„Dune“, „Suicide Squad“ und Co: Warner Bros. schickt komplettes Filmaufgebot 2021 zum Streaming

4. Dezember 2020, Christian Westhus

In einer bisher nicht dagewesenen, einerseits schockierenden, aber eigentlich auch nicht wirklich überraschenden Ankündigung stellen Warner Bros. ihre Veröffentlichungspläne für 2021 vor. Zumindest in den USA wird der gesamte 2021er Katalog für den Streamingdienst HBO Max ausgerichtet. Was genau heißt das für Zuschauer außerhalb der Vereinigten Staaten? Und was heißt das für Kinos generell?

© Warner Bros.

Mehrere Brancheninsider1 berichten von der Ankündigung des großen Filmstudios, sämtliche geplanten Titel 2021 im „day-and-date“ Prinzip zu veröffentlichen. Dies bedeutet den Start des betreffenden Films zeitgleich (!) auf HBO Max und in den wenigen Kinos, die zum jeweiligen Zeitpunkt geöffnet haben. Die aktuellen Starttermine der Filme gelten damit fürs Kino und für den Streamer. Und damit der findige Zuschauer nicht Ende des Jahres innerhalb nur eines Bezahlmonats sämtliche großen Titel abfischt, bleiben besagte Titel erst einmal „nur“ jeweils einen Monat lang bei HBO Max, ehe eine klassische Heimkino- und VOD-Veröffentlichung bevorsteht.

Warner Bros. waren im Sommer dieses Jahres das letzte große „Tentpole“ Leuchtfeuer, verschoben Christopher Nolans „Tenet“ erst für ein paar Wochen und Monate, um – auch auf Wunsch/Druck von Kino-Freund Nolan – den Film schließlich in den pandemiebezüglich halbwegs „ruhigen“ Spätsommermonaten tatsächlich traditionell zu veröffentlichen. Ein Zeichen, welches nur bedingt erfolgreich war, spielte „Tenet“ doch rund $350 Mio. ein, bei einem geschätzten Budget von zünftigen $200 Mio. Für Corona-Verhältnis mehr als beachtlich, doch für ein großes Studio und eine große Investition keine Dauerlösung. Auch bei „Wonder Woman 1984“ hielt man lange an einer klassischen Kino-Erstveröffentlichung fest, die jüngst aber zu einem ähnlichen „Streaming und (wenige) Kinos gleichzeitig“ Deal umgewandelt wurde. Auch dieser Plan gilt erst einmal konkret für die USA.

Für 2021 hat man bei Warners, der nicht nur aufgrund der DC-Superhelden zumindest gefühlsmäßig zweitgrößte „Big Player“ hinter Disney im amerikanischen Filmgeschäft, einige riesige und brandheiße Eisen im Feuer. Darunter fällt der bereits für dieses Jahr geplante „Dune“, aber auch James Gunns „The Suicide Squad“, „The Matrix 4“, „Godzilla vs. Kong“, ein neuer „Space Jam“, ein neuer „Conjuring“, eine „Mortal Kombat“ Neuverfilmung, die Musicalverfilmung „In the Heights“ und einige mehr. Erst einmal, so heißt es, betrifft dieses Vorhaben nur Warners 2021 Titel. Im Folgejahr geht man nach aktuellem Stand (u.a. mit „The Batman“) von einem „normalen“ Betrieb aus. Was auch immer das bis dahin heißen mag.

© Warner Bros.

Löst Streaming also das Kino bald komplett ab? Auch Disney ist mit dem Versuch, bei „Mulan“ übers Streaming doppelt abzukassieren, zwar offenbar nicht so erfolgreich wie erhofft gefahren, verlegte Pixars „Soul“ jedoch auch auf einen Direktstart bei Disney+. „Black Widow“ könnte es auch bald treffen. Universal und Bond werden Wohl oder Übel bald vor einer ähnlichen Herausforderung stehen. Warner Bros. Picture Group Vorsitzender Toby Emmerich und Ann Sarnoff, WarnerMedia Studios and Networks CEO, sprechen von der einzigen wirklichen Möglichkeit, auf die Umstände zu reagieren. „Niemand möchte Filme so sehr zurück auf der großen Leinwand haben wie wir“, wird Sarnoff zitiert und fügt an, dass das Streaming-Modell auch Zuschauern entgegen kommen soll, die kein geöffnetes Kino in der Nähe haben, oder die sich noch nicht wieder in ein öffentliches Kino wagen wollen bzw. sollten. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass Warner (also TimeWarner) letztendlich dem Telekommunikationsriesen AT&T untersteht, der über einen quasi-eigenen Streamingdienst natürlich doppelt profitieren könnte. In diesen wirtschaftlichen Gefilden werden Shareholder-Interessen noch einmal wichtiger, als sie es ohnehin schon für ein Unternehmen sind. (Derartige Verbindungen und Übernahmen sind übrigens mittlerweile Standard. Universal Pictures untersteht zum Beispiel dem anderen amerikanischen Medienriesen, Comcast.)

