Kinostart Spotlight: „Brahms: The Boy 2“ und die Tradition von Puppenhorror

19. Februar 2020, Christian Westhus

Jede neue Kinowoche bringt zahlreiche neue Filme in die Multiplexe und Programmkinos des Landes. Manchmal ist die Auswahl derart groß und unübersichtlich, dass man den Überblick verliert. Beim „Kinostart Spotlight“ werfen wir einen Blick auf einen ausgewählten Neustart der anstehenden Kinowoche und auf eine Besonderheit dieses Films. Die Filmographie eines Regisseurs, die Eigenheiten eines Genres, die Buch- oder Comicvorlage. Mit „Brahms: The Boy 2“ steht diese Woche eine etwas seltsame Horrorfilm Fortsetzung in den deutschen Kinos an. Seltsam, da der erste Teil, „The Boy“ (2016) mit „Walking Dead“ Star Lauren Cohan, weder besonders gut, noch besonders originell oder erfolgreich war. Ein bestenfalls durchschnittlicher Film, welche für gewöhnlich eigentlich keine Fortsetzungen bekommen. Doch „The Boy“ hat zwei Vorteile auf seiner Seite: einerseits bringen relativ günstig produzierte Horrorfilme dieser Art fast immer ein gewisses Mindestmaß an finanziellem Gewinn, und andererseits befindet sich der Film mit seinem Plot um eine möglicherweise besessene Puppe in einem recht beliebten, aber auch noch nicht restlos abgegrasten Untergenre. Schauen wir uns einmal an, in welchen Formen der Horrorfilm mit Puppen das Fürchten lehren will.

Zu den markantesten und auch ersten Puppenfiguren, die das Kino unsicher machten, gehören Bauchrednerpuppen. Nicht selten sind diese Bauchrednerpuppen eine Art Marionette, eine Verlängerungen ihres „Besitzers“, vielleicht das Symbol eines Jekyll/Hyde Alter-Egos, eines Traumas oder unterdrückter Emotionen und Neigungen. So in etwa spielte es sich bereits 1929 im eher als Drama gedachten „Der Große Gabbo“ mit Erich von Stroheim ab, der als Bauchredner und Varieté Künstler seine Karrieresucht und seine oft aufbrausende Eigen- und Geltungssucht über Puppe Otto kanalisiert. Eindeutiger ist die Sache beim britischen „Devil Doll“ (1964), wo ein böser Bühnenkünstler sein mörderisches Werk über eine durch schwarze Magie erweckte Bauchrednerpuppe treibt. Wie von diesen beiden Filmen inspiriert fühlte sich Jahre später „Magic: Eine unheimliche Liebesgeschichte“ (1979) an, die das Geschehen deutlicher in Richtung eines psychologischen Thrillers rückt, wenn Anthony Hopkins als Bauchredner von seiner Puppe Fats vermeintlich Befehle eingetrichtert bekommt, gewisse Leute zu töten. Auch die Mystery/Horror TV-Serie „The Twilight Zone“ hatte gleich zwei Episoden rund um gefährliche Bauchrednerpuppen oder ihre Besitzer –„Buffy, im Bann der Dämonen“ hatte immerhin eine. Und in der (übrigens sehenswerten) Serie „Penny Dreadful“ nimmt die finstere zentrale Bedrohung über so etwas wie eine Bauchrednerpuppe Kontakt mit dem menschlichen Objekt der Begierde auf. Doch das markanteste Beispiel finden wir wohl im wunderbaren Anthologie Gruselfilm „Traum ohne Ende“ („Dead of Night“, 1945). In der unbestreitbar besten und effektivsten Episode (diese werden einem Mann in der Rahmenhandlung zur „Beruhigung“ erzählt, der von seinem nahenden Tod geträumt hatte) in der der Redner von seiner vielleicht/vielleicht auch nicht lebendigen (und natürlich finster gesonnenen) Puppe in den Wahnsinn getrieben wird.

