Kinostart Spotlight: „Ein verborgenes Leben“ und die Filmographie von T. Malick

29. Januar 2020, Christian Westhus

Jede neue Kinowoche bringt zahlreiche neue Filme in die Multiplexe und Programmkinos des Landes. Manchmal ist die Auswahl derart groß und unübersichtlich, dass man den Überblick verliert. Beim „Kinostart Spotlight“ werfen wir einen Blick auf einen ausgewählten Neustart der anstehenden Kinowoche und auf eine Eigenart dieses Films. Die Filmographie eines Regisseurs, die Eigenheiten eines Genres, die Buch- oder Comicvorlage. Heute lernen wir den Regisseur hinter „Ein verborgenes Leben“ kennen, eine 80-jährige Filmikone mit weniger Filmen als Quentin Tarantino: Terrence Malick

Terrence Malick, geboren 1943 in Ottawa, Illinois, ist eine Filmikone. Und das, obwohl mit „Ein verborgenes Leben“ erst der neunte Spielfilm (plus eine Dokumentation) das Licht der Leinwand erblickt. Neun Filme in einer über 50 Jahre bisher andauernden Karriere. Ein Steven Soderbergh dreht neun Filme in vier Jahren. Takashi Miike dreht neun Filme in 18 Monaten. Wir blicken zurück auf Malicks Filmographie, auf seine Figuren, seine Geschichten und auf die Art, wie er seinem Publikum davon erzählt.

Warner Bros.

Badlands: Zerschossene Träume – Badlands (1973)
Während seines Filmstudiums verdiente Malick Erfahrung und etwas Geld mit kleineren Detailarbeiten an bestehenden Scripts. Angeblich bekam „Dirty Harry“ (1971) eine kleine Politur des jungen Malick ab, der 1972 zusammen mit John Gay sein erstes eigenes Script verkaufte, den modernen Western „Pocket Money“ mit Paul Newman und Lee Marvin. Durch diese Einblicke in die Geschäfte der Filmwelt hatte Terrence Malick schon bei seinem Debüt als Regisseur ganz genaue Vorstellungen, ging großen Studios, Produzenten und Geldgebern aus dem Weg und beschaffte sich das überschaubare Budget durch kleinere Investoren selbst.
„Badlands“ ließ sich von der realen Starkweather/Fugate Geschichte Ende der 1950er inspirieren und folgt einem jugendlich-jungen Paar (Martin Sheen und Sissy Spacek), die sich aus der beengten und lieblosen Umgebung ihrer Heimatstädte und ihrer Elternhäuser befreien und dabei zu Gesetzlosen werden, zu Mördern, bald schon von der Polizei gejagt. Schaut man „Badlands“ mit dem Wissen, wofür Terrence Malick heute steht, kann man die Saatkörner dessen nur zu leicht erkennen. Tak Fujimotos („Das Schweigen der Lämmer“) naturalistisch-intensive Kameraarbeit, gewaltige Naturkulissen, mindestens gleichwertige Verwendung innerer Voice Over Monologe und gewöhnlicher Dialoge, dazu ausgedehnte Empfindungsszenen mit und durch Musik, von Carl Orff hin zu Nat King Cole. Von Nichts kommt nichts und so trägt „Badlands“ schon mehr als deutlich die Identität seines Machers. Und dennoch ist es der Film, der noch am ehesten einer klassisch aufgebauten und traditionell erzählten Handlung und Dramaturgie folgt. „Badlands“ gilt vollkommen zu Recht als einer der besten amerikanischen Debütfilme überhaupt, war vielfältig einflussreich und inspirierte nicht zuletzt Quentin Tarantino zu „True Romance“, wo Hans Zimmer aus Orffs „Gassenhauer“ „You’re so cool“ machte.

