Kinostart Spotlight: Jojo Rabbit und der Mann mit dem Schnurrbart
Jede neue Kinowoche bringt zahlreiche neue Filme in die Multiplexe und Programmkinos des Landes. Manchmal ist die Auswahl derart groß und unübersichtlich, dass man den Überblick verliert. Beim „Kinostart Spotlight“ werfen wir einen Blick auf einen ausgewählten Neustart der anstehenden Kinowoche und auf eine Eigenart dieses Films. Die Filmographie eines Regisseurs, die Eigenheiten eines Genres, die Buch- oder Comicvorlage. Heute betrachten wir Taika Waititis neuen Film Jojo Rabbit, in welchem der Neuseeländer Adolf Hitler spielt.
Neuseelands Taika Waititi ist ein sonderbarer Zeitgenosse mit einer bisher sonderbaren Filmographie. Als Regisseur 2005 für einen Kurzfilm-Oscar nominiert, erlangte er zunächst lokale Berühmtheit als Mitglied des Comedy Duos The Humourbeasts mit Jemaine Clement. Dieser spielte auch eine Rolle in Waititis Durchbruchsfilm als Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller, der Vampir Mockumentary „5 Zimmer, Küche, Sarg“ („What we do in the Shadows“, 2014). Nach einem anständigen und noch immer sehr neuseeländisch gefärbten Erfolg mit „Wo die wilden Menschen jagen“ folgte der Sprung ins amerikanische Blockbuster- und Superheldenkino als Regisseur (und Motion Capture Darsteller) des dritten Thor Films „Tag der Entscheidung“ („Ragnarok“). Mit einem finanziellen Erfolg im Rücken konnte Waititi ein Traumprojekt angehen und lieferte „Jojo Rabbit“. Die Geschichte eines Jungen in der HJ zur Nazi Zeit, der einen ganz speziellen imaginären Freund hat: Adolf Hitler. Und wer spielt Hitler? Natürlich Waititi selbst.
Es scheint unnötig zu betonen, dass schon allein das Casting gleichermaßen Provokation und Revolution darstellt. Denn Waititis Vater ist Māori, während seine Mutter von den europäischen Erstansiedlern in Neuseeland abstammt und jüdisch-russische Wurzeln hat. Ein halb-Māori mit jüdisch-russischen Wurzeln spielt Adolf Hitler. Als eine Art Statement musste es quasi so kommt. Doch wo steht Waititis Hitler wirklich in der Filmgeschichte?
Das größte reale Monster der Neuzeit wurde ausgesprochen häufig in der Geschichte des Kinos aufgegriffen, aber gar nicht so übermäßig häufig direkt in Person. Gehen wir einmal in uns, blenden Taika Waititi aus und fragen: welcher Film-Hitler kommt uns zuerst in den Sinn? Ist es Charlie Chaplin in seiner legendären Doppelrolle aus „Der große Diktator“ (1940), wenn er Adenoid Hynkel in unmissverständlicher Anlehnung per Deutsch-Kauderwelsch spielt? Oder ist es Bruno Ganz als „Führer“ während der letzten Tage in der mittlerweile großflächig parodierten Rolle in „Der Untergang“ (2004)?
Beide Darbietungen, auch wenn sie zunächst nicht unterschiedlicher sein könnten, sind eine letztendlich ernste Angelegenheit. Chaplin war in den Jahren nach der Veröffentlichung immer ein wenig zurückgerudert und erklärte, den Film nicht gedreht zu haben (oder nicht auf diese Art), hätte er von den Ausmaßen des Hitlerregimes genauer gewusst. Und doch haben Motive und Szenen wie der Globus-Ballon oder die finale Appellrede, wenn der jüdische Barbier und Hynkel-Doppelgänger die Verwechslung seiner Person nutzt, um einen Aufruf zu Frieden und Gemeinschaftlichkeit in die Welt zu setzen, bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren. Doch wenn junge Leute den Clip um „epische“ Musik erweitern, z.B. Hans Zimmers „Time“, und dann bei YouTube hochladen, sind sie sich der Hitler-im-Zerrspiegel Dimension des Films bewusst oder sehen sie Charlie Chaplin, der mit donnernder Rhetorik von einem besseren Morgen träumt? Und ist es nicht letztendlich auch im Film genau das?
Hingegen sieht sich Der Untergang im kritischen Diskurs eher der Frage ausgesetzt, ob diese Vermenschlichung Adolf Hitlers einhergehend ist mit einer Verharmlosung, oder ob der Mensch Hitler in seinen letzten Tagen neue Erkenntnisse über Ursachen und Wirkungsgrade der NS-Zeit liefern könnte. Ist man dem Film wohlgesonnen, schlägt man einen Bogen zu Hannah Arendt und ihrer weltberühmten (und kontroversen) Theorie von der Banalität des Bösen. Die Katastrophe der NS-Zeit ist nicht auf die Existenz einmaliger und überlebensgroßer Monstren zurückzuführen, sondern auf das monströse Verhalten einfacher Menschen, die Vorstellungen von Recht und Unrecht verformen.
Ganz anders fühlt sich die Darstellung Hitlers in Quentin Tarantinos Inglourious Basterds (2009) an. Dieser „Führer“ erscheint, als hätte Tarantino die Bruno Ganz Version genommen und gemäß der Natur dieses Films zu einer Groteske überdreht. Man könnte fast meinen, Tarantino habe zu viele „Nein! Nein! Nein! Nein!“ Videos mit falschen Untertiteln gesehen und aus diesen Impressionen seine Version kreiert. Doch bekanntlich geht „Inglourious Basterds“ ohnehin einen historisch ganz eigenen Weg, lässt diesen umhangtragenden Hitler am Ende von Flammen und MG-Feuer in blutige Einzelteile zerlegen.
Die Groteske scheint jedoch generell ein beliebtes Mittel zu sein, sich dieser kaum fassbaren Schreckensgestalt zu nähern. Von einer gefährlich banalen TV-Biographie wie „Hitler: Aufstieg des Bösen“ (2004) mit Robert Carlyle oder einer unscheinbar zweckdienlichen Darstellung wie in „Operation Walküre“ (2008) abgesehen, gehen die erinnerungswürdigen Versionen eher den Weg der Überzeichnung. Es ist die Logik von Mel Brooks‘ The Producers, der Nazi-Ästhetik und Führerkult zu einer zum Himmel schreiend schrillen Varieté Nummer verballhornte und somit ihrer Macht beraubte.
Ähnlich funktioniert theoretisch auch Er ist wieder da in Buch (2012) und Film (2015). Ohne genauere Gründe wacht Hitler im Berlin des frühen 21. Jahrhunderts auf und erblickt ein modernes Deutschland im vermeintlichen Widerspruch zu seiner Vorstellung des Tausendjährigen Reichs. Doch dieser Hitler erkennt schnell, dass sich auch auf diesem Acker aus Politik, Sozialem und moderner Kommunikationstechnik Hass züchten lässt. Nicht zuletzt die Hörbuch-Kombination aus einem durch die Zeit gefallenen Hitler mit „Stromberg“ Führ—äh, Papa Christoph Maria Herbst ließ das Buch zu einem Überraschungserfolg und Diskussionsobjekt werden. Doch statt Hitler und das Dritte Reich im Sinne von „The Producers“ ihrer heutigen Wirkungsgewalt und Ehrfurcht zu berauben, wagt „Er ist wieder da“ bald schon den satirischen Gesellschaftsvergleich und will mit diesem „Was wäre wenn?“ Szenario zum Denken anregen, auf welchen realen politischen Pfaden wir uns heute befinden.
Eine etwas abseitigere Groteske versucht derweil Alexander Sokurow (Moment, den hatten wir doch erst letzte Woche…) in seinem Film Moloch (1999). Hier verbringt Hitler im Frühjahr 1942 ein paar Tage am Berghof, seiner Residenz in Obersalzberg, wo sich Eva Braun aufhält. Die vermeintliche Heimat-Bergidylle kontrastiert Sokurow mit absurder Komik und noch absurderen Dialogen, wenn Braun im Evakostüm militärische Märsche nachpfeift und Hitler mit Ehepaar Goebbels und Co. in diverse politische Wutreden verfällt. Auschwitz? Nie gehört, brüllt dieser Hitler.
Und was ist nun mit Jojo Rabbit? Dieser scheint sich als eine sanftere, humanistische und weniger artifizielle Groteske vorzustellen. Die Idee eines kleinen Jungen, der weniger durch verabsolutierte Ideale, als vielmehr durch den Wunsch nach Zugehörigkeit ins NS-System eingegliedert wird und mit einem imaginären Hitler spricht, ist eine seltsame, jedoch in ihren Absichten unmissverständliche. Wie immer, nimmt man sich Hitler, der NS-Zeit und ihren Auswirkungen an, ist es ein Wagnis. Kritische Stimmen sind vorprogrammiert. Nicht ohne Grund hatte Verleiher Disney, dem dieser ehemalige Fox Searchlight Film nach dem Kauf von 20th Century Fox nun gehört, Zweifel und Unsicherheiten, wie man „Jojo Rabbit“ vermarkten könnte, ob er überhaupt großflächig gezeigt werden oder vielleicht per Stream abgefertigt werden sollte. Ob dieser inzwischen für 6 Oscars nominierte Film besagte Skepsis oder die bisherigen Erfolge verdient hat, kann man ab dieser Woche im Kino herausfinden.
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