© Arthaus

In diesen Fällen ist es immer ein Duo, eine Partnerschaft. Bauchredner und Puppe benötigen einander, um ihre Werke zu vollrichten, ganz egal, ob der böse Wille im Menschen oder in der Figur steckt. Die Bedrohung in diesen Beispielen ist immer direkt und gegenwärtig. Der jeweilige Strippenzieher agiert nicht aus dem Grab, der Nachwelt oder der Vergangenheit heraus, sondern agiert im Hier und Jetzt, verfolgt Pläne, um sich zu bereichern oder um die Position zu sichern. Puppe und Künstler nutzen den jeweils anderen, um selbst unentdeckt zu bleiben, sich die Finger nicht schmutzig zu machen. Billy, die „Saw“ (2004) Puppe auf dem Dreirad, ist so gesehen auch „nur“ eine Bauchrednerpuppe, eine Verlängerung ihres Besitzers, um mit Opfern zu sprechen und Dinge in Gang zu setzen.

Anders – und doch ähnlich – verhält es sich, wenn wir die Sphäre aus Besessenheit/Dämonologie betreten. Auch hier braucht eine Entität einen Wirt, ein Objekt, über welches sie wirken kann. Doch Entität und Wirt verschmelzen innerhalb dieser Welt und Logik zu einer Gestalt. So verhält es sich bei „Annabelle“ (2014), dem aktuell wohl bekanntesten Vertreter dieses Untergenres und (vermutlich) Hauptinspiration für die Produktion von „The Boy“. Die Geschichte von „Annabelle“ (und dem klar besseren Prequel, „Annabelle 2: Creation“ (2017)) geht auf wahre Begebenheiten zurück, doch erwartungsgemäß sind diese streng genommen nur ein folkloristisch-verschwörerisch aufgeblasenes Mittel zum Zweck. (Oder vielleicht doch nicht?!?) Hier nutzt ein Dämon die durch ein Verlusttrauma angreifbar und leichtgläubig gewordenen Eltern aus, um sich in der Annabelle Puppe einzunisten. Der Dämon existiert nun innerhalb dieser Puppe. Der nächste Schritt? Auf einen Menschen übergehen bzw. eine Menschenseele besetzen, um größere Macht zu erhalten.

© Warner Bros.

„Annabelle“ gehört zur „Conjuring“ Reihe und ist somit eine James Wan Produktion. Dies macht Wan zum Vorreiter nicht nur im Geisterhorror-Sektor, sondern auch beim Puppenhorror. Wie bereits erwähnt, griff Wans (und Autor Leigh Whannell) Durchbruchsfilm „Saw“ Elemente aus stilisierten Gesichtsmasken und Bauchrednerpuppen auf, doch dabei blieb es nicht. Während das Kino „Saw“ noch in der damals grassierenden „Torture-Horror“ Welle verortete und durch zunehmend blutrünstige Fortsetzungen dort verankerte, gingen Wan und Whannell in eine latent andere Richtung. „Dead Silence“ (2007) war Wans erste Regiearbeit nach „Saw“ und spart sicherlich nicht mit der einen oder anderen blutigen Szene, positioniert sich jedoch klar als Frühform dessen, was sich nur kurz darauf durch „Paranormal Activity“ (2007) und eben „The Conjuring“ (2010) zum neuen Kerntrend des Horrorkinos formieren sollte.

Dabei haben wir es in „Dead Silence“ noch explizit mit einer Bauchrednerpuppe zu tun, noch dazu mit einer Puppe aus einem Arsenal von hunderten. Und dennoch ist die postmortale Rache einer unrechtmäßig gelynchten Bauchrednerin ein stärkeres Beispiel für eben Besessenheit und die Verschmelzung von Dämon und Wirt. So verhält es sich auch mit Serienkiller Charles Lee Ray in „Chucky“ (1988), der sich (bzw. seinen Geist) in einem Akt höchster Not durch ein Ritual selbst in eine Spielzeugpuppe überträgt, da sein menschlicher Körper dem Tod nahe ist. Charles Lee Ray lebt in Chucky weiter … und vollzieht im Laufe von inzwischen sieben Teilen zunehmend kuriose Dinge, die nur noch selten wirklich unheimlich sind bzw. sein sollen.

