Echter Roboter Erica soll Hauptrolle in Science-Fiction Film spielen

26. Juni 2020, Christian Westhus

Der kommende Sci-Fi Film „b“ kommt mit einem spannenden Marketing-Clou daher: der berühmte japanische Android ERICA, häufig als fortschrittlichste künstliche Intelligenz der Welt bezeichnet, soll die Hauptrolle spielen. Ja, eine richtige Rolle, nicht einfach sich selbst.

Erica wurde 2015 von Hiroshi Ishiguro und Kohei Ogawa an der Universität von Osaka erschaffen. Sie versteht gesprochene Sprache (Japanisch und Englisch), besitzt eine eigene synthetische Stimme und kann menschliche Gesichtsausdrück eigenständig modulieren. Inzwischen ist Erica u.a. Nachrichtensprecherin in Japan geworden, doch natürlich ist sie keine Schauspielerin. Noch nicht.

Wie Filmproduzent Sam Khoze erklärt, wolle man Ericas Schauspielerei über die Method Acting Methode kreieren und steuern. Die weit verbreitete Method Acting Tradition, genutzt von Marlon Brando, über Robert de Niro und Daniel Day-Lewis, geht auf Lee Strasberg und Konstantin Stanislawski zurück und soll den Naturalismus einer Darbietung fördern, indem ein Schauspieler auf eigene Erfahrungen und Empfindungen zurückgreift, diese in die Rolle und die Emotionen der Figur projiziert. Allerdings besitzt Erica keine komplexe emotionale Lebenserfahrung, auf die sie zurückgreifen kann. „Wir mussten ihre Regungen und Emotionen in 1-zu-1 Sitzungen simulieren, beispielsweise die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen anpassen, über ihre Empfindung sprechen und daraus Charakterentwicklung und Körpersprache trainieren“, beschreibt Khoze den Prozess.

Die Handlung von „b“, der aktuell mit einem beachtlichen Budget von rund 70 Millionen Dollar ausgestattet ist, dreht sich um einen Wissenschaftler, der ein Programm zur Verbesserung der menschlichen DNA entwickelt. Er gerät in Gefahr, als ein Fehler in diesem Programm entdeckt wird, also flüchtet er und beschützt dabei auch seine eigens erschaffenen KI („gespielt“ von Erica). Wie The National und The Hollywood Reporter berichten, wurden einige Szenen mit Erica bereits im Herbst 2019 gedreht. Die Hauptdreharbeiten sollen (je nach Corona-Stand) im Sommer 2021 starten.

Die Besetzung einer realen KI ist nicht zuletzt natürlich ein Werbekniff, eine Besonderheit, mit der man von sich reden machen kann. Es ist dem letztjährigen Fall um James Dean nicht unähnlich, der als digitale Kopie eine kommende Filmrolle übernehmen soll. Doch Erica ist erst einmal Erica. Über ihren Status als Person zu diskutieren, kann Bestandteil eines kompletten Semesters im Philosophiestudium sein, doch immerhin gibt Erica nicht vor, die Identität einer verstorbenen Realperson nachzustellen.

© Warner Bros., Dreamworks

Interessanterweise hatte Stanley Kubrick bereits genau dieses Vorhaben im Sinn, als er damals noch selbst an A.I. ARTIFICIAL INTELLIGENCE arbeitete. Kubrick wollte ursprünglich ebenfalls einen „echten“ Androiden in der Rolle des Roboterjungen David besetzen, engagierte u.a. die Dienste von Videokünstler, Musikvideoregisseur und Effektkünstler Chris Cunningham. Die Robotik-Effekte entsprachen allerdings noch nicht Kubricks Vorstellungen, der nicht zuletzt durch JURASSIC PARK (1993) erkannte, dass Computeranimation der Weg zum Ziel sein würde, ehe er das Projekt noch zu Lebzeiten an Steven Spielberg weitergab.

Nun steht bevor, was sich Kubrick und Co. vor 20+ Jahren nur vorstellen konnten. Selbst wenn die Besetzung von Erica zunächst hauptsächlich eine PR Sache ist, dürfte es ein Meilenstein und Wendepunkt in der Filmindustrie sein. Denn nicht nur ist Erica ein werbewirksames „Gimmick“, auch ist sie immun gegen COVID-19, untersteht keinen Gewerkschaftsregularien und hat (noch?) keinen wirklichen eigenen Willen, um sich gegen die Wünsche der Filmemacher zu stellen. Eindrücke wie spannend, faszinierend und zutiefst unheimlich/unangenehm gehen bei dieser Entwicklung immerzu Hand in Hand. Womöglich werden wir irgendwann auf „b“ und Ericas Schauspieldebüt zurückblicken, wie wir jetzt auf den gläsernen Ritter aus YOUNG SHERLOCK HOLMES (1985) oder vielleicht auf ABYSS (1989) und T2 (1991) in der Entwicklung von computergenerierten Charakteren zurückblicken. Nur, halt, beklemmender. Irgendwie… oder nicht?

Quellen:
The National
The Hollywood Reporter
Robots IEEE

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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