Was heißt das für Deutschland und den Rest Europas? HBO Max gibt es außerhalb der USA noch nicht und tat sich beim US-Start bisher außerordentlich schwer. In der restlichen Welt soll vorerst an den Kinostarts festgehalten werden. Wo Kinos geöffnet sind, die den betreffenden Film zeigen können und wollen, da soll es die Möglichkeit geben. Ironischerweise sind in den turbulenten USA aber aktuell mehr Kinos geöffnet als zum Beispiel hierzulande. Ob es dann auch hier eine zeitgleiche Veröffentlichung über den langjährigen HBO-Abnehmer Sky geben wird, ist aktuell nur Spekulation. Ähnlich wie bei „Wonder Woman“ wird man die Entwicklung rund um Lockdowns, Fallzahlen und die Auswirkungen der erwarteten Impfstoffe abwarten müssen. Eine langfristige Kinoplanung ist erst einmal nicht in Sicht.

So schockierend diese Entscheidung auf den ersten Blick erscheinen mag, entbehrt sie nicht einer gewissen Logik. Auch Filmstudios können nicht dauerhaft auf teuren Filmen sitzen bleiben und diese dann in einen Weltmarkt mit Pi mal Daumen 25% Auslastung schmeißen. Und gerade aktuell sind wir nicht zuletzt in Deutschland gut damit beraten, eben nicht blindlings durch die Öffentlichkeit zu wandern. Dazu gehört auch der – aktuell ohnehin nicht mögliche – Kinobesuch. Auch mit einem Impfstoff wird sich die Situation nicht von jetzt auf gleich normalisieren.

Dennoch haben diese Dinge Auswirkungen. Auch auf die Film- und Kinowelt. Adam Aron, CEO von AMC Entertainment, der größten Kinokette der USA, zeigte sich erwartungsgemäß wenig begeistert2 vom Warner-Vorhaben, welches er als Subvention (Peter Labuza spricht bei Polygon3 von einem Notopfer) und Anfeuerung für HBO Max wertete. Während er Warner Bros. vorwarf, trotz Aussicht auf Impfstoffe und eine eventuelle Entspannung der Umstände das komplette kommende Finanzjahr bereits abzuhaken, wolle man bei AMC für eine wirtschaftliche Lösung kämpfen, um selbst zu überleben, so Aron weiter. Und diese Möglichkeiten scheint es zu geben. Der „Wonder Woman“ Deal sichert den amerikanischen Kinos angeblich einen überdurchschnittlichen Anteil der Einnahmen zu. So etwas soll nun auch für die weiteren Warner-Titel vereinbart werden. Doch wie hoch kann dieser Anteil während Teil-Lockdowns und unsicheren Umständen sein? Und selbst bei einer Verbesserung der Umstände; wie hoch kann dieser Anteil sein, wenn es die Filme zeitgleich per Knopfdruck zu Hause gibt? So wird nicht zuletzt auch Piraterie in die Karten gespielt. Die Corona-Jahre werden eine gewaltige Zäsur darstellen. In jeglicher Hinsicht. Filme und Kinos sind dabei sicherlich nicht das höchste Gut des Planeten, aber dennoch wichtig. Es mag im Investment-Wahnsinn gigantischer Unternehmen oftmals wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken, doch irrelevant wird es auch in Zukunft nicht sein, für welche Kinofilme der geneigte Zuschauer ein Ticket löst, für welchen Streamingservice ein Abo abgeschlossen wird, und wofür nicht.

Quellen:
1 THR.com
2 THR.com
3 Polygon.com

Die ewige Frage: Kino oder nicht Kino? Und wann? Zu welchen Kosten und mit welchen Nebeneffekten? Sag uns im Forum, wie du zu dieser Sache stehst.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung