„Brightburn: Son of Darkness“ – Wenn Naivität bestraft wird

2. Juli 2019, Daniel Schinzig

Wir alle kennen und lieben diese Geschichte: Ein auf dem Land lebendes Ehepaar wünscht sich nichts ersehnter herbei als ein Kind. Und schon kracht ein Ufo mit einem Baby an Bord auf die Waldfläche unweit des Grundstücks. Über zehn Jahre lang herrscht fröhlichste Familien-Idylle. Doch kaum klopft die Teenagerzeit an die Bauernhoftür, schon wird aus dem herbeigesehnten Engel ein alienhormongesteuertes Blag. Und wir dürfen miterleben, wie „schön“ Superkräfte doch sein können, wenn große Kraft ohne große Verantwortung daherkommt (und beim Begabten offensichtlich einige Schrauben locker sitzen…)

Mein Schatz!

© Sony Pictures Entertainment

Brightburn: Son of Darkness (USA 2019)
OT: Brightburn
Regie: David Yaroveski
Cast: Elizabeth Banks, David Denman, Jackson A. Dunn

Sogenannte Elseworld-Geschichten sind im Comic-Bereich Gang und Gebe. Autoren nehmen sich so die Freiheiten, abseits festgetrampelter Kanon-Pfade mit ikonischen Figuren ganz eigene Geschichten zu erzählen und Herangehensweisen auszutesten. So streifte Batman im Laufe seiner jahrzehntelangen Verbrecherjäger-Karriere bereits durch das viktorianische London. In einer der bekanntesten Alternativ-Stories in Graphic-Novel-Gewandt ließ Kultautor Mark Millar den eigentlich durch und durch amerikanischen Mann aus Stahl nicht in den USA, sondern in der Sowjetunion aufwachsen und untersuchte, wie die Entwicklung des Vorzeige-Kryptoniers unter diesen Umständen verlaufen wäre. Im filmischen Bereich blieben sich die Originalhelden bisher allerdings recht treu. Daran ändert offiziell auch „Brightburn“ nichts, denn eine Familie Kent, ein Smallville oder ein rotes S auf gelbem Hintergrund gibt es hier nicht. Doch die Verweise, um welches Franchise es hier quasi geht, sind unübersehbar. Es bleibt festzuhalten: Zwar heißt Clark Kent nun Brandon Breyer, aber inoffiziell haben wir es hier mit einer Superman-Elseworld-Story für die Leinwand zu tun. Und die schießt dem geneigten Superhelden-Fan dann auch direkt eine reihe Laserstrahlen in die Magengegend.

Diese Jugend von heute… Denkt das Blag doch echt, es könnte es mit einem Auto aufnehmen. Tststs.

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An der bekannten Superman-Origin wird an sich nur ein Punkt geändert, doch der hat es in sich: Was wäre, wenn das Kind, das im Raumschiff vom Himmel fiel, im Kern böse wäre? Wenn hinter dem süßen Babylächeln eine Bedrohung lauert, die irgendwann ausbrechen wird? Haben wir uns bei der Sichtung der unterschiedlichen Man-of-Steel-Entstehungsgeschichten nicht schon hin und wieder gedacht, dass die liebenswürdigen Martha und Jonathan Kent ein gewaltiges Risiko eingegangen sind, als sie ein Alien als eigenen Sohn aufgezogen haben? Die Geschichte verkaufte uns die Kents als Vorzeige-Mama und -Papa, doch waren sie nicht eigentlich beispiellose Naivlinge, die geblendet von dem Wunsch, eigene Kinder zu haben, das Schicksal des gesamten Planeten aufs Spiel setzten? War es nicht einfach nur Glück, dass sich Kal El als gutmütig entpuppte? In der Familie Gunn muss darüber wohl ausgiebig diskutiert worden sein.

Denn Produzent von „Brightburn“ ist kein geringerer als James Gunn, der mit den „Guardians of the Galaxy“ die wohl außergewöhnlichste Truppe des Marvel-Cinematic-Universe in Szene setzte, aber auch schon zuvor mit „Super“ einen frechen Kommentar zum Vigilantentum der Cape-Träger ablieferte. Das „Brightburn“-Drehbuch wiederum wurde getippt von Gunns Bruder Brian Gunn sowie seinem Cousin Mark Gunn. Obwohl die Inszenierung in den Händen von „The Hive“-Regisseur David Yaroveski lag, ist die antithetische Superhelden-Origin ein wahres gunnsches Familienprojekt. Und das ist spürbar. Denn in Sachen Provokation und Brutalität erinnert „Brightburn“ gelegentlich in Ansätzen an James Gunns filmisches Schaffen aus seiner Prä-„Guardians“-Zeit.

Was ist dein Lieblingssuperheldenfilm?