In der Glut des Südens – Days of Heaven (1978)
Knappe fünf Jahre benötigte Malick, um seinen zweiten Film anzugehen. Mit Richard Gere und Brooke Adams an der Darstellerspitze und mit Sam Shepard in einer zentralen Nebenrolle, geht es erneut um junge Ausreißer, denen bald das Gesetz im Nacken hängt. Es ist das frühe 20. Jahrhundert. Die USA sind noch nicht in den Ersten Weltkrieg eingetreten und Nick (Gere) flüchtet mit Freundin Abby und Schwester Linda nach Texas, um dort auf der entlegenen Farm von eben Sam Shepard als Erntehelfer Geld zu verdienen. Da sie jung, mittellos und gesucht sind, geben sich auch Nick und Abby als Geschwister aus, bis Nick nach und nach bemerkt, dass sich der einsame Farmherr und Abby annähern.
In den Jahren nach „Badlands“ wurden Malicks inszenatorische Spleens und Vorlieben formvollendet – hätte man jedenfalls nach damaligen Maßstäben denken können. Klassische Dialoge treten noch stärker in den Hintergrund, während die Voice Over Erzählungen eine noch entrücktere und spirituellere Ebene erhielten, insbesondere mit der jungen Linda als äußerst subjektive Beobachterin und Erzählerin. Mit Kameramann Néstor Almendros und Komponist Ennio Morricone bläst Malick die texanische Leere zu einer gigantischen Pracht auf, verzichtet nahezu komplett auf künstliches Licht und dreht einen nicht unerheblichen Teil des Films ausschließlich im Dämmerlicht, der violetten „Magic Hour“ am Morgen und am Abend. Mehr noch als „Badlands“ erleben wir hier den träumerischen, aus dem Hier und Jetzt entrückten Malick, der eher einen assoziativen Story-Quilt näht, statt einen klassischen Drei-Akter zu erzählen. Es waren Eindrücke der eigenen Jugend, die Malick hier einbrachte und um eine „Sturm und Drang“ Jugendkrimigeschichte erweiterte. Und dann verschwand der Regisseur für fast 20 Jahre.

20th Century Fox

Der schmale Grat – The Thin Red Line (1998)
Es gibt Theorien und Gerüchte, warum Malick sich so lange zurückzog, den Kontakt zur Öffentlichkeit und zur Presse abschnitt, als Emerit lebte, zwischenzeitlich gar als verschollen oder verstorben galt. Bis Mitte der 90er existierte nur ein öffentliches Foto des Regisseurs. Ob nun Frustration über Einmischung des Studios, eine kreative Durststrecke oder private Gründe, es dauerte bis weit in die 90er hinein, ehe Malick ein neues Projekt anging. Die Ruhephase hatte seinen Legendenstatus nur noch weiter verstärkt. Mit zwei Meisterwerken gestartet und dann für fast zwei Jahrzehnte abgetaucht? Das schürt Interesse. Und so stand bald halb Hollywood Schlange, um eine Rolle in Malicks Weltkriegsdrama „Der schmale Grat“ zu erhalten. Und halb Hollywood (zumindest das männliche Hollywood) sollte eine Rolle erhalten, denn der Cast ist gleichermaßen prominent wie ausufernd. Doch wer vor Malicks Kamera stand, konnte nicht unbedingt davon ausgehen, auch im fertigen Film zu landen. Ein Leid, von dem Adrien Brody noch heute singt, der von einer vermuteten Hauptrolle zu einer kleineren Nebenrolle „degradiert“ wurde, als Malick in einem aufwändigen und langwierigen Schnittprozess Ordnung in sein Werk brachte.
Denn seine Vorlieben hatten sich in der Ruhephase nur noch weiter intensiviert. Bis auf Kampfgebrüll und ein paar Kommando-Briefings gibt es kaum noch klassischen Dialog zwischen den Figuren. Die Natur wird zur Hauptfigur, von der stetig suchenden Kamera erforscht und ergründet, während insbesondere Jim Caviezel in seinen Voice Over Beobachtungen das Innere und das Äußere beschreibt, das Wesen des Krieges und des Menschen. Über ein knappes halbes Dutzend Hauptfigurengruppen und Handlungsstränge schildert Malick erneut „spontan“ und gefühlsgeleitet den absurden und ganz offenbar „unwichtigen“ Kampf auf und um eine Pazifikinsel während des 2. Weltkriegs. Es ist in Stil, Form und Inhalt das klare Gegenstück zu Spielbergs mehr oder weniger gleichzeitig erschienenem „Der Soldat James Ryan“. Und vielleicht hatte Malick in den Jahren dazwischen „True Romance“ gesehen und gehört, was Hans Zimmer u.a. mit Carl Orff gemacht hatte, denn Zimmer zeichnete sich für den Musikscore bei „Der schmale Grat“ aus und trat doch bescheiden in den Hintergrund, um folkloristischen melanesischen Gruppengesängen die Bühne zu überlassen, die ein- ums anderen Mal für Gänsehaut sorgen.

