spiele überhaupt ist.

9/10

So, ab hier wirds dann jetzt haarig, denn im nächsten Abschnitt beginnen die SPOILER. Unbedingt erst weiterlesen, nachdem ihr die Kampagne des Spiels mit Erfolg beendet habt.

SPOILER AB JETZT

© Naughty Dog

Na, Kampagne durch? Dann lasst uns mal einen Blick auf den Inhalt werfen. Was für ein fieser Kniff, die Hälfte (!) des ganzen Spiels als Abby spielen zu lassen. Jene Abby, die kurz vorher etwas Grausames getan hat und dann den gesamten Spielverlauf über das eigentliche Ziel ist. Gut, mit ihrer grausamen Art und der Gina Carano Statur wirkt sie anfangs unnahbar, aber die weiteren Spielstunden mit ihr sind dann doch echt effektiv darin, ihr Schicksal ebenso mitreißend ausfallen zu lassen. Tatsächlich ist sie eine ebenso hilfreiche und allein gelassene Kämpfernatur wie Ellie, was den unabwendbaren Konflikt der beiden, der fast schon IM KÖRPER DES FEINDES artige Züge annimmt, grimmig schlimm macht. An der Stelle tut jeder Treffer weh, denn man will ja, dass keiner von beiden das Zeitliche segnet.

Dass die Fortsetzung bei einigen schwer ankommen wird, ist fraglos absehbar. Erst tötet jemand Neues eine der geliebten Hauptfiguren des letzten Spiels, dann wird man auch noch gezwungen, eben diese Figur zu spielen und sie nach und nach zu verstehen. Überdies kriegt man recht schnell das mulmige Gefühl, dass der „Mordsspaß“ mit Ellie und Joel durchaus fragwürdig ist, da sie, wie gesagt, bergeweise Menschen umbringen und der zweite Teil die ganze Schnetzelei so langsam dezent in frage stellt (obgleich der Bodycount viel höher ausfällt). Im ersten Spiel waren die Bösen noch klarer als brutale Killer und Kannibalen gezeichnet, hier hingegen macht es schon durch Abbys Haut den Eindruck, dass es eigentlich ganz normale, ähnlich orientierte Überlebende sind wie die Leute aus Ellies Lager. Zum Glück spart sich Naughty Dog die Moralapostelkanzel und lässt sämtliche Kritik subtil ausfallen. Fakt ist jedoch, dass es die Monotonie und Ellie als Charakter interessanter erscheinen lässt, was zum Schluss großartig darin kulminiert, dass sie wegen lauter PTSD Halluzination erneut in den Krieg ziehen muss – wie Rambo.

Moralisch gesehen liegt Abby gar nicht mal so falsch, denn im Grunde empfindet sie Joel gegenüber das gleiche, was Ellie später Abby gegenüber empfindet. Der Unterschied ist aber, dass Ellie lediglich um eine Figur trauert, während Ellie als Quelle einer möglichen Heilung womöglich das gesamte höchstmiserable Leben aller Leute ändern könnte. Ellie befasst sich im Spiel nicht wirklich mit ihrer Rolle, wird der unsäglichen Gewalt aber am Ende müde. Gerade im Anschluss darf man gespannt sein, wie ein THE LAST OF US PART 3 ausfallen wird (das garantiert kommt, da sich der Titel schon über 4 Millionen Mal verkauft hat). Nach ihrer letzten Gefühlsänderung dürfte die Ellie des nächsten Teils anders agieren als bisher.

Traurig ist zu sehen, dass viele das Spiel runtermachen, da einige LGBT Charaktere und Aspekte mit im Spiel sind – allerdings ist die ganze Social-Media-Aufregung darüber arg peinlich. Keine der Figuren im Spiel wird durch ihre Orientierung definiert, noch wird es je groß thematisiert oder gar ins Gameplay mit einbezogen. Niemals versucht das Spiel, irgendeine „Agenda“ zu propagieren, wie es in den ballslosesten Kreisen empfunden wird. Beliebig könnte man die Geschlechter und Orientierungen austauschen und es würde inhaltlich keinen Unterschied machen. Man könnte sich jede Figur als Nicolas Cage vorstellen und auch dann wäre THE LAST NICOLAS CAGE OF US PART 2 immer noch ein fantastisches Spiel.

Inhaltlich macht es sogar Sinn, da die meisten Hauptfiguren des Spiels Außenseiter sind, die keinen festen Platz in ihren jeweiligen Communities haben…

Natürlich ist es befremdlich, wenn man in einer Spielreihe plötzlich gezwungen wird, die geliebten Figuren zu verlassen. Wer hat schon im PS4 SPIDER-MAN den größten Spaß daran, die Passagen mit MJ zu spielen? Das ganze erinnert an den Eklat von METAL GEAR SOLID 2, bei dem Fans verblüffend feststellen mussten, dass sie den Großteil des Spiels nicht mehr als Megaheld Solid Snake, sondern als dessen (teils nackten) Kollegen Raiden übernehmen. Manchmal ist so ein gewollter Wechsel alles andere als willkommen, aber wenn die zweite spielbare Figur eigene Qualitäten aufweist, relativiert sich das wieder. Ja, vielleicht ist THE LAST OF US die Story von Ellie und Joel, dann ist THE LAST OF US PART 2 halt die Story von Ellie und Abby. Vielleicht behält der dritte Teil wiederum Abby bei und führt wieder eine neue Figur ein? Man darf gespannt sein.

THE LAST OF US wird übrigens noch in einem anderen Format neues Leben finden, denn aktuell wird an einer Serienumsetzung gearbeitet. Für die Hauptrolle des Joel gibt es sogar schon einen Fanfavoriten: Josh Brolin. Produziert wird das ganze vom US-Sender HBO, und als kreativen Helfer konnte man Craig Mazin gewinnen, der die letztjährige, extrem gelobte Serie CHERNOBYL geschrieben und geleitet hat.

© Naughty Dog

Glaubst du, dass sich TLOU 1+2 als Serie lohnen könnte?
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Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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