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Soll heißen: Wer Probleme damit hat, die bedrohliche Charakterentwicklung des heranwachsenden Hauptprotagonisten mit dem blutigen Holzhammer serviert zu bekommen und nicht unbedingt Zeuge davon sein möchte, wie brutal übermenschliche Superkräfte in den Händen eines bösartigen Teenager-Aliens sein können, sollte lieber nicht mit Brandon Breyer in die Lüfte steigen. Die Gunns sind auf Eskalation aus: Wo bei Vorzeigeheld Superman die beste aller anzunehmenden Möglichkeiten eintraf, soll in „Brightburn“ das denkbar Schlimmste geschehen. Schluss mit Superhelden-Späßen; inhaltlich und filmsprachlich ist nun Horror angesagt. Ist der Knoten erst einmal geplatzt, wird es in jeder Szene immer übler. Und die Hilflosigkeit und Selbstsucht der irdischen Zieheltern Tori und Kyle wird immer deutlicher.

Die Breyers sind keine dummen Charaktere. Vater Kyle schöpft recht früh Verdacht, dass sein aus dem All gefallener Sohn eine Gefahr sein könnte, und Mutter Tori ist stets anzumerken, dass ihre Entscheidungen auf einem Akt der Selbsttäuschung beruhen. Aber die Breyers entlarven ein stereotypisches inhaltliches Element, das seit jeher Teil der Superhelden-Literatur ist, zumindest in seiner Eindeutigkeit als fragwürdig: Wenn gute Menschen dem Unverständlichen, dem nicht fassbaren Fremden Vertrauen entgegenbringen, wird etwas Gutes dabei herauskommen. Oder? Gezweifelt werden darf auch bei den „echten“ Superhelden. In Zack Snyders „Man of Steel“ hält das Militär Superman für eine Bedrohung, im Nachfolger „Batman V Superman“ sehen wir den doch eigentlich nur Gutes tun wollenden Clark Kent mehr als einmal unter der Ambivalenz aus Bewunderung und Furcht, die ihm entgegengebracht wird, leiden. Ob in diesen Beispielen oder in anderen: Am Ende sind es immer die Zweifler, die im Unrecht sind und nicht selten ihr Fett abkriegen.

Auf zur fröhlichen Jagd! Was soll bei einem solchen Vater-Sohn-Ausflug schon schief gehen?

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Anders bei „Brightburn“: Tori und Kyle werden für ihr Mitgefühl, das sie dem unschuldig in seinem Raumschiff-Kinderwagen liegenden Säugling entgegenbringen, offensichtlich schuldlos bestraft. Direkt zu Beginn des Films sehen wir Brandon in einer Collage aus Videoaufnahmen aufwachsen und merken schnell: Die Breyers sind gute Eltern. Brandon hat eine schöne Kindheit. Wenngleich man Tori und Kyle vorwerfen kann, sich mit der „Adoption“ des Kindes selbstsüchtig den Wunsch nach eigenem Nachwuchs erfüllt zu haben, so steht die dem Sohn entgegengebrachte Liebe nie in Frage. Bessere Beschützer hätte sich Brandon nicht wünschen können. Und dennoch erwacht das Böse in ihm, als eines Tages das in der Scheune vor ihm versteckte Raumschiff rot zu leuchten beginnt.

Dass dieser Tag zeitgleich zu Brandons einsetzender Pubertät kommt, ist selbstverständlich kein Zufall: Der ganze Film kann als Allegorie auf die schwierige Phase der Adoleszenz gesehen werden. So, wie Vertreter des Superhelden-Genres positive Kräfte und/oder Charaktereigenschaften ins Unermessliche steigern, werden in „Brightburn“ Verhaltenseigenschaften eines typischen Teenagers alptraumhaft verzerrt. Verantwortlich für die Veränderungen sind nicht nur die Hormone, sondern auch eine böse unerklärliche Macht. Die erste Schwärmerei, der erste Liebeskummer, die Rebellion gegen Eltern und Autoritätspersonen, die Suche nach der eigenen Identität: All das erhält seine brightburnsche Entsprechung in form von Psychoterror und Gewalt. Das Kind wird zum Erwachsenen, der normale Mensch zur übermenschlichen Bedrohung. Wie sooft ist das Gesicht unter der Maske die eigentliche Verkleidung, die Maske selbst wird zur wirklichen Identität: Eine monströs verzerrte Fratze mit bedrohlich leuchtenden Augen. Ist das die neue Generation von Superwesen? Dann ist die Welt am Arsch.

Super-Rotzbengel-Zusammenfassung:
Eine Erkenntnis nach Sichtung dieses Superhelden-Horror-Hybriden: Was haben die Kents für ein Glück gehabt! „Brightburn“ zeigt uns, wie leichtsinnig Supermans Zieheltern waren, als sie in verblendetem Glück ein menschlich aussehendes Baby aus dem Weltall adoptierten. Und: Pubertät ist scheiße. Dabei spart dieser kleine Sausack von Film nicht mit ultrabrutalen Momenten und nutzt auch gerne mal den Holzhammer. Viele junge Paare werden den Kinosaal mit einem gegenseitigen Versprechen verlassen: „Schatz? Keine Kinder!“

 

Und jetzt überreiche ich die Maske an euch: Geht ihr mit meiner Deutung von „Brightburn“ mit oder habt ihr eine ganz andere Lesart? Und offenbar hat Brandon die Punkte unter meinem Artikel geklaut. Was meint ihr, welche Note der Film bekommen sollte? Oder sollten wir den Text mal einfach für sich stehen lassen? Wir sollten darüber im Forum diskutieren.

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