Warner Bros., New Line Cinema

The New World (2005)
Schon gehört? Natur nimmt eine zentrale Rolle in den Filmen Terrence Malicks ein; der Mensch innerhalb und im Umgang mit der Natur. So ist es auch bei „The New World“, einer Neuerzählung der John Smith/Pocahontas Legende. Erneut brauchte Malick mehr als ein halbes Jahrzehnt, um einen neuen Film zu schreiben, zu produzieren, zu drehen und – besonders zeitraubend – zu schneiden. Eine Geschichte vor diesem Hintergrund ist immer auch eine Geschichte über den Ursprung der USA, ein Versuch, das Wesen des Landes zu ergründen. Das ist auch in „The New World“ der Fall. Doch Malick ist eben Malick und begreift seine „Pocahontas“ Geschichte als Erforschung eines aus den Fugen geratenen Lebens, wie die Zivilisation die Natur zurückdrängt, wie der Mensch sich die Natur Untertan macht, statt im Gleichgewicht zu leben. Und Malick ist in doppelter Hinsicht noch immer Malick, inszeniert Smith (Colin Farrell) und Pocahontas (Q’orianka Kilcher, Schwester des ehemaligen Popstars Jewel) als junge Liebende in der Tradition von „Badlands“ und „In der Glut des Südens“, die ihre jeweiligen Familien vor schwere Aufgaben und Entscheidungen stellen.
Mit größeren Dialog- und Voice Over Passagen in Algonquin, lässt Malick Smith und Pocahontas in gewohnt spiritualistischer Art ihre Umgebung und ihr verändertes Inneres beschreiben, ehe Tragik zuschlägt, Christian Bale in der zweiten Hälfte hinzustößt und die Regie erkennt, dass dieser Film nur eine Hauptfigur haben kann und sollte: Pocahontas.

The Tree of Life (2011)
Eigentlich sollte es nach „The New World“ schnell gehen. Schon 2008 war „The Tree of Life“ größtenteils im Kasten, doch abermals verzögerte der komplizierte Schnitt das Geschehen, denn Malick findet erst hier den Film, den er im Script und On-Set gesucht hatte. Zudem gestalteten sich Effektszenen als schwierig, für die der legendäre „2001“ Effektkünstler Douglas Trumbull hinzugezogen wurde. Moment?! Effektszenen in einem Malick-Film? „The Tree of Life“ erzählt zunächst eine augenscheinlich autobiographisch gefärbte Kindheit in den 1950er Jahren, mit dem strengen Dad Brad Pitt und der göttlich-ätherischen Mama Jessica Chastain. Doch Malick ist eben Malick, verknüpft diese Coming-of-Age Geschichte (wenn man so will) mit der Geschichte der Erde, des Planeten, zeigt Urknall, Entstehung der Erde und Leben der Dinosaurier, um in einem kosmischen Großen Ganzen Motive des Lebens zu finden. Spiritualität und Religion waren schon immer Teil von Malicks Naturbeschreibungen, von seinen philosophischen Monologen und seiner Bildsprache. „The Tree of Life“ stellt nun den Höhepunkt dessen dar. Die metaphorische und assoziative Bildsprache geht noch weiter; in Raum und Zeit, aber auch in der bloßen Auswahl der Motive. Erneut verzichtet Malick auf einen klassischen Plot, verwebt Zeit und darin Gedanken und Gefühle, mit einer nur vagen Ahnung eines zentralen Plots oder Problems. Das mag man anmaßend oder selbstgefällig finden, ist aber nur die logische Zuspitzung von allem, was Malick bis zu diesem Punkt in seinen Filmen zu vermitteln versuchte. Ein einzigartiges Wunderwerk. Kein Wunder also, dass danach alles anders wurde.