© United Artists, MGM Home Entertainment

Kurios ist auch das Stichwort für die Filme der „Puppet Master“ und „Demonic Toys“. Während Letzterer, seinem Titel entsprechend, erneut echte Dämonen vorzuweisen hat, die in Objekten hausen und über diese ihre Macht ausüben, bringt die (zwölfteilige!) Puppet Master Reihe ein magisches Elixier ins Spiel, welches die Puppen zu eigenem und eigenständigem Leben verhilft. Doch mit einem Plot, der u.a. Telepathie beinhaltet, ist nicht immer klar, wer hier wen steuert, wer auf welche Weise gelenkt wird oder unabhängig agiert. So verhält es sich auch mit vielleicht *der* Puppe, die zur Angst-Ikone nicht weniger Kinder- und/oder Jugenderinnerungen wurde, gerade da sie in einem Film ihren Auftritt hatte, der nicht ausschließlich für Erwachsene konzipiert wurde: die Clownspuppe in Tobe Hoopers/Steven Spielbergs „Poltergeist“ (1982). Sind „Sie“, von denen die kleine Carol Ann sagt, sie seien hier, Bauchredner und Marionettenspieler, die mit der Clownspuppe agieren, wie sie mit den Objekten im verspukten Kinderzimmer agieren, oder haust eine dieser Entitäten – und sei es nur für diesen Moment – in dieser Puppe und verhilft ihr u.a. zur berühmten Schreckensvisage?

Doch warum eigentlich? Warum Puppen? Was haben Spielzeuge und anthropomorphe Figuren an sich, dass sie sich so gut dazu eignen, unsere Ängste zu schüren? Ansätze gibt es viele. Je nach Darstellung befinden sich Puppen im so genannten „Uncanny Valley“ in ihrer Ähnlichkeit zum Menschen. Sie sind uns nachempfunden, aber anders, stilisiert, übertrieben, nicht ganz echt. Es ist derselbe „ähnlich, aber nicht ganz“ Effekt, der auch Clowns und zuweilen Cyborgs oder Androiden in Science-Fiction zu einem schauerlichen Auftritt verhilft. Noch dazu sind Puppen – anders als eben Clowns und Androiden – von Natur aus leblos, ihre Gesichter starr, unverändert. Wenn von diesen leblosen, menschenähnlichen, aber nicht wirklich menschlichen Objekten nun eine gewisse Macht ausgeht, hat das fast immer eine unheimliche Note. Dass unsere Assoziationen Puppen und Spielzeuge sofort ins Kinderzimmer verorten, gibt den Objekten eine erhöhte Unschuld und Kindlichkeit, die sich – einmal durchs Boshafte oder Dämonische gebrochen – noch stärker in Beklemmung verwandelt. Insbesondere dann, wenn diese dämonischen Mächte innerhalb einer Puppe in tatsächlich unschuldige Kinderhände gelangen, wie in „Chucky“ oder eben „Poltergeist“.

© Warner Home Video

Doch ist das alles? Leblose Körper, menschenähnliche starre Gesichter und Unschuldsvermutung? Vielleicht finden wir in einer anderen Kultur andere Ansätze, z.B. in Japan. Wir finden Elemente von Besessenheit, unterdrückten Impulsen und Masken in einem Klassiker wie „Onibaba“ (1964), stolpern vielleicht über eigene japanische „Urban Legends“, bekommen aber moderne Filme wie „Doll Master“, der eher von westlichen Puppenhorrortraditionen inspiriert scheint, „nur“ aus Korea. Trotz einer ausgeprägten und Jahrhunderte alten Tradition aus Puppenspiel und Masken-Theater, von Noh, über Bunraku, hin zu Kabuki, haben es unheimlich und/oder dämonische Puppen nur selten ins japanische Kino geschafft. Vielleicht gerade deshalb. Vielleicht, da japanisches Theater die „unheimliche“ Maskenabstraktion seit Ewigkeiten betreibt, auch in dramatischer, komödiantischer und romantischer Art und Weise. Wer mit dieser Art vertraut ist, dem fällt es leichter, hinter einer Maske oder einem Puppengesicht nicht sofort den Leibhaftigen zu vermuten. Vielleicht aber auch, da japanischer (und aus der Shintō Religion „inspirierter“) Horror vielseitiger ist, wie jeder weiß, der sich mal tiefergehend mit japanischer Malerei, mit Mangas und insbesondere Videospielen befasst hat. Salopp gesagt: in japanischen Horrorgeschichten kann alles passieren, kann alles lebendig werden, sogar Lampenschirme. Wer Junji Itō gelesen hat, braucht keine von Dämonen besessenen Puppen, um sein Innersten als verknotet zu verspüren.