Fox Searchlight, Concorde

To The Wonder (2012) + Knight of Cups (2015) + Song to Song (2017)
Malick war eigentlich noch mit „The Tree of Life“ beschäftigt, da hatte er „To the Wonder“ bereits abgedreht. Und dieser erste Film der „neuen“ Quasi-Trilogie wirkt noch wie mehr vom Gleichen, wie ein Film aus derselben Feder, aus derselben Gussform des Vorgängers. Nur eben, nach Meinung dieses Autors, deutlich schwächer. Erstmalig haben wir es mit einer Gegenwartshandlung zu tun, wenn Ben Affleck zwischen Kindheitsliebe Rachel McAdams und neuer Flamme Olga Kurylenko hin und her tänzelt, eine Zeit in Frankreich und bei Priester Javier Bardem verbringt. In der Gegenwart und ohne kosmische Verrenkungen fühlen sich Malick und sein Stil nicht so gut, nicht so rund, nicht so zielgerichtet an. Womöglich war der Regisseur hier zu schnell, mehr am Schaffensprozess interessiert als am Ergebnis. Dieser Verdacht verhärtet sich, macht man sich bewusst, dass kurz darauf auch die nächsten beiden Filme schon mehr oder weniger „abgedreht“ waren.
„Abgedreht“ ist bei einem Malick-Film bekanntermaßen ein dehnbarer Begriff, der in dieser neuen Phase noch weiter relativiert wird. Seit „The New World“ arbeitete Malick mit Kamera-Gott Emmanuel Lubezki zusammen, versammelte erneut halb Hollywood vor der Kamera suchte ohne klares Script, nur mit kleinen Anregungen und Improv-Stichwörtern eine emotionale Wahrheit innerhalb einer vagen Narrative. In „Knight of Cups“ zieht es Christian Bale als ausgelaugten Drehbuchautoren von Hollywoodparty durch die Betten von Cate Blanchett, Natalie Portman und Imogen Poots, auf der Suche nach echtem Boden unter den Füßen. Malick und Lubezki können auch die leere Kälte der versnobten Upper Class Hollywoodwelt magisch aussehen lassen, doch mitunter verwechseln sie die Leere ihrer Hauptfigur mit inhaltlicher Leere.
Der vermutlich „beste“ Teil dieser Quasi-Trilogie ist „Song to Song“. Aus gefühlten Unmengen an Bildmaterial, die Malick mit Michael Fassbender, Ryan Gosling und Rooney Mara in der Musikszene in Austin, Texas oftmals während Live-Konzerten, zwischen Publikum und größtenteils improvisiert aufnahm, wird eine vertrackte Dreiecksbeziehung destilliert, die dadurch erfolgreicher – im Vergleich zu den beiden Vorgängern – ausfällt, da sie einem klassischen Plot mit klassischem Drama näher kommt. Nur eben erzählt mit der improvisierten „Eleganz“ dieser Filme und mit einer verbalen Metaphorik, die geradezu danach schreit, in eine etwas greifbarere Ordnung gesetzt werden zu wollen.

Und nun?
„The Tree of Life“ erscheint wie ein Karrierefazit, wie eine Zuspitzung und Rückschau auf das eigene Leben, das eigene Werk und die inszenatorischen Vorlieben. Es ist nur zu verständlich, dass Malick danach etwas Neues versuchen wollte – statt womöglich erneut für mehrere Jahre abzutauchen. Die weiteren drei Film der 2010er fühlen sich dann eben auch so an wie das, was sie sind bzw. vermutlich waren: Experimente, in denen der Dreh- und Schnittprozess für den Filmemacher um ein Vielfaches wichtiger waren als das Endergebnis. Der nun startende „Ein verborgenes Leben“ führt Malick nicht nur zurück in eine historische Handlung (Österreich/Deutschland während der NS-Zeit) und in eine von Natur und naturnahem Leben dominierten Kulisse, sondern auch zurück zu einer konkreten Script-Basis, über die Malick aus festem Stand auf die Suche gehen kann. Internationale Stimmen beschrieben bisher eine Rückkehr zu alter Form. Wir können uns ab Donnerstag selbst ein Bild davon machen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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