© Toho, Filmjuwelen

Doch J-Horror ist im Kino seit gut 20 Jahren ein Ding. Und irgendwie erfüllen die monochromen und oftmals ausdrucksarmen Gesichter aus „Ringu“ (1998) oder „The Grudge“ (2002) einen ähnlichen Effekt, einen Maskeneffekt. Das führt uns zumindest zurück zu „Onibaba“, aber auch eher hin zum amerikanischen Slasher. Es sind mensch(enähn)liche Figuren mit verborgenem oder entstelltem Gesicht. Es sind jedoch keine Puppen. Allerdings tragen die allermeisten klassischen Slasher-Killer nicht ohne Grund eine starre, uniforme Maske. Auch, um ihre Identität zu verbergen, aber zusätzlich, da ein „Gesicht“ wie die Michael Myers Maske, die leeren Augen hinter Jasons Hockeymaske und sogar das abstrahierte Antlitz von Ghostface aus „Scream“ (1996) etwas grundlegend Unheimliches an sich haben.

Es sind die Augen bzw. das Fehlen dieser. Über die Augen, so sagt man, blicken wir in einen Menschen, in die Seele einer Person. Und entsprechen Augen nicht dem gewohnten Bild, nicht der verinnerlichten Vorstellung dessen, wie „Augen“ aussehen – oder fehlen sie gänzlich – fehlt uns ein Zugang zur Person. Nicht ohne Grund sehen wir im Kino Weissager und Seherinnen nicht selten mit milchig weißem Schimmer im Auge. Nicht ohne Grund stellen wir dämonisch/satanische Besessenheit häufig über die Augen dar, färben diese rot oder schwarz, lassen sie leuchten. Nicht ohne Grund stellen wir klassische Außerirdische als Mitglieder eines überlegenen „Hive Minds“ mit Insektenaugen dar. Je menschlicher die Augen an einem Monster, Alien (Hallo, E.T.) oder Geist, desto sympathischer sind wir der Kreatur gesonnen. Und umgekehrt. Auch dieser Faktor spielt bei Puppen hinein. Annabelle starrt vom Poster aus und durch den halben Film mit diesen unangemessen großen, starren und gemalten Augen zu uns rüber. Und je länger sie starrt, desto stärker haben wir das Gefühl, dass aus diesem unschuldig-menschenähnlichen und eigentlich leblosen Puppenkörper tatsächlich etwas zu uns zurückstarrt.

© Capelight

Und wo landen schließlich „The Boy“ und seine Fortsetzung „Brahms“? Nun, wer Teil 1 (Spoiler) gesehen hat, wird die Versatzstücke vereinen können. Traumatisierte Eltern, die in einem Bewältigungsmechanismus einer Puppe emotionales „Leben“ verleihen, dieses auf eine uneingeweihte Person umverantworten, die daraufhin von echtem Leben innerhalb einer möglicherweise besessenen Puppe ausgeht, ehe uns Twist und Auflösung von einer größtenteils natürlichen Puppenspieler/Puppe Beziehung in Kenntnis setzen. Wie sich das mit Teil 2 verhält, bleibt abzuwarten. Mit einem neuen Jungen im Alter des „originalen“ Brahms und mit deutlicheren übersinnlichen Vorfällen bewegt man sich – zumindest laut Trailer – eher in die „Annabelle“ Richtung. Vermutlich. Finden wir es heraus…

Waren das zu viele Bilder unheimliche Puppen? Oder gar zu wenige? Hast du Interesse an weiteren Begleittexten zu aktuellen Kinofilmen? Dann schau mal im Forum vorbei…

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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